Erik Lommatzsch, Gastautor / 05.08.2019 / 15:30 / Foto: David Hall / 29 / Seite ausdrucken

Biedermann lernt mit der „Tagesschau”

Herr Biedermann – wir bedienen uns bei der Namensgebung abermals bei Max Frisch, weil es passt, gerade wegen der Plattfüßigkeit dieses Werkes des ansonsten großartigen Autors – hat sich, nach längerer öffentlich-rechtlicher Medienabstinenz am Sonntag wieder einmal eine 20-Uhr-„Tagesschau“ gegönnt. Die vorhergehende Enthaltsamkeitsspanne erklärt Herr Biedermann mit Verwirrung. Er hatte festgestellt, dass er sich bevormundet, gar indoktriniert und in eine Richtung gelenkt fühlt. Was nicht sein kann, da die Tagesschau der guten alten Bundesrepublik stets ein Muster, ach was, eine Gralsburg an – soweit möglich, und da ist nicht alles, aber vieles möglich – Nachrichtenobjektivität war und ist. Nun gut, 24 Stunden am Tag Kleingarten und Skatverein baut überzogene Angespanntheiten ab, ist aber kein Dauerzustand. Also hat Herr Biedermann nun erneut einen Blick in die große weite Welt gewagt. Mittels Spitzenjournalismus im Ersten. Unvoreingenommen, das war ihm ganz wichtig.

Herr Biedermann erkennt: Er hat, wenn auch nur in Gedanken, aber das ist ja, soweit er weiß, noch nicht strafrechtsrelevant, dem ARD-Flaggschiff viel Unrecht getan. Man kann einfach nur lernen. Es lohnt sich.

Wichtige Eindrücke nimmt Herr Biedermann mit. Nach zwei verheerenden Amokläufen mit dutzenden Toten in den USA zeigt die Tagesschau gleich zwei Bewerber um das Präsidentschaftsamt, Beto O’Rourke und Cory Booker, die recht ausführlich zu Wort kommen und dem amtierenden Präsidenten Donald Trump ganz klar Mitschuld und/oder Verantwortung für die Verbrechen anlasten. Neu ist Herrn Biedermann, dass ein Staatschef aufgrund der von ihm verfolgten Politik für Amokläufe und Terroranschläge im eigenen Land verantwortlich gemacht wird.

Die Verkommenheit der europäischen Grenzschutzagentur

Aber vielleicht gibt es diese Zusammenhänge nur im fernen Amerika. Anderes scheint ähnlich zu sein wie in seinem eigenen Land, die „Tagesschau“-Sprecherin hört er sagen: „Immer lauter wird die Forderung, das FBI und alle anderen Behörden sollten endlich mehr Geld und Aufmerksamkeit in die Bekämpfung des rechten heimischen Terrors stecken.“ Früher, aber das muss eine unglaublich zynische Phase gewesen sein, immerhin sind hier gerade sehr viele Menschen zu Tode gekommen, hätte Herr Biedermann gefragt, ob es bei diesem „Tagesschau“-Satz wirklich noch um die amerikanischen Ereignisse ging. Aber so etwas würde er nun nicht mehr tun.

Warum „Frontex“ nicht längst komplett vor Gericht gestellt wurde, ist Herrn Biedermann nach dem „Tagesschau“-Bericht ein Rätsel. Die Verkommenheit der europäischen Grenzschutzagentur – Wozu hat man die eigentlich jemals gebraucht? – wird doch durch die Recherchen von „Guardian“, „Report München“ und „Correctiv“ jedermann klar vor Augen geführt. Frontex nämlich „schreitet bei Fehlverhalten von Grenzschutzbeamten offenbar nur unzureichend ein“. Vorwürfe „gegen Grenzpolizisten aus Ungarn, Bulgarien und Griechenland“ dokumentierten „zahlreiche interne Frontex-Papiere“. „Frontex“-Sprecher Krzysztof Borowski äußert, das habe „Konsequenzen, potenzielle Konsequenzen. Am Ende können wir unsere Operation beenden, wenn nötig.“ Die „Tagesschau“-Sprecherin weiß aber, wie sie sogleich ergänzt, dass dies noch nie geschehen sei. Kritiker meinen, Frontex laufe Gefahr, „sich an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig zu machen und fordern die Agentur seit langem auf, zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Ungarn zu beenden“. Schon wieder Ungarn. Stattdessen: „Frontex“ werde „massiv“ ausgebaut, 1,6 Milliarden Budget seien für 2021 vorgesehen.

