D.C. war abgeriegelt, Straßen gesperrt; Hotels informierten ihre Gäste über die Unmöglichkeit der Anreise; der in Washington eh schon kaum geltende 2. Verfassungszusatz wurde noch stärker eingeschränkt; eine Ausgangssperre war bereits angekündigt… es war also zunächst fraglich, ob die für den 6. Januar angekündigte Trump-Ralley in der Hauptstadt überhaupt „wild“ hätte werden können, wie der Präsident es via Twitter angekündigt hatte. Es war jedoch nicht so, dass die Demonstranten sich dieses Datum ausgesucht hätten, wie etwa die WELT in ihrem Livestream berichtete. Es war die Verfassung der Vereinigten Staaten, welche dieses Datum als „letzte Gelegenheit zum Widerstand“ vorgab.
„Nur eine Formsache“ (WELT) sei der 6. Januar, an dem Senat und Repräsentantenhaus in gemeinsamer Sitzung den neuen Präsidenten küren. Die geradezu alberne Vorstellung, der Sitzungsleiter Mike Pence werde am Ende die Ergebnisse aus einer Handvoll Bundesstaaten einfach ignorieren und Trump im Amt bestätigen, konnte nur haben, wer die Ereignisse der letzten zwei Monate komplett ignorierte. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man. Am 6. Januar 2021 ist in Washington noch einiges mehr gestorben.
„Wild“ jedenfalls wurde es, wobei sich Secret Service, FBI und die Metropolitan Police schon die Frage gefallen lassen müssen, warum die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Kapitol so erbärmlich schlecht sein konnten, wo doch die halbe Welt und die gesamte Presse für diesen Tag der „letzten Gelegenheit“ einen Putsch Trumps erwartete. Halb Staffage, halb Einlasskontrolle sah die Polizei tatenlos zu, wie die Chaoten das schlecht gesicherte Gebäude stürmten, indem sie mühelos durch die einfach verglasten Fenster ins Innere vordrangen. Erst dort trafen sie auf Widerstand. Erst dort, in der Rotunde des Kongresses, endete schließlich der seltsame Gotensturm.
Die grotesken Verkleidungen einiger Eindringlinge unterstrichen den Charakter dieser sinn- und ziellosen Aktion. Denn wenn dies ein Putsch war, dann war es der planloseste der Menschheitsgeschichte. Was hätte denn nach dem „Sturm“ geschehen sollen? Wo waren die Forderungen, das Manifest, die Erklärung der Machtergreifung? Stattdessen Siegerposen, Selfies und bemalte Gesichter. Es zeigte sich mal wieder, dass man durch einen Putsch wohl einen Tyrannen und Diktator beseitigen, eine vielarmige und vielköpfige demokratische Republik jedoch nicht so leicht aus den Angeln heben kann. Das ist natürlich auch gut so! Andererseits – und das fällt nicht nur in den USA, sondern weltweit unangenehm auf – ist es auch extrem schwer, die Richtung zu korrigieren, in die sich moderne Demokratien entwickeln.
Brandstifter Trump
Millionen waren aufgerufen, am 6. Januar in D.C. eine Kundgebung zugunsten Trumps abzuhalten, gekommen waren zumindest einige Zehntausend, vielleicht mehr. Man sah allerlei Fahnen vor dem Kongress und auch Pommesbuden, die bei Machtergreifungen natürlich nicht fehlen dürfen. Für eine solche reichen aber eben auch einige tausend Vollidioten nicht, die die Treppen hinaufstürmten und gewaltsam ins Gebäude eindrangen. War es vielleicht Antifa? Oder Trump-Supporter, die so taten, als wären sie Antifa, die sich als Trump-Supporter verkleidet hatten? Das kann man natürlich ad nauseam so weitermachen, und weil jeder von der „anderen Seite“ nur das Schlechteste annimmt, beschuldigt gerade jeder jeden, die Axt an die Fundamente des Staates gelegt zu haben. Das Gesetz der Plausibilität gibt die Verantwortung für die Vorfälle jedoch an Trump, denn es war nun mal seine Veranstaltung. Da nützt es am Ende wenig, dass der Präsident die Gewalt verurteilt hat. Es war seine Party, das zerschlagene Porzellan geht auf seine Kappe!
