„brand eins“ und die Migration: Wir werden alle reich!

Ich bin jüngst über einen Beitrag in brand eins gestolpert, der wunderbar exemplarisch bestimmte Argumentationsmuster offenbart. Der Journalist Christoph Koch stellt zunächst die durchaus spannende Frage „Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären?" – und wartet gleich zu Beginn mit einer bemerkenswerten Erkenntnis auf. Koch schreibt: "Die erstaunlichste Folge [offener Grenzen] wäre ein deutlich höherer Wohlstand für alle." 

Zur Begründung fügt er an: "Wirtschaftsforscher ermittelten in vier unterschiedlichen Studien, dass sich das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) um einen Wert zwischen 67 und 147 Prozent erhöhen würde. Der Grund: Eine Arbeitskraft, die von einem armen Land in ein wohlhabendes zieht, entfaltet – unter anderem durch einen effizienteren Arbeitsmarkt sowie bessere Arbeitsbedingungen und Hilfsmittel – eine erheblich höhere Produktivität." Als quasi Kronzeuge zitiert Koch einen Wirtschaftsprofessor, der glaubt: "Das führt sowohl in den Sender- als auch den Empfängerländern zu mehr Wohlstand“.

Wie das mit Hypothesen so ist, könnte die des Professors am Ende sogar stimmen – oder eben nicht. Allerdings setzt sie mindestens voraus, dass es sich bei den Zuwanderern tatsächlich um Arbeitskräfte handelt. Also um Personen, die kurz- bis mittelfristig auch wirklich arbeiten und Geld verdienen, das sie hier ausgeben und nach dort verschicken können. Dafür wiederum braucht es bestimmte Grundlagen, wie einen gewissen Grad an Bildung, Lesen und Schreiben, die Verfügbarkeit passender Arbeitsplätze oder einen Arbeitgeber, der den entsprechenden Bewerber am Ende einstellt.

Noch etwas anderes ist in diesem Zusammenhang aber wesentlich entscheidender: Denn entgegen Kochs Behauptung sagt das Bruttoinlandsprodukt rein gar nichts über den Wohlstand eines Landes aus – und erst recht nicht über den Wohlstand eines einzelnen Bürgers. Weder hier noch in Lummerland. Bemerkenswert, dass es die Mär vom "steigenden BIP gleich steigenden Wohlstand" dennoch in ein (seriöses) Wirtschaftsmagazin geschafft hat. Dem Autor sei dank.

Sehr kreative Schlussfolgerungen

Doch das Muster ist wahrlich kein neues: Kochs Beitrag kommt auf den ersten Blick ganz seriös daher, tatsächlich aber geschieht genau das, was wir im Rahmen der Migrationsdebatte regelmäßig erleben. Er verkauft wenig Aussagekräftiges als handfeste Erkenntnisse, schlussfolgert ein bisschen zu kreativ und relativiert gleichzeitig, wo Zahlen und Fakten partout nicht zur Botschaft passen wollen, etwa bei der Kriminalität.

Koch schreibt zum Beispiel: "In den USA begehen Migranten weniger Verbrechen und landen fünfmal seltener im Gefängnis als US-Amerikaner." Das stimmt, nur bezieht sich auch diese Statistik ausschließlich auf die USA, und die hat bekanntlich keine offenen Grenzen. Zeitgleich erweckt Koch dadurch einen zumindest in Teilen falschen Eindruck. Denn die allermeisten Gefängnisinsassen in den USA haben – und auch das ist Teil der Wahrheit – einen nicht-westlichen Migrationshintergrund. In Deutschland wiederum werden Menschen aus dem afrikanischen und arabischen Raum überproportional häufig zu Straftätern. Über die konkreten Ursachen lässt sich selbstverständlich streiten. Aber so zu tun, als gäbe es diese Zahlen nicht, bringt niemanden weiter – am wenigsten den Autor selbst.

