Rainer Bonhorst / 15.01.2022 / 16:00 / Foto: Kuhlmann/MSC / 20 / Seite ausdrucken

Boris Johnson im Tsunami

Das waren ungewöhnliche Szenen im britischen Unterhaus. Dass von allen möglichen Ecken der Oppositionsbänke der Rücktritt des Premierministers gefordert wurde, war nur in dieser Häufung und Tonschärfe ungewöhnlich. Aber Boris Johnson selber! Strubbelig wie immer, aber zerknirscht, wie man ihn nie gesehen hat. Er räumte Fehler ein und bat immer wieder um Entschuldigung. Ein scheinbar unverwüstlicher Regierungschef schien zu taumeln. Und das nur zwei Jahre nach einem großen konservativen Wahlsieg, der fast an die Siege Margaret Thatchers heranreichte.

Was war geschehen? Politisches Versagen? Gescheiterter Brexit? Der aktuelle Hauptgrund, vor dem Boris Johnson derart ins Schleudern geriet, war die Party-Freude seines Regierungsteams, an der er offenbar fröhlichen Anteil hatte. Was ist so schlimm an ein paar lockeren Zechereien in und draußen vor der Nummer elf Downing Street, gleich neben der Nummer zehn, dem offiziellen Amtssitz des Premierministers? Es war das Timing.

Denn das fröhliche Zechen fand zu einer Zeit statt, als Boris Johnson seinen Landsleuten einen strikten Corona-Lockdown verordnet hatte. Nicht einmal Familien durften sich besuchen. Todkranke mussten einsam sterben, wie die Oppositionspolitiker teils den Tränen nahe, teils genüsslich anhand tragischer Beispiele schilderten. Dies in der sicheren Erwartung, dass Boris Johnson jedes Mal Asche auf sein ungescheiteltes Haupt streuen musste. Der Vorwurf lautet: Arroganz der Mächtigen. Das Volk leide, während die Regierungs-Elite ihre eigenen Regeln missachte und unbekümmert drauf los feiere.

Die Jagdszenen im Unterhaus waren der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die vorher schon auf einem anderen Gelände stattgefunden hatte: in den Medien. Englands Medienlandschaft ist, ähnlich wie die amerikanische, schärfer als in Deutschland in konservative und linke Publikationen getrennt. Die konservativen Publikationen, die zum Teil dem australischen Medien-Giganten Rupert Murdoch gehören, sind energische Verfechter des Brexit. Die Häuser, die der Labour-Partei näher stehen, bedienen die Brexit-Kritiker und Johnson-Gegner des Landes.

Sturm von Freund und Feind

So war es jedenfalls lange Zeit. Inzwischen hat sich der Wind überraschend gedreht. Nicht so sehr gegen Englands Austritt aus der EU, wohl aber gegen Boris Johnson selber. Denn die konservativen Brexit-Freunde gehen auf Distanz zu ihrem bisherigen Champion. Die klassischen Johnson-Kritiker spüren Extra-Rückenwind. Dem Premierminister bläst inzwischen ein Sturm von Freund und Feind ins Gesicht.

Diesen Sturm hat er selber heraufbeschworen. Der Brexit ist zwar nicht die Katastrophe geworden, die die Gegner vorhergesagt haben. Aber von den großen Versprechungen der Johnson-Riege ist kaum etwas eingetreten. Die Briten quälen sich im Alltag mit allerlei Problemen herum, die das neue Grenzregime zwischen der Insel und der EU hervorgerufen hat. Und zu allem Überfluss können sie in Nordirland bewundern, wie gemütlich es sein könnte. Der nördliche Teil der irischen Insel, der zum Königreich gehört, boomt wie noch nie, weil er weiter zum Binnenmarkt und zur Zollunion der EU gehört. Bisher ist es der Regierung nicht gelungen, überzeugende Antworten auf die vielfältigen Probleme zu finden.

Darum die inzwischen immer häufigere Kritik auch der konservativen Medien: Boris Johnson versäumt, aus dem Brexit die versprochene tolle Zukunftsperspektive zu machen. Das allein ist es aber nicht. Hinzu kommt die Moral beziehungsweise der Mangel an Moral. „Sleaze“, sagen die Engländer dazu.

Ein großes Ärgernis war bereits, dass Johnson und seine neue Ehefrau Carrie Symonds ihre Wohnung in der Downing Street nicht für die erlaubten 30 000 sondern für mehr als 100 000 Pfund renovieren und einrichten ließen, zunächst auf Rechnung eines großzügigen Spenders. Erst im Nachhinein erkannte Johnson den politischen Schaden, den das Geschenk bringen konnte, und zahlte murrend selber.

