Vor 350 Jahren wurde Jacob Paul von Gundling geboren. Der Gelehrte wird Berater des preußischen Königs, bekommt viele Ämter und Titel verliehen, macht sich einen Namen als Historiker, doch berühmt ist er als eine Art Hofnarr, der sich vom König und seiner Entourage erniedrigen und demütigen lässt.
Im April 1731 berichtete ein Potsdamer Pfarrer über eine Beisetzung, an der er nicht mitwirken wollte. Über den Verstorbenen heißt es, dessen Cörper hat der König in ein dazu verfertigtes großes Faß, mit eisernen Rücken beschlagen, legen, und folgendes an daßselbe schreiben lassen: Hierinn liege ein Wunder-Ding, halb Mensch, halb Schwein doch ohne Haut; in der Jugend witzig, im Alter toll; des Morgens klug, das abends voll etc. etc. Bachus trauere darüber, daß er gestorben, und wenn der Leser wißen wolle, wer es sey, so sey das traute Kind der Gundeling.
Lange wurde von der neueren Geschichtswissenschaft angezweifelt, dass der preußische König Friedrich Wilhelm I., der „Soldatenkönig“, den Gelehrten Jacob Paul von Gundling tatsächlich in einem Weinfass habe bestatten lassen. Man hielt es für eine bösartige Legende, zu geschmacklos, auch unter den sicher etwas anderen Gegebenheiten der damaligen Zeit. Das zitierte Dokument wurde erst zu Beginn der 1990er Jahre (wieder)entdeckt. Gundling musste sich vom König und seiner Entourage über Jahre erniedrigen und demütigen lassen, oft verbunden mit physischen Schmerzen, zum Gaudium der Umgebung. Oder, je nach Sichtweise: Gundling ließ sich erniedrigen und demütigen. Der Potsdamer Pfarrer berichtete auch, dass Gundling ihn auf seinem Todtenbette zu sich bitten ließ und ihm mit vielen Jammern und Seufzen erzählet, wie man ihn gemißhandelt habe, und insonderheit erbärml. Darüber geklaget, dass er in einem Fass mit einer derartigen Aufschrift beigesetzt werden solle. Die Art seiner bevorstehenden Grablegung war ihm folglich vollumfänglich bekannt – der letzte Akt einer langen Reihe entsprechender Erfahrungen.
Auf der anderen Seite: Vor allem als Historiker hatte sich Gundling einen Namen gemacht; eine Vielzahl von Werken zur brandenburgischen Geschichte entstammen seiner Feder. Als Ratgeber des Königs wirkte er. Im Ergebnis umfangreicher Visitationen verfasste er Atlanten, ökonomische Bestandsaufnahmen, die ihn zum Mitbegründer der Kameralwissenschaft werden ließen. Anerkennung erfuhr er nicht nur in Preußen, sondern etwa auch von den Kaiserhöfen in Wien und Petersburg.
Vom Arbeitslosen zum Hofrat
Der Gelehrte, der Berater, der sich von der Obrigkeit zum Narren machen und entwürdigen ließ. Widersprüchlich? Tragisch? Selbstverschuldetes Schicksal? Mag sein, dass eine missgünstige Geschichtsschreibung auch vieles übertrieben und ausgeschmückt hat. Gundlings Doppelrolle, in der er sich nicht wohlfühlte, ist verbürgt. Materiell ist er vom König übrigens stets hervorragend versorgt worden.
Geboren heute vor 350 Jahren, am 19. August 1673 im Fränkischen als Sohn eines Pfarrers, erfährt er eine gute Ausbildung. Die damaligen Universitäten Altdorf und Helmstedt sowie die noch bestehende Universität Halle besucht er, als Hofmeister kann er einen Kommilitonen auf der Kavalierstour nach Holland und England begleiten. Einen Magister- oder Doktorgrad erlangt er nicht. Der Lebenslauf dieser frühen Phase ist lückenhaft, 1704 ist er in Preußen, das seit 1701 Königreich ist. Aufmerksam wird man auf ihn durch seine Publikation „Der Staat von Preußen“. 1705 wird er Professor an der neugegründeten Ritterakademie, wenig später zusätzlich Historiograph am Oberheroldsamt.
