Dirk Maxeiner / 04.08.2021 / 09:36 / 223 / Seite ausdrucken

Berlin, 1.8.2021: Ein Bild der Schande

Bilder von Menschen mit bandagierten Köpfen lösen im kollektiven Gedächtnis immer Ängste aus, politisch sind sie eine Chiffre für Gewalt und totalitäre Bedrohung. Eine Bildbeschreibung.

Nachträglicher Hinweis: Das hier beschriebene Bild – ein Ausschnitt eines Fotos, das uns von der Urheberin zugesandt wurde – haben wir auf Wunsch der Urheberin des Fotos entfernt. Auch Ihre Aussage zum Vorgang haben wir auf ihren Wunsch hin entfernt. Die geschilderten Umstände sind aber auch aus den Aussagen der übrigen Zeugen zu entnehmen.

Der schmächtige Mann lehnt sitzend an einem Stahlpfosten. Die Hände sind hinterm Rücken verschränkt. Offenbar hat man ihn in Handschellen gelegt. Sein T-Shirt ist blutverschmiert. Der Kopf fast vollständig bandagiert. Jemand hat ihm seine verbogene Brille aufgesetzt. Er wirkt desorientiert. Behelmte Polizisten in schwarzen Anzügen stehen um ihn herum, merkwürdig teilnahmslos. Einer trägt die Nummern BE 14315. Auf einem etwas größeren Bildausschnitt ist im Hintergrund ein Krankenwagen erkennbar. Der bandagierte Mann am Boden ruft im Betrachter vielfältige Assoziationen hervor. Sein Verband mag den ein oder anderen an ein Selbstportrait des Schock-Künstlers Gottfried Helnwein erinnern.

Eine Bibliografie Helnweins fragt: „Warum malträtiert er sich so in seinem Selbstportrait: den Kopf bandagiert, Wundhaken in die Augen gebohrt, den Mund weit aufgerissen zu einem wahnsinnigen Schrei? Ein Schrei des Schmerzes und des Schocks, der Angst, des Entsetzens, der Aufschrei eines Gequälten und Geblendeten". Und weiter heißt es: „In einer Aktion von 1976 hat Helnwein sich mit bandagiertem Kopf in Wien auf die Straße gelegt – die meisten schauten weg, reagiert haben eigentlich nur Kinder und alte Frauen. Das will er auch mit seinen Bildern: die Mauer der Apathie durchbrechen, Reaktionen provozieren..."

Bilder von Menschen mit bandagierten Köpfen lösen im kollektiven Gedächtnis immer Ängste aus, in politischen Zusammenhängen sind sie gleichsam eine Chiffre für totalitäre Bedrohung, egal wann und wo, egal ob in Vietnam oder Kambodscha, Abu Ghraib, Hongkong oder Teheran. Auf Berliner Straßen hätte man bislang  eher einen Motorrad-Unfall vermutet. 

Doch wer hat den Mann im Foto so malträtiert? Nach Zeugenaussagen sollen es Berliner Polizisten gewesen sein. Achgut.com berichtete gestern hier über die Umstände. Der Historiker Jörg Baberowski, vor dessen Wohnung sich der Vorfall abgespielt hat, berichtet: 

Es war eine unfassbar rohe Szene, die selbst ich nicht für möglich gehalten hätte. Sie hat sich am Sonntag gegen 12 Uhr mittag vor meinem Haus zugetragen. Einen Ausschnitt habe ich gefilmt, leider erst nach der Prügelorgie, die mich so schockiert hat, dass ich erst danach auf den Auslöser gedrückt habe. Die Schläger haben den Mann weiter fixiert, der bewusstlos war und haben sehr roh seinen Kopf bandagiert. Es war, als hätte ich an einem russischen Polizeieinsatz teilgenommen."

Der Mann auf dem Foto ist 40 Jahre alt, stammt dem Stand der Dinge nach aus Leipzig und war wohl nach Berlin gereist, um gegen die Einschränkungen der Grundrechte durch die sogenannten Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Er berichtet:

Ich wurde von den Beamten mit Quarzhandschuhen geschlagen, obwohl ich wehrlos am Boden lag und mich überhaupt nicht widersetzte. Ich hatte starke Schmerzen, an Kopf, Hüfte und Rücken. Ich habe zwei Platzwunden und eine Fast-Platzwunde oben am Schädel, die Gott sei Dank nicht aufgegangen ist, denn die wäre dann zwanzig Zentimeter lang gewesen. Ich wurde in einer Notfallaufnahme von einer Unfallchirurgin genäht, eine Platzwunde an der rechten Schläfe und eine hinter dem rechten Ohr mussten genäht werden. Im Krankenhaus hatte ich eine Bewachung von der Polizei dabei die ganze Zeit. Nach der Behandlung wurde ich dann freigelassen.