Grenzschutzexperte Erik Marquardt, für die Grünen im EU-Parlament, weiß: Immer schwerer werde es „natürlich, eine so stark wachsende Agentur dann zu überwachen.“ Und: Nicht nur die EU-Außengrenzen seien zu schützen, sondern auch die Sicherheit der Menschen an diesen Grenzen. Früher, wohl ebenfalls in der zynischen Phase, hätte Herr Biedermann hier einen unangenehmen Widerspruch entdeckt. Falscher Ansatz. Frontex gehört schlicht und einfach abgeschafft, da ergeben sich solche Konflikte und eben auch „Fehlverhalten“ gar nicht erst.

Klimaschutz und Konjunktur

Aber es ist noch so viel mehr zu erfahren an diesem Sonntagabend. Die „Alan Kurdi“ – benannt nach einem Kleinkind mit traurigem Schicksal, welches wenigstens medienwirksam ausgeschlachtet werden konnte und kann – darf ihre seenotgeretteten Passagiere nun in Malta absetzen. Das Schiff war lange vor der europäischen Mittelmeerküste gekreuzt, „nachdem Italien keinen Hafen für die Migranten an Bord öffnen wollte.“ Dabei muss doch jedem klar sein, dass Italien verpflichtet ist, jedem „Migranten“ – Herr Biedermann ist sich nicht ganz sicher, glaubt aber, früher wäre an gleicher Stelle von „Flüchtlingen“ die Rede gewesen – die Tore zu öffnen. Andere Länder versperren sich der Humanität nicht auf so grausame Art und Weise.

Oder, und jetzt sind wir bei der Innenpolitik: Ein gewisser Söder – der gehört zur CSU, Herr Biedermann hat das gerade nochmal nachgeschlagen – will den „Klimaschutz“ im Grundgesetz verankern. „Klimaschutz“ und Konjunktur sollten, nach Herrn Söders Vorstellungen, verbunden werden. Fortschritt und Fortschritt, das begeistert Herrn Biedermann. Für die Herstellung der Zusammenhänge der beiden Komplexe wird der CSU-Mann schon irgendwie sorgen, da braucht sich Herr Biedermann keine Gedanken zu machen. Aus der dreckigen Kohle kann man auch, so Herr Söder, schon 2030 ausstiegen, nicht erst 2038.

Die AfD, selbstredend unkoalitionabel, erklärt er weiter, sei auf dem Weg, „die härtere NPD“ zu werden. Wenn so etwas in der „Tagesschau“ gesagt wird, stimmt es sicher. Die NPD ist laut Bundesverfassungsgericht verfassungsfeindlich. Wenn das bei der AfD anders wäre, hätte die „Tagesschau“ in ihrem Bericht darauf hingewiesen. AfD-Mann Meuthen bekommt kurz Gelegenheit, in einem vom ZDF übernommenen Interview-Schnipsel zu sagen, dass es nicht stimme, dass „der rechte ‚Flügel‘ eine Schneise der Verwüstung durch die AfD“ schlage. Da man den Beitrag nicht mit den Worten Meuthens, die AfD-Mehrheiten seien „bürgerlich, konservativ, freiheitlich“ abschließen kann, muss es mit Söder-Worten geschehen. Der empfiehlt „den konservativen Wählern“, sie sollten „klare Sicht behalten“, vor allem, „genau hingucken, was da wirklich bei der AfD passiert“. Leute, bei denen wirklich was anderes passiert, als der moderate Sprecher Meuthen (der wahrscheinlich ebenfalls nicht wirklich moderat ist) verkündet, kann Herr Biedermann natürlich nicht wählen.

Was ist noch so passiert im Lande? Der langjährige Aufsichtsratschef von „Schalke 04“, Clemens Tönnies, bemüßigt sich eines „dumpfen Rassismus“. So wird Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zitiert, deren Stellungnahme bitter nötig war. Die „Tagesschau“-Sprecherin erklärt den Anlass. Mit Hinblick auf den „Klimaschutz“ hatte Tönnies empfohlen, jährlich 20 Kraftwerke in Afrika zu bauen. Dann die Einblendung der weiteren Tönnies-Ausführungen: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Der Aufsichtsratschef hat sich dafür bereits umfangreich entschuldigt. Abermals denkt Herr Biedermann an seine zynische Phase: Früher hätte er geglaubt, hinter den vielleicht etwas unsensibel gewählten Ausdrücken und bei aller Verkürzung steckten hinter Tönnes Annahmen vielleicht nicht ganz unwichtige afrikanische Grundprobleme. Das stimmt nicht. Das wirklich Schlimme ist, dass derartige Parolen bis in die Spitzen der Gesellschaft durchzudringen scheinen. Das ist der Punkt.

