Vergewaltige Haussklavinnen in Katar eignen sich nicht für die Dauerempörten. Gebraucht werden Migranten für eine Art Heilslehre, die alle anderen bekehren möchte. Während das Opfernarrativ nun im Klimadiskurs wunderbar in den Sündenstolz unserer Wohlstandsgesellschaft passt, bleibt festzuhalten: Der Westen ist die einzige Quelle weltweit, die seit langem eine Gegenbewegung zu Gewalt und Unterdrückung herausgebildet hat.
Der israelische Autor Mordechay Lewy stellt in seinem Aufsatz Orient und Okzident einige zentrale Punkte heraus, die einen Hinweis darauf geben können, „warum die Schuldgefühle im Okzident so weit gehen können, dass die Solidarität mit der eigenen Kultur bis zur Selbstverleugnung verweigert wird.“ Nach Lewy haben wir es mit einem Zusammenprall einer Schuldzuweisungskultur (Blame Society) mit einer Schuldkultur (Guilt Society) zu tun. Die Schuldkultur des Westens begünstigt Selbstkritik und dadurch die eigene Korrektur- und Lernfähigkeit. Der Islam kennt im Gegensatz zum Christentum keine Erbsünde und damit keine Kollektivschuld. Zwar ist die religiös begründete Erbsünde heute in den westlichen Ländern kaum mehr von Bedeutung, sie drückt sich aber, gewissermaßen säkularisiert, in Schuldbekenntnissen für die Benachteiligten und Unterdrückten, etwa in Afrika oder der islamisch-arabischen Welt, aus. Zitat Lewy:
„Der Antikolonialismus, der Antikapitalismus und der Affekt gegen die Globalisierung speisen sich aus solchen Schuldgefühlen, die man gegenüber der Dritten Welt empfindet. Trotz seines Erdölreichtums ist der Orient in dieses Opferbild eingeschlossen. Damit hat er Anteil an der Schlüsselgewalt der zu vergebenden Absolution.“
Die maßlose und vollkommen wirkungslose Vergabe von Geldern an Entwicklungsländer mit korrupten Regierungen ist eine Möglichkeit der Schuldabzahlung. Man könnte auch die staatliche Alimentierung mittels Sozialleistungen an integrationsresistente Migranten als eine Form des Schuldabbaus an „Benachteiligte“ verstehen. Wahrscheinlich handelt es sich hier aber mehr um eine Art von Schutzgeld, um größere soziale Konflikte zu vermeiden.
Im Zentrum einer kollektiven Mentalität steht der Wunsch nach Vergebung und Erlösung, die den Makel der eigenen Geschichte auflösen kann. Entscheidend ist die damit verknüpfte Selbsterhöhung, die als moralische Haltung erscheint und den Einzelnen adelt. In seinem Buch Die Verachtung des Eigenen betont der Kulturphilosoph Frank Lisson die imaginierte Heiligsprechung des reuigen Sünders und die damit verbundene Selbstaufwertung:
„Der vom Selbsthass durchdrungene Mensch hasst ja nicht sich selber als Person, sondern nur seine kulturelle Herkunft, die ihn mit dem Makel einer ererbten Schuld behaftet. Und gerade weil er diese Schuld auf sich nimmt, das Tätererbe einer überkommenen Identität in sich bekämpft oder wiedergutzumachen versucht, betreibt er durch Einhaltung sogar der abstraktesten Tabus zugleich eine Art Erhöhung und Heiligung seiner selbst.“
Pack, Ratten, Mob und Dunkeldeutsche