Darüber, wie es zu seiner Festnahme und dem Gewaltexzess gegen ihn kam, inwiefern er sich dabei selbst nicht gesetzeskonform verhalten hat, muss von einem Gericht herausgefunden werden. Bislang gibt es entlastende Aussagen von Zeugen, aber keine klare Stellungnahme der Berliner Polizei. 

Das Schlimme an den Bildern aus Berlin ist, dass sie kein Einzelfall sind, sondern dass man bei näherer Sichtung des vielfältigen Bild-und Videomaterials ein Muster zu erkennen glaubt. Da wird eine Frau ohne erkennbaren Grund zu Boden geworfen, ein kleiner Junge, der seiner Mutter helfen will, mit einem Schlag umgehauen. Auch die Umstände des Todes eines von der Polizei „zu Boden gebrachten" Demonstranten, der kurz darauf an einem Herzinfarkt kollabierte, wird noch aufgeklärt werden müssen.

Die Schock-Bilder aus Berlin entfalten aber jetzt schon eine Wirkung. Sie werden in den sozialen Medien hunderttausendfach geteilt, inzwischen auch im Ausland. Das friedfertige, stets moralische polierte Bild Deutschlands, bekommt deutliche Risse. 2015 verlangte die Bundeskanzlerin, dass es „keine öffentlich schwer vermittelbaren Bilder vom Einsatz der Bundeswehr gegen Flüchtlinge geben“ dürfe. Sechs Jahre später sieht sie zu, wie Bürger, die ihre Grundrechte zurück haben wollen, von Polizisten krankenhausreif geschlagen werden.

Mit welcher moralischen Autorität will die verantwortliche politische Klasse eigentlich übergriffige Systeme in Europa und andernorts noch kritisieren? Und welche moralische Integrität besitzen jene Medien noch, die diese Bilder auf merkwürdige Weise aussparen? Gar nicht zu reden von denjenigen, die zu den Szenen auch noch applaudieren, sie merken offensichtlich gar nicht, wie sehr sie das Bild des hässlichen Deutschen wieder aufleben lassen.

Die Macht über die Bilder ist flüchtig, heute mehr denn je. Immer wieder sind es Bilder aus Krisengebieten und Kriegen, die die politischen Verhältnisse zum Wanken bringen. Die Bilder von Berlin machen bis weit in das eher angepasste Bürgertum hinein Menschen betroffen, auch und gerade die eher unpolitischen Bürger, die sich aber ein Gespür dafür erhalten haben, was richtig ist und was falsch, was man tut und was man nicht tut. 

Man darf deshalb auch davon ausgehen, dass 95 Prozent der deutschen Polizisten sich für ihre ausfällig gewordenen Kollegen schämen. Sie werden außerdem am besten wissen, wer für das plötzlich so hässliche Gesicht Deutschlands politisch verantwortlich ist. 

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Marc Greiner / 04.08.2021

Und was ist eigentlich mit dem der von der Polizei getötet wurde? Man hat hier doch - ob man will oder nicht - einen Märtyrer! Das muss doch ausgenutzt werden. Demonstrieren und volle Aufklärung verlangen. Sich mit den Ergebnissen nicht zufrieden geben. Einen ausländischen Autopsiebefund verlangen. Ne, so wird das nichts.

J. Grüttner / 04.08.2021

Woher wissen wir, ob es sich tatsächlich um Polizeikräfte handelt. Könnten es nicht auch Söldnerkräfte sein , die von einer fremden Macht finanziert werden ? Alles Verschwörungstheorie ?

Renate Weiß / 04.08.2021

@ helmut rott: Sie schreiben” Bitte nennen Sie mir den Namen Ihres Gottes, ich werde sofort konvertieren. Mein Gott macht nämlich gar nix, ist unsichtbar, schweigt, hilft mir noch nicht mal beim Schlüsselsuchen… Ich bin es leid. ” Ich glaube, Sie zu verstehen. Gleichwohl ist das Leben und alles drumherum schwierig und wir Menschen sind Suchende. Wenn Sie mögen, schreiben Sie mich gerne an unter Jesus_ist_dein_Retter@gmx.net. Ich bin nicht allwissend, aber ich habe mein Leben dem Herrn Jesus Christus übergeben und tue, was ich kann. Shalom!

