Der Ärztemangel grassiert. Nicht selten muss man, besonders bei Fachärzten und wenn es sich nicht um akute Notfälle handelt, monatelang auf einen Termin warten.
Letzte Woche ist mir bei der Kontaktaufnahme verschiedener Ärzte widerfahren, was in Deutschland mittlerweile längst Alltag ist. Zum einen benötige ich aufgrund eines bereits länger anhaltenden, wahrscheinlich harmlosen, aber dennoch klärungsbedürftigen Ausschlags am Oberarm einen Termin beim Hautarzt. In die engere Auswahl kamen fünf Dermatologen in meiner Nähe, auf die ich übers Internet aufmerksam wurde. Resultat war, dass drei von ihnen auch nach mehrmaligen Anrufsversuchen an unterschiedlichen Tagen zu auf der Internetseite angegebenen Öffnungszeiten nicht ans Telefon gingen. Der vierte war zwar erreichbar, ließ mich jedoch wissen, dass er nur Privatpatienten oder Selbstzahler behandelt, und der fünfte hat mir einen Termin für Ende September angeboten. Da ich der weiteren Suche überdrüssig und froh war, überhaupt an einen Termin gekommen zu sein, ließ ich es dabei bewenden, nahm die Offerte an und warte nun viereinhalb Monate.
Da obendrein mein 5-jähriger Sohn bereits seit einigen Tagen über Fieber, Ohren- sowie Bauchschmerzen klagte, beschloss ich, seinem Leiden ein Ende zu bereiten und versuchte, den Kinderarzt zu kontaktieren – vergeblich, denn dort ging nur eine Handymailbox ran, obwohl die Praxis geöffnet war. Als ich rund eine Stunde später doch noch jemanden an die Strippe bekam, teilte man mir mit, dass heute kein Termin mehr frei sei und wir daher bitte in die nächste Notaufnahme gehen sollten.
Egal ob Kinderarzt, Frauenarzt oder Notaufnahme – überall muss man ewig lange warten. Blöderweise hatte ich aufgrund meiner Schwangerschaft just an besagtem Tag einen eigenen Termin beim Frauenarzt, den ich ebenfalls nicht verschieben konnte, da „aufgrund akuten Personalmangels“ zurzeit niemand telefonisch erreichbar sei und man deshalb bitte eine E-Mail schicken möge. Da diese erfahrungsgemäß erst nach mehreren Stunden (wenn überhaupt) gelesen wird, erbarmte sich meine Mutter, mit ihrem Enkel in die Notaufnahme zu fahren, und ich begab mich zu meinem Gynäkologen. Dort war der Wartebereich proppenvoll, sodass die ganze Prozedur rund zwei Stunden in Anspruch nahm, wobei die tatsächliche Zeit bei der Ärztin nur einen Bruchteil der Gesamtzeit ausmachte, mindestens 90 Prozent ging fürs Warten drauf.
Nach einer Ewigkeit durfte ich die Frauenarztpraxis verlassen und konnte meiner Mutter und meinem Sohn, die auch schon etliche Stunden mit sinnlosem Warten zugebracht hatten, in der Notaufnahme Gesellschaft leisten. Glücklicherweise war mein Kleiner kein Notfall, was aber den Nachteil hatte, dass alle anderen tatsächlichen Notfälle Vorrang hatten. Außerdem ging uns das Personal mehrfach harsch an, was wir denn überhaupt im Krankenhaus zu suchen hätten, denn schließlich sei doch der Kinderarzt für uns zuständig. Als ich den Grund erklärte, hieß es, ich hätte trotz telefonischer Ablehnung einfach trotzdem zum Kinderarzt fahren sollen, dieser dürfe uns gar nicht ablehnen – was ich aber nicht wissen konnte.
Selbst der Strom gab den Geist auf
Letzten Endes nahm der Termin in der Notaufnahme vier bis fünf Stunden in Anspruch, was nicht ganz so schlimm gewesen wäre, wenn das Personal etwas freundlicher gewesen und man seine Notdurft obendrein nicht im Stockdunkeln hätte verrichten müssen, denn aus irgendeinem Grund funktionierte in keinem einzigen Klo der Kinderstation das Licht. Darauf angesprochen, meinte eine Mitarbeiterin nur, sie könne daran leider auch nichts ändern, sie sei schließlich keine Elektrikerin, und so schnell könne man auch keinen herbeibestellen.
