Herbert Ammon, Gastautor / 01.11.2018 / 11:00 / Foto: Infrogmation / 34 / Seite ausdrucken

Chrismon Spezial: Ein Kessel Buntes

Die "Zeit" vom letzten Donnerstag beglückte den Leser mit einem beigelegten Magazin namens  "Chrismon Spezial", mit einer Erläuterung in rotem Kreis "zum Reformationstag am 31. Oktober 2018". Und die Feiertage erlauben gerade, das auch zu lesen.

Auf dem Titelblatt begrüßen Iris Berben mit nachdenklichem Gesicht und Martin Schulz mit freundlichem Lächeln den Leser mit der gemeinschaftstiftenden Botschaft "Wir müssen laut werden".

Titel und  Untertitel ("Martin Schulz und Iris Berben übers Hinfallen und Aufstehen und den Aufbruch den wir jetzt brauchen") machen deutlich, was den Leser im Interview erwartet: Selbstverständlich kein Aufruf zur kollektiven Beschleunigung des Abgangs der Kanzlerin Merkel – das Interview wurde vor der Hessenwahl und vor Merkels halbem Rückzug geführt –, sondern die allfällige Ermahnung zur Abwehr der Gefahren von "rechts". Immerhin erfahren wir auch allerhand Lustiges:  Schulz hat unlängst in Sao Paolo "den ehemaligen brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva" besucht, "der jetzt im Gefängnis sitzt – auch einer, der von ganz oben abgestürzt ist." Außerdem erklärt er – einst Jesuitenschüler, jetzt nicht mehr religiös – auf die Frage nach seiner spirituellen Praxis ("Schon mal in der Kirche eine Kerze angezündet?"), er zünde Kerzen für den Sieg des 1. FC Köln an, beispielsweise vor ein paar Jahren in Paris, "als der FC gegen Bayern München 0:2 zurücklag." Das habe geholfen. Der FC siegte 3:2.

Iris Berben erlaubt sich einen islamkritischen Witz über den Himmel, wo "manche Muslime" auf "72 unbekannte Jungfrauen rechnen" dürfen. Sonst gilt ihr Engagement dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. "Ich verstehe nicht, warum die Demonstrationen gegen die Rechten so zaghaft sind. Das macht mich fassungslos." Offenbar sind ihr bei den Demonstrationen bislang jene Aktionen entgangen, die weniger zaghaft sind.

In seinem Editorial freut sich der EKD-Ratsvorsitzende und "Chrismon"-Herausgeber Heinrich Bedford-Strohm darüber, dass in den  norddeutschen Bundesländern – er ignoriert offenbar die Lage in der Bundeshauptstadt – der Reformationstag "als gesetzlicher Feiertag auf Dauer eingeführt" wurde. Ob sich die VW-Bosse in Wolfsburg darüber gefreut haben, scheint fraglich, ebenso, ob die muslimischen Neubürger mit der protestantischen  Reformation viel anfangen können (wohl aber mit dem freien Schul- und Arbeitstag). "Das tut nicht nur der Seele gut. Wir können daraus auch Kraft gewinnen für unser gesellschaftliches Engagement." Nichts anderes ist von jenem halbsäkularisierten Geist des deutschen Protestantismus zu erwarten, der sich ungeachtet der schwindenden Glaubens- und Kirchenbindungen sowie allgemein angesichts der Demographie  in seiner festen Burg sicher wähnt – solange die Kirchensteuer das Wohlbefinden sichert.

Zwei junge Gesichter, ohne und mit Kopftuch

Im "Chrismon Spezial" äußern sich "fünf Studierende und Auszubildende" zu Glaubensfragen. In einem Interview erläutert  Lola ("26 Jahre, studiert Germanistik und evangelische Religionslehre in Münster und engagiert sich bei den Grünen") ihren durchs Studium erweiterten evangelischen Glaubenshorizont: "Jesus hatte oft sozialpolitische Ideen, Nächstenliebe zum Beispiel, daraus kann ich ein modernes politisches Programm formen." Die Studentin ist auch mit Bibelkritik vertraut ("Die Evangelien sind nicht von Gott geschrieben..."), was hermeneutische Fragen aufwirft, denn "auch die Übersetzung aus dem Griechischen ist subjektiv geprägt: Übersetze ich das Wort junge Mutter oder Jungfrau?" Gemeint ist wohl die Bezeichnung (und Bedeutung) Mariens als parthenos. Lolas Gottesbegriff ist multikultitauglich: "Auch im Hinduismus, im Buddhismus, im Islam, im Judentum kann ich Gott treffen. Gott ist der Gleiche, auch wenn er anders heißt. Man glaubt an Gott, die religiöse Form ist abhängig von sozialen Gegebenheiten."