Tritt man aber einen Schritt zurück, um das größere Bild zu sehen, stellt man fest, dass die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft nun auf allen Ebenen als vollzogen gelten darf. Mitten hindurch geht der Riss und wird sichtbar auf allen Ebenen. So prügeln sich in der tiefsten Provinz Zuschauer eines drittklassigen Football-Spieles (weil Maga-Caps auf den Rängen zu sehen waren), ebenso wie nun auch Demonstranten und Sicherheitskräfte in der Rotunde des Kongresses in der Bundeshauptstadt. Die Aufmerksamkeit der Medien ist längst nicht so gleichmäßig verteilt, und statt dazu aufzurufen, endlich von diesem Karussell des Wahnsinns herunterzukommen, gießt man durch einseitige Berichterstattung immer weiter Öl ins Feuer.
Schauen wir uns an, was in Washington auf der strafrechtlichen Seite geschehen ist. Ein Bundesgebäude wurde angegriffen, erfolgreich in diesem Fall. Doch Vergleichbares geschieht seit einem halben Jahr regelmäßig, beispielsweise in Portland, wo ein Gebäude des Bundesgerichts geradezu belagert wird. Niemanden interessiert das. Kein ARD-Korrespondent stand oder steht vor den nächtlichen Flammen oder interviewt verletzte Polizisten, während in D.C. aufgeregte Reporter das Mikrofon kaum noch aus der Hand legen. In beiden Fällen handelt es sich um Straftaten auf Bundesebene, in beiden Fällen wurde Gewalt angewendet, in beiden Fällen kam es auch zu Verhaftungen. Doch die Randalierer in Portland können sich auf gut gefüllte Bail-Out-Töpfe und eine wohlwollende Presse verlassen, was in Washington D.C. nicht der Fall sein wird. Mir wäre wohler, wenn Gewalt auf keiner Seite geduldet oder verharmlost würde. Die Argumentationslinien gehen nämlich auf beiden Seiten nicht auf! Die letzte Konsequenz ist deshalb immer Gewalt – nun offensichtlich auch auf beiden Seiten. Weder die Politiker noch die Medien tun auch nur das Mindeste, diese wechselseitige Eskalation zu durchbrechen.
Ihr hört uns nicht zu!
Bereits im Oktober begann der Streit. In Texas, Florida und anderen Staaten wurden Aktivisten mit versteckter Kamera dabei beobachtet, wie sie durchs Land fuhren und, von Tür zu Tür tingelnd, Stimmen für Biden kauften. Etwas Bargeld hier, ein Amazon-Gutschein dort… es ist erstaunlich, wie einfach es ist, politisch uninteressierte Bürger auf diese Weise zum „Wählen“ zu tragen. Die Berichte verpufften, weil die Medien sich weigerten, sie aufzugreifen. Aufgeklärt wurde nichts, angeklagt wurde niemand. Sowas habe es schon immer gegeben, das beeinflusse die Wahl nicht, hieß es. Als Bundesstaaten wie Pennsylvania noch kurz vor der Wahl unter Umgehung ihrer Legislative die Wahlgesetze änderten, bürstete man die Einsprüche damit ab, dass dafür nach der Wahl noch Zeit wäre. Als die Einsprüche nach der Wahl kamen, hieß es, dafür sei es nun zu spät. Man lief mit Einsprüchen und Beweisen also schon lange von Pontius zu Pilatus, was das Frustlevel gefährlich anschwellen ließ. Doch auch das wurde medial ignoriert. „Die werden sich schon damit abfinden” – doch das geschah nicht.
So gut wie alle Versuche, angezweifelten Wahlergebnissen juristisch beizukommen, wurden schlicht abgebürstet. Entweder mit dem Hinweis auf Fristen oder mit der Erklärung der Nichtzuständigkeit. Reihenweise wurden Klagen abgewiesen, die wenigen, die Trump selbst anstrengte, fallen da kaum ins Gewicht. Man muss sich ja klarmachen, dass im November nicht eine, sondern 50 Wahlen stattgefunden haben. Jede nach ihren eigenen Regeln, jede mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten. Am Ende nützten jedoch alle forensischen Analysen, die kriminalistischen Ermittlungen und hunderte eidesstattliche Erklärungen von Zeugen nichts, weil man sich dazu entschlossen hatte, sie einfach zu ignorieren. Es mag sein, dass an all den Betrugsvorwürfen nichts dran ist, aber das hätten ehrliche und transparente Ermittlungen und Verfahren ergeben müssen, denen man sich jedoch verweigert hat.
