„Der Ökologismus ist heute eine der einflussreichsten Religionen der westlichen Welt,“ schrieb einmal der verstorbene Schriftsteller Michael Crichton („Jurassic Park“). „Es scheint die bevorzugte Religion urbaner Atheisten geworden zu sein.“ Crichton hat gut beobachtet: In dem Maße wie das traditionelle Christentum erodiert, erobert der Ökologismus das Denken und Fühlen der Menschen in Nordamerika und Europa. Das Bedürfnis nach Religion scheint tatsächlich eine anthropologische Konstante zu sein, es sucht sich nur neue Formen.
Wie zum Beweis flatterte uns dieser Tage eine Einladung der Industrie- und Handelkammer Hannover auf den Tisch. Dort treffen sich Anfang Februar die Angehörigen verschiedener Weltreligionen um die Menschheit über die Vorteile der jeweiligen religiösen Riten zu überzeugen. „Bio, Halal und Koscher - global voll im Trend!“ lobt sogar das niedersächsische Landwirtschaftsministerium die Veranstaltung. In der Tat ist diese Entwicklung zu begrüßen, schließlich wird die biologische Lebensmittelerzeugung damit endlich auch offiziell als Religion etabliert. Das befreit alle davon ihre Forderungen mit ökologischen Fakten zu begründen, ein mühsames und oft unmögliches Unterfangen. Juden oder Muslime müssen das ja auch nicht, wenn sie nach Essen verlangen, dass koscher oder halal ist.
In Hannover versammelt sich die gesamte Priesterkaste um ihre Riten und religiösen Vorschriften zu erläutern und zu verbreiten. Die Missionare haben laut Ankündigung klangvolle Namen wie: HALAL CONTROL Rüsselsheim, Halal Industry Development Corporation Malaysia, OK Kosher Certification, Organic Services GmbH, Gesellschaft für Ressourcenschutz GmbH, DT Food e.V., Nordmilch AG, Bernhard Meemken Wurstwaren GmbH & Co. KG, Ölmühle Solling und Rolker Ökofrucht. Auch Experten aus Frankreich und der Türkei werden erwartet. Es fehlt eigentlich nur noch der Dalai Lama.
Ganz begeistert ist auch der neidersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann: „Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, viele namhafte Unternehmen und Referenten, die schon Bio, Halal oder Koscher produzieren, für diese einzigartige Veranstaltung zu gewinnen.” Die Kollegen in Rheinland-Pfalz wollen da offenbar nicht zurückstehen. Jedenfalls wird mit Unterstützung der Landeszentrale für Umweltaufklärung eine neue Schriftenreihe für Seelsorger aufgelegt: „Nachhaltig predigen.“
Erschienen in DIE WELT am 21.01.2011