Rainer Bonhorst / 17.10.2020 / 01:00 / Foto: Hohum / 82 / Seite ausdrucken

Bye bye EU, hello Canzuk?

Mal wieder ist mit dem EU-Gipfel eine Brexit-Deadline verstrichen, ohne dass man sich in Liebe näherkam. Die nächste ist für Mitte November schon erfunden, obwohl Boris Johnson seine Landsleute nun noch energischer als bisher auf einen Abschied ohne Handelsabkommen einstimmt. Die endgültige Deadline ist der Jahreswechsel, es sei denn Endgültigkeit ist nicht mehr das, was sie früher mal war. Aber irgendwann heißt es für Brüssel: „Byebye Britannien“. Und dann? Was sagen die Briten dann? Vielleicht sagen sie „byebye Europe, hello Canzuk“! Canzuk? Na klar: Canada, Australia, New Zealand, United Kingdom. Die Anglosphäre, eine ganz alte inoffizielle Beziehung.

Was im vielsprachigen Kontinentaleuropa mit seiner Verkehrssprache „bad English“ oft vergessen wird: Es gibt eine Welt der englischen Muttersprache, in der die Sonne nie untergeht. Auch wenn die nostalgischen Sehnsüchte mancher Briten nach dem verlorenen Weltreich sich im Reich der Phantasie bewegen, kulturell gibt es noch einen stattlichen Rest des alten Empire. 

Ganz oben: wie gesagt, die Sprache und die gemeinsame kulturelle Geschichte. Shakespeare ist nicht nur einer aus Stratford on Avon, er ist ebenso in Toronto, Sydney und Christchurch zu Hause und braucht dort keinen Übersetzer. 

Und die gemeinsame politische Tradition. Die Parlamente in Ottawa, Canberra und Wellington zeigen in Architektur, Stil und Gebräuchen eine starke englisch-demokratische Note. Die Queen als Staatsoberhaupt muss man in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnen, aber sie ist ja auch noch da. 

Nicht immer grün, aber doch sehr nah.

Erwähnen aber sollte man das Rechtssystem, das von Kanada über Australien bis Neuseeland seine englischen Wurzeln erhalten hat und weiter pflegt. Man urteilt nicht römisch wie bei uns sondern nach Präzedenzfällen. Auch das verbindet.

Ja, es gibt eine angelsächsische Welt da draußen, die sich, wie jede Verwandtschaft, zwar nicht immer grün ist, aber doch sehr nah. Frankreich liegt zwar nur ein paar Kilometer jenseits des Kanals, aber psychologisch sind der Nordatlantik und der Pazifik für viele Briten leichter zu überwindende Gewässer. 

Und es gibt eine Menge Leute, die von Canzuk als Alternative zur EU träumen. Sobald sich die Insel von Brüssel ganz befreit hat, ist sie auch frei, mit den anderen drei eine ebenso enge Union einzugehen, wie bisher mit Europa: schrankenloser Handel und dazu Reisefreiheit und Niederlassungsfreiheit für alle. So dass eine Managerin aus Melbourne oder ein Ingenieur aus Edmonton sich so problemlos zwischen den vier Anglo-Welten bewegen kann wie heute die EU-Bürger in ihrem Gäu. 

Nur ein Traum? Boris Johnson träumt ziemlich heftig von dieser Alternative. In Kanada macht sich die konservative Opposition für Canzuk stark. In Australien träumt die Opposition ganz ähnlich. Während man in Neuseeland auch regierungsoffiziell das Wort Canzuk in den Mund nimmt. Vor allem aber: Die Völker der vier Länder sind fast von Kopf bis Fuß auf Canzuk eingestellt. Von knapp siebzig Prozent (Britannien) bis über 80 Prozent (Neuseeland) der Canzuk-Bürger fänden eine solche Verbindung der Angelsachsen prima.