Nein, die Welt ist schlecht. Aber Herr Biedermann weiß durch das Aufzeigen der Fakten – und nichts anderes hat er geboten bekommen, ehemalige, irrige Ansichten hat er nun korrigiert – wie die Welt funktioniert. So viel Information in nur einer Sendung. Und, aber das hat er nicht aus der „Tagesschau“, darauf ist es selbst gekommen: Er weiß, wo er sich, für eine bessere Welt, positionieren muss. Und wo er Kreuze machen sollte. Oder eben nicht.

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Hajo Schuhmann / 05.08.2019

“Ja, der Schwarze schnackselt halt gerne.” War das nicht auch mal in der Tagesschau?

Thomas Koch / 05.08.2019

Eines ist klar, die heutige Qualität des deutschen Fernsehens in den 80er Jahren, und kein Ossi hätte Westfernsehen geguckt. Der Hass und die Hetze gegen den “Westen” und “Trump” ist ja schlimmer als im DDR-Fernsehen. Die Journallie ist linker als zu DDR-Zeiten mit SED-Abzeichen.

Ferdinand Katz / 05.08.2019

Ich frage mich zunehmend ob es irgendwo im Kanzleramt einen geheimen Kriechgang zu diesem anderen Deutschland gibt- dem nämlich welchem es gut geht und in welchem Intervall Frau Merkel aus diesem Türchen purzelt und hier wieder herauskommt. Vielleicht ist ihr getatter ja mit den dauerhaften Reisen zwischen den Dimension zusammen - oder ist der Kulturschock einfach zu groß zu dieser Post-sozialistischen Utopie in der Strom aus Grünen Steckdosen kommt aber keiner weiß wie der Strom in selbige gekommen ist… in der jedes Problem mit einer Umarmung und ein paar lauwarmen Worten klebrigen Geschwafels ausgeräumt werden und jeder ein Geld und Gold kotzendes Einhorn sein eigen nennt mit dem man völlig CO2 neutral zur Arbeit gallopiert ... Ich gestehe dieses Deutschland würde ich gerne sehen - nur einmal…nur fünf Minuten. Mit verzweifelten Grüßen F. Katz

Rolf Lindner / 05.08.2019

Tönnies ist bei weitem nicht der erste, der für eine wenn auch sarkastische Benennung von Tatsachen zu einer Entschuldigung genötigt wird. Kann ein Land noch tiefer sinken.

Anton Weigl / 05.08.2019

Ich habe mit den Tagesschau oder Heute -Nachrichten abgeschlossen. Wenn ich Lügen hören will, kann man das woanders auch. Inzwischen habe ich gehört, daß sogar Report - München nur noch Krampf zeigt. Klima-retten durch Stromsparren und damit Fernseh- und Radio aus.

Claudius Pappe / 05.08.2019

Schade das der Artikel so spät erschienen ist und dadurch nur sehr wenig gelesen und kommentiert wird. Der Schalker Präsident hat nur die Äußerungen der Frau von Thun und Taxis ( “die schnaxeln wie die Karnickel” , oder so ähnlich) aus der Mottenkiste geholt, aber auch diese Frau wird neuerdings wieder in die Rechte Ecke gestellt. Wer die Wahrheit ausspricht wird in Buntland 2019 des Rassismus angeklagt und verliert seinen Job.

sybille eden / 05.08.2019

Früher in der DDR wurden die “Nachrichten” der Aktuellen Kamera mit dem richtigen “KLASSENSTANDPUNKT” aufbereitet und manipuliert. Bei den ÖR-Nachrichten heisst das heute HALTUNGSJOURNALISMUS. Es ist aber der selbe ideologische Mist. Nur leider merkt der westdeutsche Biedermann das heute nicht mehr,- der ostdeutsche schon.

Dirk Jungnickel / 05.08.2019

Das ist doch eine tolle Perspektive: Herr Biedermann wird sich demnächst mit Frau Gutmensch*in vermählen und Kinder zeugen. Und die werden - weil sie ja nicht Politically Incorrect erzogen werden, Greta verehren sowie in der Medienlandschaft Deutschlands gut honoriert manch (un)wichtiges Wörtlein mitzureden haben.

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