Wie jede gute deutsche Hausfrau weiß, ist jetzt Algenzeit. Seit ich vegan esse, bin ich natürlich auf dem Laufenden. Nie schmecken Algen so gut wie in den Wintermonaten, dann sind die Bedingungen unten im Meer am besten. Man serviert die Passe Pierre Algen mit Nudeln. Schmeckt wunderbar. Wirklich! Jean-Christian Jury unterhält in Berlin das Restaurant „La Mano Verde“ (http://www.lamanoverde.de). Eine Freundin, Gastronomie-Journalistin, befand, dass ich den Ort kennenlernen sollte. Ich bekam erst ein bisschen schlechte Laune, danach siegte meine berufliche Neugierde. Ich wählte für den Abend in kämpferischer Laune meine schönste Lederhandtasche (ich besitze keine aus Stoff) und stellte mich innerlich auf unerfreuliche Diskussionen und noch unerfreulichere Sojagerichte ein.
Da ich mal in der Gegend des Restaurants gewohnt habe, erinnerte ich mich an eine akzeptable Dönerbude; dort wollte ich mich nach dem Ausflug in die Soja-Welt stärken. Das Restaurant befindet sich in Berlin-Mitte, allerdings in einem Landstrich, dem man keinen schicken Einschlag nachsagen kann, also in der Scharnhorststraße zwischen BND-Großbaustelle und Hauptbahnhof. Für Notfälle aller Art offeriert das Bundeswehr-Krankenhaus seine Dienste. Mutig, hier ein veganes Paradies zu eröffnen, dachte ich mir, als wir mühelos vor der Tür einen Parkplatz fanden (auch selten in Mitte). Das Restaurant: schlicht und mit viel Kerzenlicht, keine selbstgeschnitzten Stühle, handgeklöppelten Servietten, von Veganern in dritter Generation handgeblasenen Gläser oder ähnlichen pc-Schnickschnack.
Zwei Dinge sind hier überzeugend. Zum einen hat der Küchenchef Sojageschnetzeltes rigoros von der Karte gestrichen. Zum anderen ist der Restaurantbesitzer Franzose und er sagt lächelnd, dass er Veganer sei, sobald er das La Mano Verde („Die grüne Hand“) betritt. Außerhalb dann eher nicht. Das macht ihn sympathisch. Außerdem kann man mit ihm wunderbare Gespräche über Käse führen.
Vegan, aber essbar würde ich das Konzept hier nennen. Genauer: ziemlich lecker. Unwiderstehlich. Das erste vegane Gourmet-Restaurant in der Currywurst- und Döner-Metropole Berlin zu eröffnen, ist ein mutiger Akt. Aber Mitleid braucht Jean-Christian Jury nicht. Er plant frohgemut Dependancen in München, Stuttgart, Paris, Düsseldorf, London, Kopenhagen und Zürich. Er weiß, was er tut und vor allem, wie. Vegan deluxe. Hochwertig, aber bezahlbar. Die Gastrokritiker, darunter die vom „Feinschmecker“, sind begeistert von Tomaten-Consommé mit Shiitakepilzen und Wasserkastanien, Birnenrisotto mit Thymian (6,50 Euro), weißen Bohnen und kandierten Walnüssen (15,50 Euro), Spaghetti mit Passe Pierre Algen (15,50 Euro), Aubergine im Knusperbeutel (7,50 Euro) oder Zitronengras-Kokos-Crème Brûlée (6,50 Euro).
Menschen, die gern ein Steak essen, aber zuweilen vernünftig sein wollen, was ihre Ernährung betrifft und in der grünen Hand einkehren, nennt man hier „Flexitarier“. Mischköstler also, die bewusst einen grünen Tag einlegen. Einen, wohlgemerkt. Menschen also, die das Thema vegan entspannt angehen. Beschwingt und begeistert verließ ich das Lokal und verteilte fortan Jeans Visitenkarten unter Freunden. Alle, ausnahmslos alle, guckten mich entsetzt an und lehnten veganes Essen ab. So kam ich auf die absurde Idee, mich probeweise eine Woche lang vegan zu ernähren. Fazit: Hätte nicht sein müssen. Als Diät super, weil man innerhalb sieben Tagen drei Kilo abnehmen kann. Ansonsten gehe ich jetzt gerne in die „Grüne Hand“. Als Flexi-Irgendwas. Nach meiner Horrorwoche bin ich versöhnt und aufgerichtet. Sollte jemand Interesse an einer Packung Vanille-Soja-Milch haben, Mail genügt.