Archi W. Bechlenberg / 15.07.2018 / 06:15 / 11 / Seite ausdrucken

Das Anti-Depressivum: Musik und Standesamt

Bevor ich zur Musik von Esbjörn Svensson komme, der vor genau 10 Jahren im Juni 2008, mit nur 44 Jahren bei einem Tauchunfall ums Leben kam, hab ich noch schnell einen Traum von heute Nacht aufgeschrieben. Sowas soll man ja sofort festhalten, sonst ist es weg. Also dann:

„Guten Tag. Nehmen Sie bitte Platz. Und, was kann ich für Sie tun?“
„Ich komme wegen einer Namensänderung. Genau gesagt, zweien.“
„Aha. Sie sind Herr...?“ 
„Führer, mein Name ist Führer.“ 
„Die Führerscheinstelle ist Parterre. Hö Hö! Kleiner Scherz! Was stört Sie an Führer?“ 
„Nichts, gar nichts. Es geht ja auch nicht um mich, sondern um die Zwillinge.“ 
„Die Zwillinge..."
„Ja, unsere beiden. Ein Junge und ein Mädchen. Die kommen jetzt nach den Ferien in die Schule.“
„Das ist schön für sie. Und was hat das mit den Namen auf sich?“ 
„Also, ihre Mutter und ich, wir machen uns Sorgen. Die Beiden werden ja schon lange von den anderen Kindern gehänselt. Heute sagt man wohl dazu gemobbt...“ 
„Wegen ihrer Namen? Die heißen doch wohl nicht Kevin und Chantal?“ 
„Wo denken Sie hin! Meine Frau und ich, wir sind beide Akademiker. Nein, die heißen Christian und Christiane.“ 
„Schöne alte Namen. Was ist daran falsch?“ 
„Eigentlich nichts. Aber von den anderen Kindern werden sie deswegen beschimpft und sogar bespuckt, und man nennt sie Kuffer oder so. Ja, und Köter. Haben Sie so etwas schon gehört?“ 
„Öfters.“ 
„Die Kinder wollen gar nicht mehr raus. Kaum jemand will mit ihnen spielen, und wenn, dann sind sie immer Opfer.“
„Langsam verstehe ich. Ihre Kinder sind, so vermute ich mal, nicht in einem privaten Kindergarten...“ 
„Iwo. Sie sind bei der AWO. Im Hort 'Rote Rüpel'. “ 
„Und da sie vermutlich auch nicht auf eine private Schule kommen...“
„Richtig. Wir halten nichts von elitären Parallelgesellschaften. Sie sollen auf die Hilde-Benjamin-Grundschule in Steglitz. Aber wir fürchten, da wird das mit dem Hänseln noch viel schlimmer.“ 
„Das ist anzunehmen, Herr Führer. Das hat natürlich Gründe. Christian, Christiane... Denken Sie nur an die christlichen Kreuzritter...“ 
„Aber da war mein Junge doch gar nicht mit dabei! Der kann nicht mal reiten! Und die Kleine interessiert sich auch nicht für Pferde, sie steht mehr auf Einhörner.“ 
„An welche Namen haben Sie denn gedacht?“ 
„Ja, das ist jetzt nicht so einfach. Meine Frau meint ja, wir sollten die naheliegende Lösung nehmen und ihn Mohammed nennen.“ 
„Ist natürlich nicht falsch gedacht. Aber ich rate von Mohammed ab. Sie können dann schlecht einen Rufnamen verwenden. So wie Chris bei Christian. Hammi? Metti? Das klingt doch völlig haram! Hammi, du hast dein Mettbrötchen noch nicht aufgegessen...“ 
„Wir sind Vegetarier.“ 
„Sie bestehen also auf Mohammed?“ 
„Na ja...“ 
„Und das Mädchen?“ 
„Da dachten wir an Aishe.“ 
„Das können Sie unmöglich ernst meinen. Als Deutscher!“ 
„Wieso? Viele Mädchen im Hort heißen Aishe.“ 
Und dann heißt Ihre Tochter zukünftig Eiche Führer? Womöglich ist sie auch noch blond?“
„Ja, hellblond. Wie ihre Mutter. Ein goldiges Kind. Möchten Sie mal ein Bild?“
„Na, da würde Eiche ja wirklich passen. Am besten lassen Sie dann noch den 'Führer' in 'Rustikal' ändern. Nebenher gefragt: Wie heißt denn Ihre Frau?“
„Führer. So wie ich.“ 
„Und mit Vornamen?“
„Tinni. So wie Tinnitus. Kchchchchch...“
„Tinni kommt aber nicht von Tinnitus, Herr Führer, sondern von Christine. Das kann so nicht bleiben. Und nun erzählen Sie mir nur noch, Ihr Vorname laute Adolf...“
„Leider nicht. Unser Gemüsetürke an der Ecke sagt immer, als Adolf Führer hätte ich selbst als Kuffar höchstes Ansehen im Viertel. Aber ich heiße Hermann.“
“Tja, dumme Sache. Das war zwar auch einer von denen, aber der ist im Orient nicht so bekannt.“
„...genauer Hermann Josef.“
„Beneidenswert, zwei Doppelzentner Hinkefuß! Aber trotzdem nur B-Mannschaft.“
„Eigentlich bin ich ja auch bloß wegen der Zwillinge hier. Ich habe mir extra frei genommen und die Schicht mit dem Kollegen Ibrahim getauscht...“ 
„Schicht? Ich denke, Sie sind Akademiker?“ 
„Ja auch. Und Taxifahrer...“
„Alles klar. Um so wichtiger, effektiv zu handeln. Also machen Sie Nägel mit Köpfen. Die Kinder sollen sich doch wohl fühlen in der Schule. Mein Vorschlag, Herr Führer: Ali und Fatima. Das klingt geradezu märchenhaft nach 1001 Nacht! Und wenn wir schon mal dabei sind: für Ihre Frau schlage ich Dunja vor, und für Sie auf jeden Fall Adolf. Es sei denn...“ 
„Ja?“
„Sie ziehen woanders hin und schicken Ihre Kinder auf eine Waldorfschule.“
„Das ist nicht möglich. Wir sind zwar Akademiker, aber ich bin Doktorant in Treibhausgas-Geschichte, und meine Frau fragt was mit Gender, 12,5 Stunden die Woche. Einen Umzug können wir uns nicht leisten...“
„Na dann hole ich mal vier Antragsformulare.“