Der seit Jahren propagierte Multikulturalismus ist die adäquate gesellschaftliche Form für eine innerpsychische Reinigung von vergangenen Verbrechen. Die Erlösungsgeschichte findet in seinem Namen ihren präzisen Ausdruck. Nicht mehr die Befreiung des einheimischen Arbeiters (er gilt als besonders anfällig für „Rechtspopulisten“), sondern ethnische und kulturelle Minderheiten stehen nun im Mittelpunkt einer ausufernden Antidiskriminierungs- und Anerkennungspolitik. Das Gute und Heilige kennt dabei keine Differenzierung. Jeder Einwanderer oder Asylant ist per se eine Bereicherung, niemand darf nach seinem Nutzen oder nach seinen individuellen Haltungen bewertet werden. Egal, ob fundamentalistischer Moslem oder reaktionärer Patriarch, alle Menschen sind willkommen: „In dieser quasireligiösen Kollektivneurose nimmt der Migrant“, so der Publizist Michael Ley, „den Status des Unantastbaren ein, dessen empirische Erscheinung nicht thematisiert werden darf. Die Rollen sind eindeutig definiert: in den Migranten verdichten sich unbewusst die Opfer der deutschen bzw. europäischen Geschichte, denen eine Gesellschaft gegenüber steht, die sich ihrer historischen Verantwortung nicht bewusst ist und im Grunde so rassistisch handelt wie frühere Generationen.“
Der amerikanische Politikwissenschaftler Paul Gottfried sieht im heute von allen sog. progressiven Kräften propagierten Multikulturalismus eine rein kompensatorische Ideologie, die nach dem Zusammenbruch des Sozialismus quasi eine Leerstelle füllte. Über eine ubiquitäre Schuld-Rhetorik der liberal-christlichen Mehrheit gegen sich selbst greife, so Gottfried, „ein Opfer- und Minderheitenkult“ um sich, der, unter Ausnutzung eines weit verbreiteten Selbsthasses, Europäern (und in geringerem Ausmaß) US-Amerikanern suggeriere, sie müssten sich für ihre Geschichte und Herkunft schuldig fühlen und Buße für „diskriminierendes Verhalten“ der Vergangenheit und Gegenwart leisten:
„Das liberale Christentum verbindet nämlich die modischen Rituale westlicher Selbstablehnung, in denen die tradierten protestantischen Auffassungen über Individualität und Gleichheit mitschwingen, mit dem gefallenen Stand des Sünders bzw. Ausdrucksformen wie Selbsterniedrigung und Selbsterhöhung, wie sie sonst Heiligen zu eigen sind.“
Deshalb ist es eine weit verbreitete Pflicht und ein Ausweis hoher Moral nicht nur für deutsche Politiker geworden, „rassistische Anteile“ der eigenen Bevölkerung – ich erinnere an Begriffe wie Pack, Ratten, Mob, Dunkeldeutsche – lautstark medial anzuklagen, moderne Entsprechungen der öffentlichen Buße heiliger Männer in einer Welt, die als xenophob und zutiefst verdorben eingestuft wird. Wir haben noch viel gutzumachen. Vielleicht ist dieses (unbewusste) Motiv der Hauptgrund dafür, dass die von der offiziellen Politik in Deutschland verordnete Akzeptanz einer ungeregelten Einwanderung zu einer Art „Bußpflicht“ geworden ist, selbst wenn sie, wie ich vermute, in großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird.
Keine Artikel über verzweifelte Einheimische
Niemand spricht im Übrigen darüber, was der millionenfache Zustrom für diejenigen bedeutet, die die Integration der Neuankommenden in ihrem Lebensumfeld faktisch zu bewerkstelligen haben. Den Dauergeschichten sympathischer Flüchtlinge in den Haltungsmedien stehen keine Geschichten von verzweifelten Einheimischen gegenüber, deren Welt sich gegen ihren Willen verändert, die ihre Straße, ihr Dorf, ihre Stadt nicht mehr erkennen und ihr vertrautes Umfeld zunehmend als fremd wahrnehmen. Allein wer eine solche Äußerung des Fremdseins, des Verlustes an Heimat, des Unwillens, die von außen erzwungenen Veränderungen zu begrüßen, von sich gibt, wird von den Tugendwächtern sofort als ewiggestrig denunziert und in den Medien als Beispiel für den latenten Ausländerhass in Deutschland vorgeführt.