Stattdessen ging man nach der Methode der „Faktenchecker“ auf Facebook vor und stellte Betrugsvorwürfen stets nur anderslautende Behauptungen entgegen. Am Ende legitimierte sich das Gesamtergebnis durch Zitat und Wiederholung statt durch Beweis und Widerlegung der Anschuldigungen. Welcher Präsident mag sein Amt auf so dünnem Eis antreten? Wir kennen die Antwort und „freuen“ uns schon riesig auf vier schwache Jahre mit Väterchen Biden.
Dass die Betrugsvorwürfe nicht verschwinden, nur weil man sie hartnäckig ignoriert, wird Joe Biden, der nun offiziell gekürte Präsident der geteilten Staaten von Amerika, noch erkennen müssen. Ich kann bis heute nicht begreifen, dass er sich nicht schon am Tag nach der Wahl an die Spitze derer stellte, die Aufklärung und Ausräumung aller Anschuldigungen des Wahlbetrugs forderten.
Ihr hört nicht auf damit!
Stattdessen ignorantes Beharren, schlechte Verlierer und schlechte Gewinner. Wie zwei störrische Esel auf einer engen Hängebrücke standen sich Biden und Trump gegenüber und riefen „Du hast verloren!“ und „Du hast betrogen!“. Die Medien hatten ihren Esel schon vor Jahren gewählt und hörten auch nach der Wahl nicht auf, die Anhänger des anderen Esels mit Dreck zu bewerfen. Und wo es Trump an präsidialer Besonnenheit mangelte, um sich vielleicht Chancen auf eine erneute Kandidatur 2024 zu wahren, überlegte das Biden-Lager bereits, was man mit den abgezogenen Fellen Trumps und seiner Anhänger machen werde. Von Schauprozessen und Umerziehungslagern wurde ganz offen gefaselt und die Maga-Head-Träger und Fahnenschwenker hatten wenig Grund zu zweifeln, dass dies ernst gemeint war.
Wie wenig Gewicht Joe Biden hier in die Waagschale werfen kann und wie schwach seine Präsidentschaft wahrscheinlich sein wird, zeigt bereits die Tatsache, dass alle seine zweifellos ernst gemeinten Appelle zur Versöhnung unbeachtet verhallten. Nein, Biden ist nicht der strahlende Versöhner, der das gespaltene Land wieder zusammensetzen kann. Er ist der stumme Keil, der von wütenden Hämmern auf beiden Seiten immer weiter ins Holz der Republik getrieben wird. Armer, machtloser Keil, bedauernswertes amerikanisches Holz!
Es gibt in allen sogenannten „westlichen Demokratien“ ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen den verfügbaren Informationen über jede Ausprägung exekutiver Gewalt und dem Maß der bürgerlichen Mitbestimmung bei deren Ausübung. Die Demokratie hat ihren sakralen Zauber verloren, seit die Bürger bei den „demokratischen Gottesdiensten“ nicht mehr nur die in prächtige Gewänder gekleideten Rücken ihrer gewählten Polit-Priester betrachten, sondern auch sehen können, wie diese auf der abgewandten Seite in den Messkelch spucken.
Das Vertrauen, die Stimmabgabe alle vier oder fünf Jahre mache den Bürger zum Souverän der Politik, ist vollständig aufgezehrt worden von der Tatsache, dass wir Tag für Tag erfahren, wie wenig wir die Konsequenzen unserer demokratischen Wahlentscheidung vorhersehen können. Die Lage in den USA nach der Präsidentschaftswahl ist nur ein extremes Beispiel. In Deutschland, Frankreich oder Spanien ist die Situation vergleichbar – Gewaltpotenzial inklusive! Weiter fortgeschritten ist der Prozess etwa in Italien oder Griechenland, wo die Menschen den Widerstand gegen ihre politische Kaste bereits aufgegeben und längst Absetzbewegungen in Form passiven Widerstands eingesetzt haben.
Das Establishment gewinnt – vorerst
In den USA wird es, anders als in Berlin, wohl keine Auszeichnung für drei Polizisten geben, die unbewaffnet den Sturm auf das Herz der Demokratie verteidigt haben. Denn während deutsche Politiker misstrauisch Mauern und Gräben um das Reichstagsgebäude errichten, wurde die politische Klasse in Washington von den Randalierern kalt erwischt. Auch hier offenbart sich eine Diskrepanz zwischen imaginierter Trump-Gefahr und deren tatsächlicher Einschätzung. Hatte man nicht seit vier Jahren Trump zur faschistischen Erzplage und dessen Anhänger als willige Vollstrecker seiner Führerbefehle hingestellt? Hätte man nicht mit diesem „Marsch auf die Feldherrenhalle“ rechnen müssen? Stattdessen rief man seit vier Jahren „Feuer!“, und als es schließlich brannte, lag nicht einmal eine nasse Decke zum Löschen bereit.