Und hier die Kultur:

Als vor genau 10 Jahren, im Juni 2008, Esbjörn Svensson mit nur 44 Jahren bei einem Tauchunfall ums Leben kam, verlor die Musikwelt – und nicht alleine die europäische – einen der bedeutendsten Musiker. An der Musik seines Trios e.s.t. orientieren sich bis heute zahlreiche Bands und Instrumentalisten und haben so eine Musik weiter entwickelt, die laut dem britischen Independant „den Beweis dafür liefert, dass Jazz nun nicht mehr eine Kopie dessen sein müsse, was in den USA passiert.

e.s.t. gewann nicht zuletzt dadurch eine enorme Poupularität, dass die drei Musiker überall mit atemberaubenden Liveauftritten für genreübergreifende Begeisterung sorgte. Die „Rockband, die Jazz spielt“, brachte ganz und gar neue Töne auf Bühne und Tonträger. Einer dieser Liveauftritte ist nun als Doppelalbum erschienen. e.s.t. live in London aus dem Jahre 2005 beweist, dass die Gruppe zu immer neuen Höhenflügen fähig war. Daher ist dieses Doppelalbum auch alles andere als ein eher beliebiger Fund aus der Grabbelkiste der Konzertmitschnitte. Hier zeigt sich das Trio wahrhaftig in absoluter Höchstform. Ich bin eigentlich ganz gut vertraut mit dem Studio- und Livework von e.s.t. Vertraut, aber derart hymnisch-explosiv wie auf Live in London habe ich The Unstable Table & The Infamous Fable vom mehr als 100.000 Mal verkauften Album Viaticum noch nie gehört. Man sieht beim Hören die drei athletischen Musiker sofort vor sich, wie sie sich und ihren Instrumenten alles abverlangen. Sensationell, so wie das ganze Doppelalbum. Eine ganz große Veröffentlichung, deren Stellenwert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Nicht nur für e.s.t. Verehrer.

e.s.t. Live in London, ACT 9040-2, Doppel CD, auch auf Vinyl erhältlichEsbjörn Svensson

Live At Wackerhalle, Internationale Jazzwoche Burghausen, 2. Mai 2004

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Lars Bäcker / 15.07.2018

Esbjörn-Svensson-Trio. Schon beim Anspielen des Videos steht mir das Wasser in den Augen. Glücklicherweise durfte ich die Gruppe im Jahre 2005 live auf den Leverkusener Jazztagen sehen. Das war wirklich eine magische Atmosphäre. Geklatscht wurde immer nur zum Ende eines Stückes, da wohl niemand, mich eingeschlossen, auch nur einen winzigen Ton verpassen wollte. Ein Erlebnis, das ich hoffentlich nicht mehr vergessen werde.

Werner Arning / 15.07.2018

Die Begegnung von (linken) Akademikern mit der Realität, über den Umweg ihrer Kinder, erinnert mich an ein Erlebnis. Kurz nach Merkels Grenzöffnung erlaubte ich mir, auf einer Geburtstagsfeier selbige zu kritisieren. Die Gastgeber, Akademiker, waren empört darüber. Es kam fast zum Rauswurf. Meine Argumente wurden höchst emotional gekontert, die Freundschaft um ein Haar aufgekündigt. Und natürlich wollten meine linksgrünen Freunde ihren Sohn in eine örtliche Gesamtschule gehen lassen, die, man kann behaupten, einen bunten Ruf genießt . Das war noch in 2015. Die Einschulung in die Gesamtschule steht nach den Sommerferien 2018 an. Neulich traf ich den betreffenden Jungen (eher Typus Sensibelchen) und fragte ihn, ob er denn nun ab dem Sommer in die Gesamtschule gehe. Er meinte, seine Eltern haben sich zwischenzeitlich umentschieden. Er werde nunmehr in ein Gymnasium in einem Nachbarort gehen.

Alfred Vail / 15.07.2018

Wir werden als eiskalte Nazis tituliert, zu keinen Gefühlen mehr fähig… Und dann entdeckt man, dass die “eiskalten” Gesinnungsgenossen die selbe Liebe zu Esbjörn Svensson haben. So schlimm kann es mit uns noch nicht sein ;-)

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