Den manischen Schuldvorwurf an die eigene Herkunftskultur findet man zwar speziell auf Seiten der politischen Linken, inzwischen hat er aber auch in der CDU und sogar in Teilen der CSU eine Heimat gefunden. Der Althistoriker Egon Flaig bringt den Menschentypus unserer Zeit, wie er sich vor allem in grüner Politik findet, auf den Punkt: „Sein ethisches Ideal ist ein unermüdliches Entrüstetsein, was zu ständiger Überbietung beim Anklagen und Beschuldigen anfeuert.“
Die Lust an der Buße trägt dabei unzweifelhaft masochistische Züge. Dass – in der Regel – illegale Einwanderer im Herbst 2015 an deutschen Bahnhöfen mit Stofftieren und Applaus begrüßt und im Spiegel als „Symbole der Hoffnung“ bezeichnet wurden, war mehr als eine hysterische Reaktion. Denn mit ihrer grenzenlosen Aufnahme konnte Deutschland zeigen, dass es bereit ist, seine nationale und egoistische Identität abzulegen. Ein Land, das seine Verbrechen endlich sühnen kann und die Chance erhält, den Beweis für seine Läuterung anzutreten. Denn Deutschland sieht sich selbst immer noch als eine drohende Gefahr für Andere. Diese herbeiphantasierte Gefahr war und ist auch immer ein wichtiges Argument für die Notwendigkeit der EU gewesen, denn die Deutschen, so die Überzeugung, müssen in Schach gehalten werden, sonst gibt es keinen Frieden in Europa. 1994 schrieb der spätere grüne Außenminister und heutige Lobbyist Joschka Fischer in seinem Buch mit dem Titel Risiko Deutschland sinngemäß: „Deutschland muss von außen eingehegt, und innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi verdünnt" werden.“ Und der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen, erklärte 2010 in der Sendung Maybrit Illner:
„Wir sollten bitte nicht vergessen: dieses ganze Projekt ‚Europäische Einheit‘ ist nur wegen Deutschland nötig geworden. Es geht immer dabei darum, Deutschland einzubinden, damit es nicht zur Gefahr für andere wird. Das dürfen wir in diesem Land nicht vergessen.“
Typisch deutsche Selbstüberhebung
Mit dem realen militärischen Potenzial Deutschlands haben diese Ängste schon lange nichts mehr zu tun. Wir haben es heute mit einer Verschiebung der politischen Hysterie der Deutschen auf ein neues Feld zu tun, in dem ein moralischer Rigorismus und Universalismus an die Stelle imperialer oder verbrecherischer Ziele getreten ist. Der ungarische Staatsrechtler István Bibó hat in der eigentümlichen Selbstüberhebung und Heilsapologie der Deutschen das Kennzeichen einer Politik gesehen, die ihre inneren Widersprüche und Unfähigkeiten auf Ziele und Objekte außerhalb ihrer realen Möglichkeiten richtet. Eine Art Heilslehre, die die eigene Position als die einzig Richtige verkündet und einer pädagogischen Intention folgt, die alle anderen bekehren möchte: „Weil sie (die Deutschen) sich in den eigenen Belangen nicht zurechtfanden, wollten sie andere belehren. Den eigenen Missständen konnten sie nicht abhelfen, deshalb verkündeten sie, dass die Genesung der Welt von ihnen komme.“
Der permanente Schuldvorwurf an die eigene Gesellschaft ist dabei die Voraussetzung für eine innere Läuterung. Deutschland sieht sich heute als Vorreiter einer Transformation, die sich aktuell, neben der Beschwörung des Multikulturalismus und Antirassismus, in der Klimafrage am Deutlichsten zeigt. Denn hier kann die eigene Schuld an den Zuständen der Welt auf ein neues Feld projiziert werden, das eine alte Schuld, Kolonialismus und Faschismus, mit einer neuen, dem anthropogenen Klimawandel, zusammenbringt. Zitat:
„Nicht nur, dass es vor allem Länder des Globalen Nordens sind, die für die historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und von ihnen profitiert haben – auch der Prozess, in dem diese Emissionen zustande kamen, ist von Gewalt gezeichnet. Die Forscherin Françoise Vergès spricht daher nicht vom Anthropozän, sondern vom rassistischen Kapitalozän. Würden antikoloniale Perspektiven auf die Klimakrise und die Einbeziehung von Ökosystemen gelten (…) so wäre dies ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Solidarität.“