So viel zu meinen jüngsten Erlebnissen mit diversen Ärzten, es grassiert ein extremer Ärztemangel, der in die Zehntausende geht – Tendenz steigend, denn in den nächsten Jahren gehen voraussichtlich über 80.000 Ärzte in Rente, wogegen die autochthone Bevölkerung aufgrund niedriger Geburtenraten immer weiter altert und deshalb noch mehr Bedarf nach medizinischer Betreuung entsteht – ein Teufelskreis.
Niederlassung auf dem Land unattraktiv
Tatsächlich gibt es nämlich mehr Ärzte denn je. Während hierzulande im Jahr 1960 nur etwas mehr als 90.000 Ärzte praktizierten, betrug deren Zahl 2022 über 420.000. Damals kam ein Medizinier auf 786 Einwohner, heute auf 197. Dies betrifft nicht nur Ärzte, die in Praxen tätig sind, sondern auch in Krankenhäusern. 1991 arbeiteten landesweit 109.000 Ärzte in Krankenhäusern, 2021 bereits 203.000, der Großteil davon jeweils in Vollzeit.
Warum viele Ärzte heutzutage dennoch weder ein noch aus wissen und immer mehr Patienten auf Termine in ferner Zukunft vertrösten müssen, hat verschiedenste Gründe. Ärztestellen, der selbsternannte „Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblattes“, spricht zum einen von einer Fehlverteilung. „Ärztinnen und Ärzte sind schlecht verteilt“, da der Großteil von ihnen in Ballungsgebieten, nicht jedoch in ländlichen Gegenden arbeite.
Dies belegt auch eine Grafik aus der ZEIT Nr. 38/2023, aus der hervorgeht, dass Großstädte wie Hamburg und Berlin lediglich 127 bzw. 146 Einwohner je berufstätigen Arzt vorweisen können, doch in Bundesländern mit viel ländlichen Gegenden wie Thüringen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg ist die Arztdichte wesentlich geringer, dort kommt ein Arzt auf gerade einmal 219, 221, 230 und 247 Einwohner.
Eine Niederlassung auf dem Land ist für viele angehende Ärzte einfach zu unattraktiv, da man dort zwar etwas besser als in der Stadt verdient, doch wegen der höheren Patientendichte muss man mehr arbeiten und wohnt wesentlich abgelegener.
Mehr Bedarf wegen demografischem Wandel
Ein weiterer Grund für den Ärztemangel ist der bereits erwähnte demografische Wandel. Etwa jeder fünfte Arzt geht bis 2030 in Rente, besonders in der Allgemeinmedizin sowie der Inneren Medizin. So waren niedergelassene Ärzte im Jahr 2023 im Durchschnitt 54,1 Jahre alt.
Unter den Hausärzten waren fast 37 Prozent über 60, bei den Kinderärzten waren es immerhin 27 Prozent. Zugleich gibt es aber auch immer mehr Senioren und somit Pflegebedürftige. Während 1950 gerade einmal 10 Prozent der Gesamtbevölkerung über 65 Jahre alt waren, waren es 2021 bereits 22 Prozent.
Aufgrund des Corona-Massengenexperiments, des schädlichen Bisphenol A in zahlreichen Alltagsprodukten, wegen immer mehr Infraschall ausstoßender Windräder, aber auch einer immer größeren Anzahl an Übergewichtigen und zahlreichen Geschädigten infolge von Rauchen sowie Alkohol- und Drogenkonsum gibt es zudem immer mehr Kranke und Pflegebedürftige.
Darüber hinaus sind viele junge Menschen von einem hohen Arbeitspensum, mit dem der Beruf des Arztes einhergeht, abgeschreckt. Der Großteil aller Ärzte muss weit mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten, jeder fünfte sogar zwischen 60 und 80 Stunden pro Woche.
Da sich dies nur schlecht bis gar nicht mit einem Privatleben verträgt, arbeiten immer mehr Ärzte in Teilzeit. Im Jahr 2022 waren 42 Prozent aller weiblichen und immerhin 14 Prozent aller männlichen Ärzte als Teilzeitkräfte tätig.
Zu wenige Studienplätze und zu strenger NC
Eine weitere schwerwiegende Ursache für den grassierenden Ärztemangel, die Ärztestellen anführt, ist die zu geringe Anzahl an Studienplätzen hierzulande. Im Wintersemester 2022/23 konnten von insgesamt 35.567 Bewerbern nur 9.948 tatsächlich einen Studienplatz ergattern. Das Problem ist ein extrem strenger Numerus Clausus. Wer Medizin studieren möchte, benötigt in Deutschland je nach Uni einen Abiturdurchschnitt in Höhe von 1,0 oder 1,1 – das ist selbst in Zeiten eines immer mehr an Wert verlierenden Abiturs für die meisten unerreichbar.