Was spricht dafür? Einmal die bereits geschilderte, historisch und kulturell verwurzelte Wahlverwandtschaft. Aber ebenso ein Teil der ökonomischen Gegenwart: Alle vier Länder gehören zu den Reichen dieser Welt. Es wäre eine Verbindung der Krösusse. Und zwar demokratischer Krösusse mit liberalen Grundsätzen, von einer freien Wirtschaft bis hin zu den Bürgerrechten. Eine Gesellschaft freier, mündiger, wohlhabender Bürger.

Britannien ist das bunteste Land von allen

Eine Gesellschaft reicher weißer Bürger, sagen Kritiker, obwohl das so nicht mehr stimmt. Alle vier Länder sind heute ethnisch viel bunter als es auf den ersten Blick erscheint, Britannien ist das bunteste Land von allen. Und mit seinen rund 65 Millionen Menschen mit Abstand das bevölkerungsreichste. Weshalb Canzuk-Gegner die Neuauflage eines alten, von London dominierten Empires wittern. 

Was spricht wirklich dagegen: die schlichte Tatsache, dass der Ärmelkanal psychologisch ein Ozean sein mag, in nautischen Meilen aber eben nur ein, wenn auch gelegentlich stürmisches Wässerchen. Im wirklichen Leben bedeutet das: Handel und Wandel macht man am einfachsten mit seinen Nachbarn, auch wenn man sie nicht so lieb hat wie die entfernte Verwandtschaft. Der Austausch zwischen der Insel und dem benachbarten Kontinent (zuletzt 450 Milliarden Euro) ist ein Gigant im Vergleich zu den zaghaften Handelsbeziehungen der Briten mit den elend weit entfernten Mitangelsachsen. Kanada geht ja in Meilen gerade noch, aber Australien oder gar Neuseeland – das sind Antipoden. Weiter weg ist nur der Mond. Auch im Zeitalter der Globalisierung sind das Entfernungen, die einen flotten und umfangreichen Handel zu einem mühsamen Geschäft machen. Beispiel Kanada: Das Land exportiert 75 Prozent in die USA und gerade mal drei Prozent nach England. Australien und Neuseeland treiben ihren Handel vorzugsweise mit Ostasien, weil's bequem ist. 

Und noch etwas: Kanada und Australien sind zwar riesige Länder, aber eben auch leere. Die Bevölkerung Kanadas (38 Millionen), Australiens (25 Millionen) und auch Neuseelands (viereinhalb Millionen) hätte zusammen locker Platz im Königreich, auch wenn dieses Inselreich noch eine Spur kleiner ist als Neuseeland. Zusammen bringt man es auf knapp 140 Millionen. Da sind die seit dem Ausstieg Englands nur noch 450 Millionen EU-Europäer doch eine andere Nummer. So schnell wird man den Handel mit diesem dicken Nachbarn nicht durch den Handel mit den deutlich dünneren entfernten Verwandten ersetzen können.

Nein, kurzfristig sicher nicht. Aber mittel- und langfristig? Auch in der Politik ist Blut auf Dauer dicker als Wasser. Boris Johnson steht der EU nicht ganz so verloren oder gar alternativlos gegenüber wie mancher Berufseuropäer das gerne hätte. 

Potenzial: als eine dritte Großmacht des Westens

Und was ist mit Amerika? Die USA kommen in den Canzuk-Träumen nicht vor, aber eine hilfreiche spezielle Beziehung zu London gibt es auch in Washington. Und sei es im Zweifel nur die Muttersprache. Das eindeutig Angelsächsische, das die anderen vier verbindet, hat sich in den USA allerdings verflüchtigt. All die Spanisch-Sprecher und nicht zu vergessen die Mehrheit der Amerikaner mit deutschen Wurzeln. (Wie der Präsident.) Und all die Iren, wie Joe beiden einer ist. All das hält Amerika raus aus Canzuk, aber doch in einem angenehmen Verwandtschaftsverhältnis. Auch das hilft. 

