Der Luther, mit dem ich erzogen wurde (“mein Luther”), war kein Antisemit. Er war ein Streiter gegen kirchlichen Missbrauch. Der Antisemitismus des historischen Luther ist mir überhaupt erst als Erwachsene bekannt geworden; er ist für mich (und Millionen andere) völlig irrelevant. Wer dieses Bild abhängen will, kann oder will den Unterschied zwischen dem historischen und dem jetzt gelehrten Luthertum nicht erkennen; er ist damit Fundamentalist. Wir dürfen es nicht erlauben, das deutsche Fundamentalisten bestimmen, was richtig und was falsch ist. Der islamische Fundamentalismus ist schon schlimm genug.
Es ist die mittelalterliche Verunglimpfung der Juden, die Allgemeingut im Christentum war, da Jesus ja von den Juden gekreuzigt wurde. Dass Jesus selbst Gott um die Verzeihung dieser Tat gebeten hat, ist nie gewürdigt worden. Inwieweit der Werdegang des jüdischen Volkes mit dem Kreuzestod Jesu zu tun hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall sollten gerade die Christen darauf achten, dass ihnen eine antisemitische Haltung nicht zusteht. Das sollte man nicht in symbolischen und scheinheiligen Gesten äußern, sondern sich tatkräftig und überzeugend gegen den Antisemitismus zur Wehr setzen. Leider klaffen in diesem Land hohl klingende Beteuerungen und wirkliches Handeln weit auseinander.
Sehr geehrte Frau Kornblum. Mit ihrem Beitrag sprechen Sie mir, und sicher auch vielen anderen Lesern, aus der Seele. Das mittelalterliche Christentum war antisemitisch geprägt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Die Kirche sollte dazu auch stehen. Die Vertuschungsversuche der heutigen Kirchenoberen sind nicht zu übersehen und manifestieren sich in Anbiederung an andere “Weltreligionen”. Das soll Vergessen suggerieren. Wenn ein Kardinal sich dahingehend äußert, er könne mit dem Begriff des “christlich-jüdischen Abendlandes” nichts anfangen, will man wohl auch von der Vergangenheit des christlich jüdischen Abendlandes nichts mehr wissen.
Derartige Gerichtsprozesse stellen doch Geschichtsbereinigungsprozesse dar! Es gibt aber nichts zu bereinigen. Eines Tages werden die Deutschen keine Regierungsbeauftragten der Länder und des Bundes mehr brauchen, die mit einem seltsamen Eifer den Alltag von Antisemitismus “befreien”. Die mittelalterlichen “Judensäue” - der Dom zu Magdeburg bspw. wartet ebenfalls mit einem Exemplar auf! - sind historische Belege dafür, welches Problem die christlichen Religionen mit anderen Religionen hatten. Wir sind doch auf einem guten Wege. Denkmalsstürmerei stellt einen grundfalschen Umgang mit Geschichte dar. Man kann ein heute zu hinterfragendes Kunstwerk auch zu einem überdimensionierten Stolperstein umzudeuten; das wäre eine angemessene Art des geschichtlichen Gedenkens.
Man kann nicht solche Bildnisse abhängen wollen und die Gleichwertigkeit aller Kulturen proklamieren und sich darüber aufregen, dass die Taliban Buddha-Statuen zerstören. Wer dieses Bildnis abhängt, hat kein Argument mehr dagegen, wenn der Islam christliche Kirchen entweiht oder zerstört.
Volltreffer. Das ist an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten. Das ist, wie so vieles in diesem kranken Land, eine Ersazthandlung. Ich erspare mir jetzt darüber zu spekulieren, wofür sie der Ersatz ist. Wahrscheinlich werde ich es noch erleben, dass das neue Testament umgeschrieben (verkauft als “Neuübersetzung”) wird, gendergerecht, einfach allen gerecht und Judas Iskariot einen neuen Namen bekommt.
Wünschenswert wäre, wenn die Beziehung zum Judentum nicht einzig von der Frage nach Antisemitismus beherrscht würde. Judentum und Christentum haben eine gemeinsame Wurzel. Das Christentum ist ohne das Judentum gar nicht denkbar. Ohne Judentum gäbe es kein Christentum. Darauf gilt es, sich zu besinnen. Es geht nicht einzig um das Aufsuchen der antijüdischen Elemente im Christentum. Sicher gab es diese und es ist wichtig, darüber zu reden. Doch wir müssen über diese rein defensive Diskussion hinauskommen. Das Christentum als antijüdisch auszulegen, war ein Anliegen einer bestimmten Gruppe innerhalb der Kirche. Diese Gruppe soll nicht unser Maßstab sein. Es gilt, die Untrennbarkeit von Judentum und Christentum herauszuarbeiten. Juden und Christen sind eins und wir dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen. Denn bei allem Gegenteiligem handelte es sich um Abwege, um Lüge, um Irrtum. Dabei spielten materielle Interessen eine Rolle. In Spanien würden die Juden von den Christen des Landes verwiesen, ihr Eigentum wurde konfisziert. In Deutschland ging man einige hundert Jahre später noch einen fürchterlichen Schritt weiter. Daran muss man sich erinnern. Doch nur in dieser negativ besetzten Erinnerung verhaftet zu bleiben, löst kein aktuelles Problem. Die Christen haben größtenteils den Bezug zur ihrer Religion verloren. Doch lohnt es sich zu erfahren und zu verstehen, dass Christentum und Judentum sich in keiner Weise widersprechen. Es gilt, das Thema neu zu besetzten. Weg von Gefühlsduseligkeit und Heuchelei. Hin zu echtem Interesse. Dazu müssen wir uns auch mit den Ursprüngen beschäftigen. Nicht nur auf die Tagespolitik schauen. Wir müssen neugierig aufeinander sein, nicht schuldbeladen und von schlechtem Gewissen geplagt. Treffen wir uns doch am Strand von Tel Aviv. Oder am Wannsee. Egal, Hauptsache wir lachen und reden miteinander. Das ist besser als bei Gedenkreden betroffen drein zu schauen und auswendig gelernte Phrasen kundzutun. Jesus war zuvorderst Jude.
Werte Frau Kornblum, sie schreiben von Luthers nicht ganz weißer Weste. Man sollte Luther nicht nur als glühenden Antisemiten (vielleicht besser noch Judenhasser) sehen, sondern auch seine Stellung zum Bauernkrieg betrachten. Zusammen gesehen ist seine Weste doch ziemlich schmutzig, seine Verdienste als Reformator bleiben unbe- stritten.
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