Rainer Bonhorst / 05.09.2018 / 17:30 / 24 / Seite ausdrucken

Alle boxen, aber wer trifft?

Meine örtliche Zeitung, die Augsburger Allgemeine, hat eine außerordentlich vielsagende Schlagzeile gebracht. Sie heißt: „Alle gegen die AfD“. Ich finde, das fasst auf wunderbare Weise die politische Situation in Deutschland zusammen.

Egal, ob man nun den Kampf aller gegen die AfD richtig oder falsch findet, er findet statt. Warum? Natürlich aus Überzeugung, aber inzwischen ebenso aus Panik. Vor allem bei den Sozialdemokraten. Man muss sich das mal vorstellen: Die traditionsreiche Volkspartei SPD ist in einer aktuellen Umfrage von der AfD, einer Partei, von der vor kurzem noch keiner etwas ahnte, auf den dritten Platz verdrängt worden. Wenn es überhaupt parteipolitische Katastrophen gibt, dann ist dies ganz gewiss eine.

Andrea Nahles muss sich fühlen wie Hillary Clinton, die als absoluter Politik-Profi gegen den Unpolitiker Donald Trump verloren hat. Und es ist ja nicht nur die SPD. Auch die CSU in Bayern muss sich darauf einstellen, wegen der AfD vom Thron der absoluten Mehrheit gestoßen zu werden. Markus Söder wird sich auf die in Bayern ziemlich unübliche Suche nach einem oder zwei Partnern begeben müssen. Vom deutschen Osten will ich gar nicht groß reden. Da läuten die Glocken sowieso lauter und deutlicher als im Westen. Aber im Grunde nicht so sehr anders.

Nur die Grünen können nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren vom Aufstieg der Alternative profitieren. Sie werden hochkatapultiert und können ganz ohne Panik ihre moralische Superiorität genießen und ausbreiten.

Es vermischen sich Ethik und Panik

Aber damit sind sie so ziemlich allein. Bei den anderen, die sich „alle gegen die AfD“ formieren, vermischen sich inzwischen Ethik und Panik zu einer seltsamen Melange. Ihre Versuche, die Alternative politisch einzudämmen, erweisen sich als erfolglos. Mehr und mehr geht es um die blanke Macht und bei der SPD sogar ums Überleben. Das Florett ist zurück in der Scheide. Der Kampf mit bloßen Fäusten hat begonnen. 

Und ich habe die Vermutung, dass auch dieser Kampf der blanken Muskeln den erhofften Erfolg nicht bringen wird. Volksparteien und Volkspolitiker haben zu viele Wähler zu lange enttäuscht. Und die schlagen zurück, auch wenn man sie noch so sehr verteufelt. Das ist übrigens der Tiefschlag, der sich auf fatale Weise zum Bumerang gewandelt hat: Die Verteufelung nicht nur einer Partei sondern die Beschimpfung ihrer Sympathisanten als rechtsradikal und nicht gesellschaftsfähig. Nicht nur hat man viele Wähler zu lange als eingebildete Kranke behandelt, sondern man hat sie auch noch beschimpft, wenn sie in ihrer Not zu einem nicht approbierten Doktor gelaufen sind.

So hat man den Aufstieg einer Partei gefördert, die eigentlich doch ziemlich peinlich ist. Sie duldet in ihren Reihen unappetitliche Leute und sie begibt sich in unappetitliche Gesellschaft, wie jetzt in Chemnitz. Es ist schon bemerkenswert, dass eine so angeschmuddelte Partei wie die AfD die Etablierten derart in Nöte bringt und in Panik versetzt.

Man stelle sich vor, was geschähe, wenn sich eine genuin konservative Partei mit durchweg seriösen Figuren neben den Klassikern bilden würde. Was ja eine gewisse Logik hätte, zumal es links dergleichen ja längst gibt, sogar in doppelter Ausführung. Die AfD aber, wie sie sich darstellt, bietet eine große offene Flanke, in die die angeschlagenen Kämpfer des Establishments hinein boxen können. Dass es ihnen trotzdem nicht gelingt, echte Wirkungstreffer zu erzielen, grenzt an einen Witz. Es zeigt, wie sehr ihnen bereits die Puste ausgegangen ist.

So ähnelt der Kampf „aller gegen die AfD“ immer mehr einem verzweifelten Schattenboxen. 