Doch selbst allein hätte die Canzuk-Gruppe mit ihren immerhin 140 Millionen Wohlstandsbürgern durchaus Potenzial: als eine dritte Großmacht des Westens mit seiner Freiheitstradition und damit als weiterer Gegenpol zu den Autokraten in China und Russland. 

Ob Boris Johnson das noch als Premierminister erlebt, ist eine andere Frage. Aber er würde sicher für sich beanspruchen, mit seinem „byebye EU“ den Anstoß zur Verwirklichung dieses alten Traums gegeben zu haben. 

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Leserpost

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Hermann Sommer / 17.10.2020

@Paul Siemons: Britannia wird nie verloren sein, da müssen schon ganz andere Gegner kommen, das hat der blonde blauäugie Adolf nicht geschafft, das wird auch die blonde blauäugige Uschi und die frühere FDJ-Vorsitzende nicht schaffen!

Marco Stein / 17.10.2020

Die EU Technokraten fürchten einen möglichen wirtschaftlichen Erfolg der Briten nach dem Brexit sehr. Am liebsten sähen sie die Briten wirtschaftlich scheitern um dann schadenfroh die verbliebenen EU Staaten auf Linie zu zwingen, damit es ihnen nicht so ergeht wie den Briten. Ich persönlich wünschen den Briten alles Gute und der EU die Rückabwicklung zur EWG.

Thomas Brox / 17.10.2020

Die ersten Jahre nach dem Brexit werden für GB nicht leicht, trotzdem war die Entscheidung richtig. Nahe liegende Optionen für den Handel sind: USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Russland, Belarus, Türkei. Hinzu kommen trotz allem einige EU-Länder. Eventuell kann GB das EU-Korsett aufbrechen und mit einigen EU-Ländern bilaterale Abkommen abschließen. ++ Aufgrund der riesigen Containerschiffe sind die Transportkosten heute relativ gering, auch wenn um die halbe Welt verschifft wird. Daher könnte Asien (Indien, China, Japan, ... ) für GB wichtig werden. Und dort geht die Post ab. ++ Die hoffnungslos unfähige und abgehobene EU-Nomenklatura und die genauso unfähigen Regime in der Kernstaaten werden die EU in zehn bis zwanzig Jahren soweit herunter gewirtschaftet haben, dass das Bürokratie-Monstrum anfängt zu zerfallen. Die Zeit arbeitet für GB.

S.Wietzke / 17.10.2020

Großbritanniens Wirtschaft ist genau so kaputt (in vielen Bereichen kaputter) wie auf dem Kontinent. Die “Buntheit” zerlegt schon jetzt das Land. Hier ist der Irrsinn dem auf dem Kontinent sogar voraus. Den Wahnsinn des Westens machen sie auch überall mit. Sie hängen zwar nicht mehr an Brüssel, kriegen ihr Land aber genau so ruiniert, wie der restliche Westen. Denn die Fäulnis, die die westliche Zivilisation ergriffen hat ist überall dieselbe. Leichte Geschmacksunterschiede ändern daran nichts.

Sabine Schönfelder / 17.10.2020

Hartwig@ Hübner, ein wahres Wort. Adel bzw. Inzucht führt unausweichlich in die Dekadenz. Siehe den alten Prinzen Scharrls an. Wünschte eine Fee hätte damals seinen Wunsch erfüllt, als er Camillas Tampon sein wollte. ...und Ruhe wär!

