Mir zur Rechten sitzt ein Mann, der in seine Zeitung vertieft ist. Er fällt beinahe hinein und liest in der S-Bahn fasziniert die Geschichte über den „Sexkrieg in der Oranienburger Straße“ (komisch, ich war vor zwei Tagen spät abends dort, keine Schießerei, kein Ungemach, nichts, nur romantischer Vollmond). Der Herr neben mir hat, was in Berlins öffentlichen Verkehrsmitteln öfters vorkommt, sein Deo vergessen und zum Haarewaschen kommt er, vermutlich, weil er so viel liest, offensichtlich auch nicht. Mein Interesse wird aber sowieso vom Herrn links von mir angezogen, denn der hält eine Bierflasche auf dem Schoß und betrachtet sie verliebt. Er trinkt und macht ein Bäuerchen. Kein kleines, ein großes, lautes. Als erfahrene Männerkennerin weiß ich nun, dass es ihm gut geht und mehr kann man Menschen, die in einer großen Stadt leben, nicht wünschen, als dass sie S-Bahn fahren und einfach nur glücklich sind.
Wenig später beobachte ich aus einem fahrenden Bus, wie ein eleganter Herr mit Aktenkoffer auf offener Straße in eine Häuserecke uriniert. Er macht sich nicht die Mühe, seine Notdurft so zu verrichten, dass er halbwegs verdeckt ist. Eine Frau geht kopfschüttelnd vorüber. Das erinnert mich an den zum Glück nur flüchtigen Bekannten von vor zwei Wochen, dem ich radfahrend in Schöneberg begegnen durfte. Vielleicht tragen die Männer in Berlin ja nur deshalb so gern Tag und Nacht Jogginghosen, weil es sich offenbar wunderbar praktisch und schnell überall hinpinkeln lässt. Der Mann in der Jogginghose jedenfalls wollte mir vor dem Pinkeln noch schnell sein Geschlechtsteil zeigen. Ich habe ihm im Vorüberfahren mein ehrliches Erstaunen darüber zugerufen, wie klein dieses Körperteil doch geraten kann (was ich ihm noch gesagt habe, möchte ich hier nicht schriftlich festgehalten sehen). Leider war ich sehr in Eile und hatte keine Zeit, die Polizei zu rufen. Aber was hätte ich denen auch erzählen sollen- der Exhibitionismus ist in Berlin sehr verbreitet, niemand regt sich groß über solche Zwischenfälle auf. Leider. Manchmal frage ich mich, warum Großstadtmänner und Großstadtfrauen so viele Probleme miteinander haben. Die Antworten findet man, wie oft auch gute Geschichten, in Berlin auf der Straße. So. Und jetzt geh’ ich auf ein Bier in meine Lieblingskneipe. Sie heißt „Zwitscherklause“. Rülps. Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de