Und nur weil man ein besonders gutes Abitur vorweisen kann, heißt dies nicht, dass man später auch ein guter Arzt ist. Doch nach irgendwelchen Kriterien muss man schließlich selektieren, und da bietet sich der Abi-Schnitt nun einmal am besten an. Aufgrund der hohen Kosten und der bereits jetzt enormen Auslastung an Universitätskliniken sind wesentlich mehr Studienplätze nicht in Sicht.
Es wird auch auf das schlechte Image des Arztberufs aufgrund der hohen Arbeitslast verwiesen. Rund 10 bis 15 Prozent aller Medizinabsolventen würden nach dem Studium gar nicht als Arzt, sondern in der Pharmabranche oder im Medizinjournalismus arbeiten.
Zu guter Letzt wird ein hoher Aufwand an Bürokratie erwähnt. Diese sei im Gesundheitswesen sehr hoch, „übermäßige Dokumentationspflichten und Abrechnungsverfahren belasten Ärztinnen und Ärzte und nehmen ihnen wertvolle Zeit für die Patientenversorgung“. Eine Studie der Stiftung Münch habe ergeben, dass nahezu jeder zweite Mediziner über zwei Stunden täglich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt ist.
Eine weitere Ursache für den Ärztemangel ist die Abwanderung einiger Ärzte ins Ausland, besonders in die Schweiz, nach Österreich, in die USA oder nach Asien. Wenn Ärzte in die USA abwandern, dürften hier die geringe Sprachbarriere und ein deutlich höheres Gehalt ausschlaggebend sein, denn in den USA liegt das durchschnittliche Jahresgehalt von Fachärzten bei 352.000 Dollar (333.000 Euro) das ist mehr als das Doppelte dessen, was ein Arzt durchschnittlich in Deutschland verdient (160.000 Dollar bzw. 151.000 Euro). In der Schweiz verdienen Ärzte im Schnitt ebenfalls deutlich besser als in Deutschland, zumal dort der Steuersatz wesentlich geringer ist.
Gewalttätige Patienten und fehlende Arzthelfer
Darüber hinaus wäre es gut denkbar, dass die enorme Zuwanderung kulturfremder Migranten hierzulande vielen jungen Menschen die Lust auf den Ärzteberuf verhagelt. Denn immer öfter machen Nachrichten von randalierenden und sogar gewalttätigen Migranten, welche auf Ärzte losgehen und einschlagen, Schlagzeilen, so z.B. Anfang Januar dieses Jahres, als der Spiegel titelte „Drei Männer attackieren Klinikpersonal – Video zeigt heftige Auseinandersetzung“, oder jüngst hieß es in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung „Gewalt in Kliniken: ‚Es vergeht kein Tag ohne Beschimpfung“.
Man darf auch nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass es für die immer weiter steigende Zahl an Behandlungsbedürftigen nicht nur zu wenige Ärzte, sondern auch zu wenige Medizinische Fachangestellte, umgangssprachlich „Arzthelfer“, gibt. So berichtete im Jahr 2022 das Deutsche Ärzteblatt, dass immer mehr Arztpraxen Mühe und Not haben, geeignetes Personal zu finden. Gründe sind hier ein geringes Gehalt in Höhe von ca. 2.500 Euro brutto und eine zu niedrige Wertschätzung seitens des Arbeitgebers wie auch der Patienten.
Da der demografische Wandel nicht aufzuhalten ist und der Beruf des Arztes daher aufgrund des hohen Arbeitspensums nicht attraktiver wird, wird sich der Ärztemangel aller Voraussicht nach noch verstärken. Insofern kann man den Menschen nur raten, möglichst gesund zu leben, so dass nur selten Bedarf nach einer Arztvisite besteht. Andernfalls muss man sich leider auf lange Wartezeiten einstellen.
Beate Steinmetz, geb. 1989 in Frankfurt am Main und heute wohnhaft in Rheinhessen, ist studierte Politikwissenschaftlerin und Amerikanistin. Ihr Roman „Der Freund, der mir zum Verhängnis wurde" ist ab sofort hier als Taschenbuch und eBook erhältlich.