Auf den nächsten Seiten geht´s, wie auch anders, um den interreligösen Dialog, vor allem zwischen den "drei abrahamitischen Religionen."  Am Helmut-Schmidt-Gymnasium in  Hamburg gibt es eine von Lehrern und ehemaligen Schülern gebildete Gruppe GIRA ("Gesprächsrunde für interreligiösen Dialog"): "Bei den Gesprächen geht es oft um den Islam und um Erfahrungen mit Diskriminierung, um das Islambild von Donald Trump, aber auch ums Deutschsein, um religiösen Gruppenzwang, den Hitzestau unter dem Kopftuch (sic!), oder ganz praktisch: Wie halal muss das Schulessen sein?"

Den Artikel über religiöse Vielfalt  ("Schön, meine vielen Facetten") und Dialog illustrieren Moschee und Kirche, dazu die  christlichen und jüdischen Symbole. In fröhlicher Eintracht strahlen zwei junge Gesichter, ohne und mit Kopftuch, den Leser an. Es handelt sich um Neta-Paulina Wagner (christlich-jüdisch), die über Landkarten in den Köpfen von Palästinensern an der Universität Nimwegen eine Doktorarbeit schreibt, und um Larissa Zeiger (28 J.). Die ist seit fünf Jahren Muslima. In Kreuzberg geboren, besuchte sie dort eine anthroposophische Schule. Für Religion hat sie sich lange wenig interessiert. Doch bereits mit 21 Jahren führte sie im KZ Ravensbrück Workshops mit Jugendlichen durch, "ließ sie mit Videokameras das Gebäude und Gelände erkunden." Jetzt, fest mit Kopftuch im wahren Glauben stehend, schreibt sie in London "an ihrer Magisterarbeit über den jüdisch-islamischen Dialog."

Der "Chrismon"-Redakteur Burkhard Weiz macht sich Gedanken über die Herkunft der Menschenwürde und der Menschenrechte. Mit einem der Leserschaft inzwischen vertrauten Begriff erläutert er den historischen Hintergrund der UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948: "Ein Populist versprach 1933: Deutschland den Deutschen". Des weiteren geht es ihm um die Klärung der Kontroverse über die historische Herkunft der Begriffe: aus dem Gottes- und Menschenbild des Christentums oder aus der antikirchlichen Kritik der Aufklärer? Zum Reformationstag wird auch Luther mit seinem Gewissensbegriff  als Mitschöpfer der transzendenten Menschenwürde zitiert. Zuvor heißt es: "Jede Religion, jede Kultur der Welt kennt Fairness, Gastfreundschaft, Solidarität mit Schwachen, das Ideal der Gleichheit aller, den Schutz vor Folterung und Erniedrigung." Hier irrt der Verfasser gründlich.

In dem erwähnten Interview erklärt Martin Schulz, dank der seit seiner Zeit als Bürgermeister von Würselen hochgeschätzten Rolle der Kirchen für die Erhaltung des Sozialstaats zahle er "seine Kirchensteuer gern." Oft genug, nicht allein nach der Lektüre des "Chrismon-Spezial" zum Reformationstag, fragt sich der Leser, für welch gutgemeinte Zwecke seine Kirchensteuer dient. Unlängst war zu lesen, dass die EKD beabsichtige,  die Zuschüsse für die konservative, zu "evangelikal" eingefärbte Zeitschrift "idea" zu streichen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Herbert Ammons Blog.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Adolf Murmelstein / 01.11.2018