Und dann die Partys. Die Enthüllungen über die Feierfreude seines Teams kamen in den Medien tröpfchenweise und wirkten wie eine chinesische Wasserfolter. Nach jedem Leugnen erschienen neue Belege und Fotos, dass die kritisierten Begegnungen keine Arbeitssitzungen waren, wie es Johnson darzustellen versuchte. Und dass nicht nur die Leute um ihn herum gefeiert haben, sondern dass der Chef mit von der Partie war.

Bangende Hinterbänkler

Einer, der nicht mehr dabei war, ist Johnsons langjähriger engster Berater Dominic Cummings. Der war auf Druck der Hausherrin Symonds aus der holden Dreisamkeit vertrieben worden. Nun gilt er als rächender Hauptverdächtiger, wenn gefragt wird: Wer versorgt die Medien eigentlich mit immer neuen Peinlichkeiten aus den Häusern Downing Street zehn und elf?

Boris Johnson lehnt in diesem Vielfronten-Kampf bisher alle Rücktrittsforderungen ab. Wie lange er das durchhalten kann, hängt von seinen eigenen Parteifreunden ab. Denn zum großartigen Wahlsieg dieses Premierministers gehört, dass er an die 50 Wahlkreise gewonnen hat, die traditionell eher zu Labour oder zu den Liberaldemokraten neigen. Diese neuen Tory-Sitze vor allem im Norden Englands, wackeln, wenn die Brexit-Enttäuschung zunimmt und der Wahlsieger als arrogant und herzlos wahrgenommen wird. Je mehr bei Boris Johnson der Lack abbröckelt, desto mehr bangen die konservativen Abgeordneten auf den neuen Hinterbänken um ihre Zukunft. Und desto stärker wird die Sehnsucht nach einem neuen Zugpferd.

Schnell wird ein Wechsel des Zugpferds mitten im Strom wohl nicht gehen. Noch gibt es keinen überzeugenden Ersatz. Jedenfalls keinen, der sich traut. Aber der Glauben, dass Boris Johnson, der den Briten nach ewigem Hin und Her endlich den Brexit gebracht hat, ein Langzeitprojekt wie Angela Merkel wird, schwindet dahin wie der Schnee auf dem Mount Snowdon.

Interpreten der Körpersprache mussten beim aktuellen Auftritt Johnsons im Unterhaus den Eindruck gewinnen: Da ist ein Mann in einen Tsunami geraten und kämpft verzweifelt dagegen an, dass ihn die Flut hinwegschwemmt.

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Leserpost

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Frank Stricker / 15.01.2022

Mein Tip, Boris Johnson durch Brian Johnson ( AC/DC) ersetzen, dann klappts auch mit den Garten-Partys….....

Franz Klar / 15.01.2022

“Englands Medienlandschaft ist, ähnlich wie die amerikanische, schärfer als in Deutschland in konservative und linke Publikationen getrennt.” Das gilt möglicherweise für die Bonhorstrepublik Deutschland . Im real existierenden Schland muß der Satz lauten : ” Englands Medienlandschaft hat , ähnlich wie die amerikanische und im Gegensatz zur deutschen   noch Reste von konservativen Publikationen ” . Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit .

Gus Schiller / 15.01.2022

Die Causa Kurz lässt grüßen. Der Weg ist zwar anders, aber das Ziel identisch. Er muss weg, what ever ist takes.

Ludwig Luhmann / 15.01.2022

“Und das nur zwei Jahre nach einem großen konservativen Wahlsieg, der fast an die Siege Margaret Thatchers heranreichte.” - BoJo ist als aktives Mitglied des WEF ein Volksverräter von Schwabs Gnaden! Schwabs Ziel ist die Zerstörung alles dessen, was Konservative zu erhalten gedachten. (Übrigens: Sadiq Khan ist ab und zu zu Gast in Davos!).—- “Todkranke mussten einsam sterben, wie die Oppositionspolitiker teils den Tränen nahe, teils genüsslich anhand tragischer Beispiele schilderten.” - Nicht nur das. Viele wurden wahrscheinlich mit Midazolam in die ewigen Jagdgründe befördert. Es wurde auch empfohlen, dass Lernbehinderte und geistig und körperlich Behinderte nicht wiederbelebt werden sollten. Bei diesen Kriminellen des WEF handelt es sich um völlig skrupellose Eugeniker! - Aber was erzähle ich hier mal wieder für Verschwörungstheorien, die gestern im Artikel “Der große Reset muss warten” eindrucksvoll zerredet wurden. Zerredet und weggewischt von einem Mann, der folgende Meinung vertritt:«Ich kritisiere nicht den Islam, sondern den Islamismus» - Claude Cueni.—- Im lauwarmen Mainstream zu schwimmen, verbietet allerdings das Tiefseetauchen. Man will, kann und darf die Ungeheuer nicht erkennen und auch nicht benennen!

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