Der bereits in die Debatte eingeführte Begriff Klimarassismus ist deshalb die ideale Synthese einer ubiquitären Schuld, wie eine Autorin der taz in einem Satz betont: „Im Kolonialismus liegt der Ursprung der Klimakrise.“ Deshalb sind auch viele der Klimaaktivisten überzeugt, dass wir nur dann überleben können, wenn der westliche Kapitalismus endet. „System Change, not Climate Change“, lautet das bekannte Motto. Der Klimawandel, so die dringliche Botschaft, lässt sich nur stoppen, wenn „das System“ abgeschafft wird. An dieser Stelle wird erkennbar, dass der „Klimaflüchtling“ die ideale Synthese zweier auf sich selbst konvergierender Diskurse ist. Denn jeder eingetretene Schaden, jeder negative Zustand auf anderen Kontinenten, wird mehr und mehr auf eine einzige Ursache zurückgeführt, den Klimawandel, den wir, die westliche Welt, zu verantworten haben. Deshalb können auch peruanische oder samoanische Bauern den deutschen Staat auf Wiedergutmachung verklagen, nimmt er ihnen doch die Grundlagen ihrer Existenz. Weitere Millionen von Migranten aus Afrika, dem Nahen Osten oder Südasien werden so in Klimaflüchtlinge verwandelt, die in Europa Anspruch auf Asyl haben. Das Opfernarrativ, nun an den Klimadiskurs adaptiert, passt wunderbar in den Sündenstolz unserer Wohlstandsgesellschaft.
Pendant zur Genitalverstümmelung sei Schönheitsoperation
Abschließend lässt sich zusammenfassen: Je mehr westlich-kulturelle Elemente eine Gesellschaft aufweist, umso stärker wird sie kritisiert. Das ist ohne Risiko und die Pose des Mutigen, der gegen die Mächtigen aufsteht, darf gratis eingenommen werden. Es gilt: nur wenn man weiße alte Männer bzw. „den Westen“ mit Unrecht und Elend in Verbindung bringen kann, ist die Empörung der Wohlfeilen wirklich groß. Die Hinrichtung von Homosexuellen im Iran, Genitalverstümmelungen in Afrika oder mitten in Deutschland, vergewaltige Haussklavinnen in Katar oder arabische Gewalttäter auf unseren Straßen finden allgemein kaum Resonanz bei den Dauerempörten. Sind wir, so die bekannte These, doch auch nicht besser. Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun propagiert in diesem Sinne, dass das westliche Pendant zur Genitalverstümmelung die Schönheitsoperation ist. Letztere ist natürlich viel schlimmer, da eine subtilere Form der Gewalt. Die Verhüllung der Frau im Islam ist für von Braun auch nichts gegen die sexistische Enthüllung westlicher Frauen. Also steht es uns wirklich nicht zu, andere Kulturen und ihre Eigenheiten zu kritisieren.
Das irakische Gefängnis Abu Ghraib wurde auch erst ein dominantes Thema, als das US-amerikanische Militär der Folter überführt wurde. Dass dieselben Kritiker die Folterpraktiken zu Zeiten Saddam Husseins beklagten, ist nicht zu vermuten. Im Prinzip handelt es sich hier um eine zynische Ignoranz, ein Büßerritual, das Verbrechen und Untaten nur dann anklagt, wenn sie allein dem Westen angelastet werden können. Dafür darf man sich dann besonders subversiv fühlen, moralische Überhöhung inbegriffen. Vor der chinesischen, iranischen oder nordkoreanischen Botschaft für Menschen- und Frauenrechte demonstrieren, gegen Islamistenvereine, türkische Rechtsextremisten (Milli Görus, Graue Wölfe) oder kriminelle Araberclans in Deutschland auf die Straße gehen, als Homosexueller in Russland zu demonstrieren, geschweige denn in Riad, dafür gehört schon ein wenig mehr Mut, als eine demokratische Gesellschaft anzugreifen, in der man in entspannter Sicherheit lebt und sich trotzdem als Revoluzzer sehen darf. „Sand im Getriebe“, „unbequem“, „Stachel im Fleisch“, „Antifaschismus“, Kampf gegen rechts – so lauten die bekannten Formeln der eigenen Erbauung. Die Fundamentalkritik am Westen, an seinem Rassismus und seinen Verbrechen ist heute nur noch ein braves Mitläufertum, das sich seiner Bewunderung durch Gleichdenkende sicher sein kann. „Der Ort der Konformität“, so Albert Camus’ Einschätzung in den 1950er Jahren, „ist heute die Linke.“ Das ist er auch geblieben.