Italien ist auf dem besten Weg seine christliche Bevölkerung buchstäblich mit einer islamischen auszutauschen. Zwischen 2008 und 2016 haben 500000 Italiener ihr Land verlassen. Darüber hinaus haben 300000 Polen, Ukrainer, Ungarn, usw. das Land wieder den Rücken gekehrt (es gibt nichts mehr zu holen). Im selben Zeitraum verdoppelte sich die Anzahl kulturfremder Einwanderer (Asien, Afrika) in Italien. Der oberste Verwalter der Christenheit in Rom scheint das wenig zu kümmern. Warum? Hier ein sachdienlicher Hinweis. F. T. Marinetti – Schöpfer des italienischen Futurismus – wurde in Alexandria/Ägypten geboren, wo er sehr früh mit der islamischen Welt (Islam, Koran, Muslimbrüder, etc.) in Berührung kam. Eine Nähe zwischen Islam (Muslimbrüderschaft) und italienischer Faschismus (Katholizismus) z. B. in Fragen der Familie, Frau, Lebensführung allgemein, sind hier kein Zufall. Sehen Sie auch eine Parallel zu Huellebecqs „Unterwerfung“? Der Faschismus wird auf jeden Fall kommen – nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland – und zwar schleichend und in Form der Totalüberwachung. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.

Frank Stricker / 01.11.2018

Wenn Helmut Schmidt auf Wolke 7 wüßte , dass an einem Gymnasium mit seinem Namen ernsthaft diskutiert wird , wie “Hitzestau unterm Kopftuch” zu beheben ist , er würde seine Marlboro Menthols zu einer Pershing 2 formen und auf die Erde donnern lassen!!

Gabriele Schulze / 01.11.2018

Eine Schande ist es, daß an sich ehrenwerte Themen und Bemühungen religionsphilosophischer Art so zu einem Brechmittel werden.

Hans-Jörg Jacobsen / 01.11.2018

Der Artikel bestärkt mich in meinem langjährigen Tun, stets diese unverlangte Werbung mit spitzen Fingern aus der Sonntagszeitung zu fingern und ungelesen direkt der weiteren Verwendung als Altpapier zuzuführen.

Joachim Lucas / 01.11.2018

Die zitierten Aussagen der Zeitgeistkirchen-Anhänger und Hobbytheologen sind an Beliebigkeit, halb- und Ganzunwissen, fehlender Menschenkenntnis und spätpubertärem Geschwafel nicht zu übertreffen. Ein Dokument grenzenlos-naiver Philanthropie wohlbehüteter Ahnungsloser.

Rudolf George / 01.11.2018

Leider verkümmert die evangelische Kirche immer mehr zu einem glorifizierten Sozialverein mit Steuerprivileg. Die frohe Botschaft tritt hinter den linksgrünen Zeitgeist zurück. So macht man sich selbst überflüssig: traurig.

Anton Huber / 01.11.2018

Der ehemalige Bürgermeister von Würselen zahlt seine Kirchensteuer selbst! Vielleicht sollte sich der ehemalige Bürgermeister von Würselen, ehemaliger Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat, ehemaliger Buchhändler, ehemaliger Ehemaliger daran erinnern, daß er den größten Teil seines ehemaligen Lebens noch keinen nennenswerten Mehrwert für die Gesellschaft erschaffen hat, sondern vom Mehrwert den andere erschufen und immer noch erschaffen sich ein fürstliches Auskommen erschlich und immer noch erschleicht. Somit bezahlen eigentlich jene, die den Steuersäckel prall halten seine Kirchensteuer, jedoch nicht so gerne.

Werner Brunner / 01.11.2018

Schulz , Berben und Bedform-Strohm ...... Drei äußerst intellektuelle Überflieger meinen etwas von sich geben zu müssen ... Welche Volltrottel nehmen das Geseiere von denen eigentlich ernst ? Es wäre dringend ein vielstimmiger Choral des Restes der Bevölkerung bei diesem schrecklichen Dreigestirn angebracht : ” Oh Herr , schmeiß Hirn vom Himmel ! Die Drei können es brauchen ! “ Vielleicht hilft es ja ...... Ich habe da aber so meine Zweifel .....

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com