Fehlerhafte Schlussfolgerungen, Halbwahrheiten und Hypothesen, die als Tatsachen verkauft werden, ziehen sich durch den gesamten Beitrag. In den sozialen Medien fleißig geteilt wird er selbstredend dennoch, weil sich in ihm die schiefe Weltsicht mancher "No borders, no nations"-Utopisten widerspiegelt. Und wo eine geliebte Utopie, da kein Platz für ungeliebte Wahrheiten. Das ist heute nicht anders als während der Flüchtlingskrise 2015.

Im Fall von Kochs Artikel allerdings zum Glück, möchte ich betonen, denn sonst wäre ich nicht auf das folgende und letzte hier erwähnte Schmankerl seines Textes gestoßen. Als Begründung, warum sich ohnehin weniger Menschen als befürchtet auf den Weg machen würden, schreibt Koch: "Als die USA 1986 ihre Grenzen zu den Föderierten Staaten von Mikronesien öffneten, sagten viele Beobachter einen Massenexodus aus dem verarmten Inselstaat voraus. In den 14 Jahren bis zur Jahrtausendwende siedelten jedoch gerade mal sechs Prozent in die USA über." Die Wanderungsbewegungen des prä-digitalen Mikronesiens als ein entscheidendes Argument für die finale Abschaffung aller weltweiten Grenzen also. Da muss man erst mal drauf kommen.

Dieser Beitrag erscheint auch auf Ben Krischkes Blog.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Dieter Kief / 13.07.2018

Sinn und Raffelhüschen sind die Koch-Gegenspieler. Koch und Bertelsmannstiftung - die Bertelsmannstiftung brachte es grad kürzlich wieder: Immigration ist ein Geschäft! Ja, ist es für die klassische FDP-Klientel: Anwälte, Hausbesitzer, Gewerbetreibende. Apotheker, Ärzte usw. ... - Aber es hat noch keine moderne Volkswirtschaft gegeben, die von derlei Kostenverursachern hätte leben können. - Was die einen verdienen mit der Migration, wird den andern abgeknöpft. Das ist die ganze Geschichte. Sinn und Rafflhüschen sagen: Der nämliche Migrant, wie er seit J a h r e n über die Grenze kommt, kostet den deutschen Steuerzahler 450 000 Tausend Euro. Koch und “Brand eins” versuchen halt auch ihr Süppchen zu kochen an Angela Merkels und Kubickis und Lindners und Göring-Eckharts Feuerstelle. Freilich: Ihre Speise ist zum Speien!

S. Schleitzer / 13.07.2018

Mal ehrlich, Herr Krischke - sind Sie über den Artikel gestolpert oder über die bereits erfolgte, hervorragende Aufarbeitung durch Herrn Pirincci? Dieser war eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Martin Wessner / 13.07.2018

Muss noch schnell vor “Ladenschluss” zusätzlich einen Kommentar schreiben, denn ich sehe nämlich gerade, dass diese Seite eine “Partnerschaft” mit ZEIT-Online hat. Da braucht man sich auch nicht mehr über Artikel wie, “Was wäre, wenn in den USA alle privaten Waffen verboten würden?” und “Was wäre, wenn alle illegalen Drogen erlaubt würden?” groß wundern. Welchen Spin, welchen Bias, welche Tendenz so ein Magazin hat, dürfte einem nämlich anschließend sofort klar sein: Ganz viel rot und noch vielvielmehr grün. Im Übrigen, der Autor bezieht sich in seinem Artikel ständig auf die USA. Dieses klassische Einwanderungsland ist allerdings kein Sozialstaat, wie es die meisten europäischen Nationen sind. Wer nach Deutschland oder Schweden einwandert, der weiss ganz genau, dass er in diesen beiden Ländern auch ohne Arbeit gut und gerne leben kann, da er ein Anrecht hat vom Staat bis zu seinem Lebensende versorgt zu werden, wenn er aufgrund seiner nicht ausreichenden Wettbewerbsfähigkeit keine Chance besitzt auf dem Arbeitsmarkt einen Job zu finden. Das lockt natürlich ein ganz anderes Klientel an, als jene, die ins volle Risiko gehen und ihr Glück im “Raubtierkapitalismus” der USA zu suchen. Als US-Bürger mit einem Pass hat man das Recht auf genau 60 Monate Sozialunterstützung in seinem gesammten Arbeitsleben. Hat man sein Konto aufgebraucht, so ist man anschliessend auf sich selbst gestellt. Game over. Ein Modell, das vermutlich auch den neuneoliberalen Sozialsstaatsabschaffer Jakob Augstein sehr zupass bzw. sehr gefallen würde.