Manfred Caesar / 04.08.2021

Ich verstehe nicht ,daß die AfD derartige Bilder nicht aufgreift und verbreitet.Das wäre richtige Opposition.Falsch ist über Koalitionen nachzudenken.

Renate Weiß / 04.08.2021

@ Lisa Deetz: Sie schreiben “...nochmal Herr @Klaus Keller: Die Bilder aus Bergamo waren aber echt, oder!??  ICH habe nur geschlossene Särge gesehen, die vom TV verbreitet wurden.” Ich glaube, Sie haben falsch gelesen. Nun versuche ich zu korrigieren: Bestimmt war gemeint “... ICH habe nur geschlossene Särge gesehen, die von VT verbreitet wurden.” Kleiner Scherz meinerseits, vielleicht misslungen, aber mit irgendwas muss mensch schließlich die gallig-gute Laune erhalten.

A. Ostrovsky / 04.08.2021

@Dr. René Brunsch : “Dass sich Geschichte so wiederholt hätte ich 1989 nicht für möglich gehalten.” Dann wird es wirklich Zeit, über die Kräfte hinter den Kulissen nachzudenken. Waren die, die vor 100 Jahren alle Macht dieser Welt in ihren Händen hielten, verunsichert durch Marx, der ihrem gerade neu geschaffenen globalen Geldmonopol Siechtum und Tod prophezeit hatte, beflügelt durch Darwin, der es ganz normal fand, dass des Lebensuntüchtige ausgemerzt wird, und allesamt Sozialdarwinisten, vielleicht die Urheber eines Großversuchs, das bessere und stabilere Imperium durch die Vorsehung auswürfeln zu lassen? Was lag da näher, als ein sozialdarwinistischer Wettbewerb der Systeme, hier das völkisch-feudales System des Faschismus, dort das Klassen-Modell der Arbeiterklasse, wo es fast nur Bauern und Beamte gab (als Beweis, dass Marx Unrecht hat), hier der freiwillige religiös begründete Zusammenschluss eines verstreuten Volkes in jahrtausendealter Heimat, dort die Zwangskollektivierung der Völkergemeinschaft quer über alle Religionen und Kulturen, hier das freie Spiel selbständiger Wirtschaftseinheiten, dort die Unterordnung unter einen zentralen Plan. Dem Darwinismus ist die Selektion eingeboren. Wenn alle Systeme nur expansiv und aggressiv genug sind, möglichst auf unendliches Wachstum angelegt, wird das beste überleben, die anderen durch Hunger, Unruhen, Mord und Totschlag unter gehen und dem Sieger gehört die Welt. Jahrzehnte währte der erbitterte Kampf, immer knapp an der Vernichtung der Welt. Und Menschenleben spielten keine Rolle bei diesem Spiel um Leben und Tod. So war es bis 1990. Und plötzlich verlässt das aus-gemendelte Siegersystem sein Siegeskonzept und wandelt sich zum Verlierer, der untergeht, OHNE dass es noch einen Wettbewerb gibt? Als das überlebende System durch die Ziellinie ging, bekam es den tödlichen Stoß. Die Frage: Durch WEN? Wer spielt falsch? Wer ändert mitten im Spiel die Regeln?

Renate Weiß / 04.08.2021

@. Finkelschoen: Danke Für Ihren Bericht. Es ist wertvoll, dass Sie Ihre Erfahrungen teilen!

Albert Pflüger / 04.08.2021

Ich glaube nicht daran, daß es bald aufhört, es wird eher schlimmer werden. Vielleicht ist es an der Zeit, das Heucheln zu lernen und in die innere Emigration zu gehen. Ein übergriffiger Staat neigt dazu, seine Gegner physisch zu vernichten, wir Deutschen sollten das nicht vergessen haben. Ob in Zeiten des Internet freimütige Äußerungen in der Vergangenheit zum persönlichen Problem werden können, das kann sich jeder selbst überlegen. Die Möglichkeit, “Staatsfeinde” aufzuspüren, war jedenfalls früher deutlich kleiner als heute, wo jeder ein Handy mit sich rumträgt. vielleicht sollte man seine diesbezüglichen Gewohnheiten auch noch mal auf den Prüfstand stellen…..

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