Liegt dem allen, neben dem Wunsch nach Selbstzerstörung, aber nicht ein unbewusster Paternalismus zugrunde? Viele Bürger Europas ertragen es nicht, dass die Gewalt und das Unglück der armen Länder zuallererst das Werk dieser Länder, ihrer Regierungen und ihrer korrupten Eliten selbst ist. Der Andere existiert hier nur als Objekt der Fürsorge, niemals trägt er Verantwortung für seine Taten, stets sind sie von außen aufgezwungen, Resultat von Diskriminierung oder fremder Mächte. Diese Erklärung zeigt aber exakt die Grundzüge des kolonialistischen Denkens: Aufhebung der (nationalen) Souveränität und Freispruch von moralischer Verantwortung, die den anderen in den Status eines unmündigen Kindes versetzt. Man kann so im ständigen Insistieren auf die eigene Schuld, die zugleich alle Verantwortung für die Übel der Welt für sich reklamiert, eine umgekehrte Form des Imperialismus sehen. Eine als Antirassismus getarnte Vormundschaft. Größenwahn, Hybris und Selbsthass gehören vor allem in Deutschland untrennbar zusammen und haben mit der Ampel-Regierung eine toxische Mischung angenommen, die immer mehr Grund- und Freiheitsrechte zugunsten einer erträumten Weltrettung beiseite räumt und alle nationalen Interessen verleugnet.
Was immer die historischen Verbrechen des Westens anbelangt, er bleibt und ist die einzige Quelle weltweit, die seit langem eine Gegenbewegung zu Gewalt und Unterdrückung herausgebildet hat. Individuelle Freiheit, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Frauenemanzipation. Es gibt überhaupt keinen Grund für die westliche Zivilisation, sich von autoritären Staaten und tribalistischen Kulturen sagen lassen zu müssen, man handle stets in tiefstem Sinne rassistisch oder neokolonialistisch. Dasselbe gilt auch für die mit aggressiven Schuldvorwürfen agitierenden (hauptsächlich muslimischen) Minderheiten in den westlichen Staaten selbst. Der Selbsthass und die eigene Bußfertigkeit, die in der Abwertung des Eigenen eine Tugend erblickt, sind aber so tief in den kulturellen Traditionen einer protestantisch geprägten Schuldkultur verwurzelt, dass jegliche Abwehr der täglichen Vorwürfe als moralisches Versagen und herzlose Haltung erscheint. „Wer aber den Sieg des Infamen verhindern will“, so der französische Philosoph Alain Finkielkraut, „muss Schluss machen mit der Idee, dass die Erniedrigten, Beleidigten, Verdammten dieser Erde stets unschuldig sind, auch wenn sie Schuld tragen, und dass die ‚Herrschenden‘ stets schuldig sind, auch wenn sie unschuldig sind.“
Damit endet diese Reihe. Teil 1 findet sich hier, Teil 2 hier.
Dieser Text ist ein Vortrag, den der Autor im April 2023 für die Reihe Audimax des Radiosenders „Kontrafunk“ gehalten hat.
Dr. Alexander Meschnig studierte Psychologie und Pädagogik in Innsbruck und promovierte in Politikwissenschaften an der HU Berlin. Auf Achgut.com analysiert er unter mentalitätsgeschichtlicher und psychologischer Perspektive die politische Situation Deutschlands.