Martin Wessner / 13.07.2018

Koch hätte schreiben sollen: “In den USA begehen LEGALE Migranten MIT EINER GREENCARD” weniger Verbrechen und landen…usw.” Dann hätte es gepasst, denn diese Personen sind vorher durchgecheckt worden und sind in der Regel gut gebildet, besitzen englische Sprachkenntnisse und haben es daher auch nicht nötig ihr hohes Einkommen mit illegalen Aktivitäten aufzubessern. Zu dem Thema gibt es übrigens einen hervorragenden Artikel von Prof. Gunnar Heinsohn auf Tichys Einblick, der klar macht, dass sich für ein Land Einwanderung nur dann lohnt, wenn der Immigrant mindestens genausoviel und mehr Kompetenzen besitzt als der statistische Durchschitt der Bewohner des Ziellandes. Deshalb lassen bsw. die Japaner auch niemanden rein, denn das durchschnittliche Kompenzniveau der einheimischen japanischen Bevölkerung ist so hoch, dass eigentlich nur Nobelpreisträger und Universitätsprofessoren eine Chance hätten Neubürger des Inselstaates zu werden. Ähhh, ach ja und was Micronesien betrifft: Würden 6% der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents (quasi “Macroafrikanien”) den Drang verspüren nach Deutschland auszuwandern, so wären das immerhin 72 Millionen Menschen. Ähhh….ob da das Wort “nur” ebenfalls angebracht wäre? Und wir reden hier nur von Afrika!

Jochen Brühl / 13.07.2018

Solche Kochs identifizieren auch genau zwei Länder auf diesem Planeten ohne Armut, da sie die Deutsche Armutsdefinition nehmen, die da lautet: Einkommen unterhalb von 60% des Durchschnittseinkommens. Und sie kommen dann darauf, dass Kuba und Nordkorea frei von Armut sind und offene Grenzen den Wohlstand eines Sozialstaates mehren.

Wulfrad Schmid / 13.07.2018

Lustig, mit welch spinnerten “Forschungsergebnissen” heutzutage Kohle gemacht wird. Und man sieht ja, wie die eingeströmten Millionen in Deutschland danach geifern, ihre Produktivität zu erhöhren. Leider vorwiegend auf Gebieten wie Vergewaltigung, Raub, Drogen, Mord usw usw… Alles Bereicherung unserer ach so armen Kultur. Und unser aller Wohlstand steigt stetig, quasi mit jedem neuen “Zuwanderer”, die paar Euro, die uns die “Noch nicht so lange hier Lebenden” kosten, das sind ja Peanuts.

Tobias Schuster / 13.07.2018

Ich glaube, der Autor könnte durchaus Recht haben, geht aber von falschen Voraussetzungen aus. Die Voraussetzungen, unter denen seine Behauptungen wahrscheinlich stimmen würden, wären: Absolut kein Sozialstaat, das absolute Recht nach Belieben zu diskriminieren, sowie entweder eine sehr sehr fähige Polizei, wobei höhe Fähigkeiten und Behörden normalerweise an unterschiedlichen Enden der Fahnenstange angesiedelt sind, oder ein sehr weitreichendes Notwehrrecht, das Sicherheit herstellt. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorhanden sind, kann man nicht rein makroökonomisch argumentieren, weil der freie Markt verzerrt ist.

von Kullmann / 13.07.2018

In 14 Jahren 6% der afrikanischen Bevölkerung nach Europa ohne Grenzen zeigt ein wahrhaft “mikronesisches Denken” des Au-Thors Koch.

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