Die Wahl im November 2020 hat einige Missverständnisse beseitigt, die sich seit vier Jahren hartnäckig gehalten hatten. Nicht die Republikaner hatten 2016 die Wahl gewonnen, sondern Trump, der die Republikanische Partei als Wahlkampfplattform gekapert hatte. Spätestens 2018 hätte man das erkennen müssen, als die Reps die Zwischenwahlen verloren hatten. Die Bürger blieben dieser Wahl einfach fern, weil nicht Trump auf dem Wahlzettel stand. Nach dem prognostizierten Wahlsieg Bidens hatte es das republikanische Establishment denn auch sehr eilig, die Seiten zu wechseln und dem Spruch vom notorischen Polit-Establishment der „Dinos and Rhinos“ Substanz zu verleihen. Auf gut deutsch: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Es geht längst nicht mehr um die „Sache“, sondern um die Macht. Jeder zeigt, so gut er eben konnte, was er zu tun bereit ist, um an der (neuen) Macht zu partizipieren. Nancy Pelosis „Spending Bill“ sah Sonderzahlungen von 600 Dollar für jeden Bürger vor, durch Trumps Veto wurde der Betrag nach zähen Verhandlungen auf 2.000 Dollar erhöht, und es war Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, der dafür sorgte, dass das Gesetz am Ende doch noch abgelehnt wurde. Die Botschaft war klar: Trump, du bist raus! Trump hat das verstanden und seine Wähler mitgenommen. Die schlagen sich zwar für ihn, rühren aber für die Republikanische Partei keinen Finger!
Dann kam am 5. Januar, die Senatswahl in Georgia, und es geschah genau das, was jeder hätte vorhersehen müssen: Beide Senatorensitze gingen an die Demokraten, weil die potenziellen Wähler lieber zuhause blieben oder zur Ralley nach D.C. aufbrachen, als ihre Stimme einer Partei zu geben, deren Politiker sie für Verräter ihres Präsidenten halten. Das republikanische Partei-Establishment glaubte, Trump stütze sich auf dessen Macht. In Georgia musste man nun lernen, dass es genau umgekehrt war.
Die amerikanische Gesellschaft erscheint uns heute als in drei Teile geteilt. In der „Mitte“ eine politische Kaste aus Demokraten und Republikanern, die verzweifelt und ohnmächtig ihre Legitimität schwinden sieht. Links und rechts davon große populistische Lager, die mit allem, was sie haben, auf Privilegien und die angemaßte Heiligkeit der politischen Institutionen einschlagen. Ersetzt man „Heiligkeit“ mit „Alternativlosigkeit“, sieht man mühelos die Parallelen in Berlin oder Paris.
Eine verfahrene Situation
Mit schlafwandlerischer Sicherheit scheinen in der Aufführung des Stücks „Präsidentschaftswahl 2020“ alle Beteiligten stets das zu tun, was gerade am wenigsten zu Entspannung und Vertrauensbildung beiträgt. Während „Team Biden“ die durchaus legitimen Anfechtungen der Wahlergebnisse auf dem Rechtsweg fälschlicherweise für illegitim erklärte, setzte sich nun „Team Trump“ durch blinde und sinnlose Gewalt ins Unrecht. Dabei spielt es für die Wirkung keine Rolle, dass die Proteste in D.C. größtenteils friedlich waren.
Die Unfähigkeit beider Seiten, in den vergangenen zwei Monaten den dringend nötigen Prozess der Vertrauensbildung einzuleiten, hat die Vereinigten Staaten in diese unmögliche Lage gebracht. Nach dem gewaltsamen Eindringen in den Kongress deutet leider nichts darauf hin, dass sich das Karussell des Misstrauens bald langsamer drehen wird. Man hatte auf der einen Seite auf die „Kraft der Massen“ und auf der anderen Seite auf die „Heiligkeit der Institutionen“ und die Legitimität jeder ihrer Handlungen vertraut. Beides hat sich als Illusion erwiesen, die der ganzen Welt noch teuer zu stehen kommen wird.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.