Gabriele Klein / 17.10.2020

So schön es auch wäre, das wird so nicht kommen. Denn wir haben ein nach Gorbi geschwächtes Rußland, Ein expandierendes China, (bitte googeln Sie unter Chinese Police und Ländernamen, Sie sehen dann,wo überall China durch bereitstellen der “inneren Sicherheit” das bedeutet auch Einsicht in die sensibelsten Daten eines Landes bereits den Globus durch seine Polizeikräfte patrouilliert. Bitte Huawei dabei nicht vergessen)  Hinzu kommt ein durch die Wiedervereinigung erstarktes Deutschland das sich nicht wie erhofft in Europa eingegliederte sondern umgekehrt Europa als Sprungbrett nutzt um die DDR Mantren der 50er Jahre neu zu beleben, Dies mit Hilfe der Chinesen, denen man sich im Gegenzug als Bettvorleger andient. Ein Weltkrieg scheint mir die logische Konsequenz dieser Konstellation, ausgetragen in Europa , vorangetrieben durch ein größenwahnsinniges jenseits sämtlicher Realitäten schwebendes Deutschland . Davon bleiben die Briten nicht verschont aus geographischen Gründen alleine.  Weiterhin wäre da dann noch die UN, deren Blaupause die Europäische Kommission ist, Wie die EU sehe ich sie deutlich erkennbar vermehrt von alten linken, teils in der DDR sozialisierten Eliten genutzt um eine Art EU Kommission auf Weltniveau zu errichten. D.h. , selbst wenn der Brexit aus der EU gelingt stünde der aus der UN immer noch an. Einer UN bei der ich die ursprüngliche Friedensmission nicht erkennen kann und die ich als Hauptursache weltweiter, durch fast alle Länder gehenden Spaltungen erkenne.  Diese scheinen mir von der UN geschickt erzeugt, um ganze Gesellschaften zu destabilisieren. Bitte googeln Sie in diesem Zusammenhang unter Taskforce, UN und Achim Steiner, der sie mit anführt u.der laut Internet ehe er Administrator d. UNDP wurde, im RNE von Frau Dr. Merkel saß. Er ist auch Vice Chair der CCICED einer Umweltorganisation d. Chinesischen Kommunistischen Partei.

Sabine Schönfelder / 17.10.2020

Gerd@Werz, das sehe ich genau wie Sie. Das Commonwealth bietet immer noch wirtschaftliche Vorteile für England und in Canzuk sehe ich, ökonomisch-politisch betrachtet, das geringste Potential. Eine Rote mit globalen Transformationsplänen und ebensolchen Unterstützern, sowie ein australisches Oberhaupt, das eigentlich so gut wie abgewählt war und „wie durch ein Wunder gewann“, setzt jetzt diktatorisch einen Impfzwang durch für einen Impfstoff, der noch nicht einmal ERFUNDEN ist. Das stinkt bis zum HIMMEL!  Da sehe ich keine demokratische Nähe zu England. Hoffen wir auf Trump. Da steckt noch viel wirtschaftlicher Aufschwung drin, in dieser amerikanisch-englischen Verbindung. Und die EU? Muß mühsam mit Corona und gedrucktem Geld seine eigene Existenz aufrechterhalten und TROTZDEM sind die östlichen Staaten zu keiner Migrantenaufnahme bereit! Die Reichen werden ihr Geld VOR einer digitalen Währung, welche die EU zur weiteren „Kaschierung“ ihrer Wirtschaftsinkompetenz anstrebt, aus der EU herausschleusen. Daß weltweit gleichzeitig das Bargeld abgeschafft wird, halte ich für unwahrscheinlich. Johnsons größtes Problem ist seine grüne „Verlobte“. Eine schlechte Ratgeberin und SEIN Tribut an SEINE Eitelkeit und schwindende Potenz.

B. Oelsnitz / 17.10.2020

Nachtrag (Nr. 1) - @ G. Giesemann: Beim Brexit geht es m. A. n. nicht um das ehemalige British Empire, sondern um ETWAS, was Dumm-Land nicht hat, und zwar um den STOLZ EINER NATION. Wäre ich Engländer, würde ich es mir auch verbeten, als ehemalige Alliierten-Macht von einem Verlierer mit einer FDJ-Drohne an der Spitze vorschreiben zu lassen, was ich zu denken und zu tun habe. Die Frau zeigt Tendenzen von Schwachsinnigkeit, dies hängt wohl mit ihrer, für alle in der Vergangenheit ersichtlichen Erkrankung zusammen. Über Kranke soll man nicht urteilen und richten, sondern sie verdienen besondere Nachsicht und Fürsorge!

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