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Leserpost

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Marcel Seiler / 06.09.2018

Es gibt die seriöse Partei schon, die LKR (die Lucke-Partei, ehemals ALFA). Es interessiert nur keinen: Das breite Bürgertum, für das diese Partei genau das Programm hat, interessiert sich nicht ausreichend; es scheint gewohnt, dass andere die “schmutzige” politische Arbeit für es erledigen. Und die LKR ist gerade aufgrund ihrer Seriosität unfähig zur erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit, die heutzutage Rabaukentum, Showtalent, Sexiness und das Machen von unhaltbaren Versprechungen erfordert. - Wenn meine gebildeten und gutsituierten Bekannten klagen, dass es nichts Wählbares gäbe. Wenn ich sie auf die LKR hinweise, wechseln sie das Thema: sie wollen sich nicht um ihr Land kümmern. Da müssen sie sich nicht wundern, wenn die AfD zulegt.

Horst Lange / 05.09.2018

Auch ich bin seit wenigen Wochen Mitglied. Und ich habe an den Stammtischrunden vor allem ehemalige Wähler der CDU, SPD und gar der Grünen kennengelernt. Die Basis ist sehr vernünftig und auf Diskurs ausgerichtet. Es ist die berühmte zweite Luft, die dieses Fliegengewicht im Stile des Schmetterlings zum Schwergewichtsboxer machte, denn es geht nicht um Ideologie, sondern um Wahrheit und letztlich Deutschland und,ja, auch um Europa. Wir glauben an das Gute, daher halten wir auch die andere Wange hin.

Jens Commentz / 05.09.2018

Die AfD hat den höchsten Anteil an promovierten Bundestagsabgeordneten!

M. Stoll / 05.09.2018

Ich wollte schreiben: Der lammfromme Prof. Lucke wurde doch schon als Nazi bezeichnet. Seine “genuin konservative und seriöse” Vita hat da auch nicht geholfen. Und: Schauen Sie sich doch mal den seriösen und kompetenten Auftritt der AFD im Bundestag an und den Kontrast zu den anderen “unappetitlichen Leuten”, die da in Massen sitzen. Das brauch ich jetzt nicht mehr schreiben, denn das haben viele Kommentatoren hier noch viel besser ausgedrückt als ich es könnte. Ich danke euch allen dafür.

Werner Lange / 05.09.2018

Hallo Herr Bonhorst, ich will jetzt die AfD nicht in Schutz nehmen, denn mir gefallen auch da einige Leute garnicht - aber was sich bei den SED-Nachfolgern so herumtreibt ist mindestens ebenso unappetitlich wie bei den Grünen - DA wundert mich dass so viele Wähler auf den Unsinn den KGE und Genoss*innen verzapfen hereinfallen… Leider ist die FDP zu keinen klaren Aussagen zu bewegen, daher fällt auch diese Möchtegern-Partei für mich derzeit aus dem Raster der “wählbaren” Parteien. Nein, wenn sich in D noch etwas zum Positiven bewegen soll dann bleibt nur die am wenigsten unsympatische Partei übrig - und die heißt nicht CDUSPDFDPGRÜNLINKS

Helmut Groddeck / 05.09.2018

Es gibt weniges, was ich unappetitlicher finde als ein Gemenge von Rückgratlosigkeit, Arroganz, Prinzipienlosigkeit und Raffgier. Und meine Wahrnehmung, wo das zuhauf zu finden ist, unterscheidet sich dramatisch von der des Autors. Doch halt! Mit der steilen These, es gäbe längst 2 linke Parteien mit durchweg seriösen Figuren, kann der Artikel dann doch eher als kabarettistische Einlage verstanden werden.

Thomas Hechinger / 05.09.2018

Ich stimme Herrn Midasch zu. Die AfD-Bundestagsfraktion weist eine große Bandbreite von Lebensbereichen auf, Akademiker und Nichtakademiker. Unter den Akademikern gibt es nicht nur die üblichen Verdächtigen aus den im weitesten Sinn sozialwissenschaftlichen Fakultäten, sondern viele Ingenieure, Informatiker, Mediziner, Naturwissenschaftler. Und das ist mit ein Grund, warum die Abgeordneten der anderen Fraktionen Angst haben. Wenn da jemand sitzt, der nicht einfach die drohende Klimakatastrophe beschwört, sondern die Systeme partieller Differentialgleichungen, auf denen die Voraussagen beruhen, verstehen und beurteilen kann, ist das natürlich ein Gegner, dem man sich, selbst nicht einmal in der Lage, eine lineare Gleichung zu lösen, nicht gewachsen fühlt. Da hilft dann nur eines: den andern außerhalb des zulässigen Diskurses stellen, ihn verteufeln, seine Integrität anzweifeln. So kann man sich der drohenden intellektuellen Niederlage erwehren. Das Mittelmaß tut sich gegen die Klügeren zusammen. In Deutschland nichts Neues.

Martin Wessner / 05.09.2018

@Mitkommentatoren Cool bleiben. AchGut ist kein Organ irgendeiner Partei und kann daher auch jedwede politische Organisation incl. der AfD kritisch beleuchten. Und klar, natürlich gibt’s auch in anderen Parteien schräge Gestalten. :-)))

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