1713 stirbt König Friedrich I., Pomp und Repräsentation wurden bei ihm großgeschrieben. Sein Sohn Friedrich Wilhelm I. verfolgt dagegen einen eisernen Sparkurs zugunsten einer effektiven Verwaltung und vor allem einer starken Armee. Kulturelles ist dem neuen Herrscher nicht nur fremd, er zeigt offene Abneigung. (Immerhin: Einschränkungen erlegt der König auch seiner Familie und sich selbst auf, die Hofhaltung wird massiv zusammengestrichen.) Majestät ist ein Freund klarer Sprache, Gelehrte sind ihm nutzlose „Blackscheißer“.
Die Institutionen, in denen Gundling tätig war, werden geschlossen, er selbst wird mithin arbeitslos. Über den Weg, der ihn zum „Soldatenkönig“ führt, liegen unfreundliche Varianten vor. Etwa derart, dass man auf den ehemaligen Professor, der nun als abgestürzter Trinker mit Unterhaltungswert in den Kneipen doziert, aufmerksam wird, was ihn direkt in die Stellung des Hofnarren katapultiert. Mehr spricht für die Version, dass sich der Gelehrte abermals publizistisch empfiehlt. Eine wirtschaftspolitische Ausarbeitung, mit der er den Nerv des Königs trifft, verschafft ihm die Stellung eines Hofrats. Als eine Art Pressereferent sichtet er in- und ausländische Zeitungen. Der König, der die Wissenschaft lautstark und demonstrativ verachtet, weiß die Vorschläge des umfassend gebildeten Gundling für die Umsetzung seiner Politik sehr zu schätzen. Logik ist nicht immer die starke Seite der Herrschenden.
Alle Fluchtversuche sind gescheitert
Als Beginn von Gundlings „Karriere“ als Hofnarr ist wohl ein Februarabend des Jahres 1714 zu betrachten. Beim sogenannten Tabakskollegium – der König pflegt eine Art regelmäßigen, abendlichen Stammtisch mit etwa acht bis zwölf Herren, es geht einfach, deftig, mitunter auch politisch einher – wird der den Gespensterglauben ablehnende Hofrat in eine Diskussion verwickelt, betrunken gemacht und nach Hause gebracht. Dort erwartet ihn ein als Gespenst verkleideter Soldat. Gundlings Panik und sein plötzliches Bekenntnis zur Existenz von Geistern sorgt für großes Amüsement. Es bleibt allerdings nicht bei derartig harmlosen Scherzen, die Freude an der Demütigung Gundlings durch König und Hofgesellschaft ist beträchtlich und nimmt beständig zu. Alkohol in großen Mengen spielt dabei und im Leben Gundlings überhaupt eine erhebliche Rolle. Als ihm suggeriert wird, man wolle die Ritterakademie wieder eröffnen und er eine entsprechende Rede halten will, tritt plötzlich ein kostümierter Narr vor ihn und fordert ihn auf, Brüderschaft mit ihm zu trinken, das Ganze führt zu einer Schlägerei, der enttäuschte Gundling muss am Ende das Narrenkostüm anziehen und wird als „Ritter von Potsdam“ verspottet.
Die Ernennung zum Geheimen Rat ist mit der – ausschließlichen – Aufgabe verbunden, dem König während der Jagd die Hunde nachzuführen. Gundling ist die Jagd zuwider, ein Versuch, sich zu entziehen, endet wiederum mit Prügel, und er muss sich fügen. Wenig Rücksicht auf sein Leben nimmt man, als man junge Bären in seinem Schlafzimmer versteckt, diese dann zusätzlich mit Feuerwerkskörpern reizt und Vergnügen daran findet, dass Gundling erheblich verletzt wird. Zum Oberzeremonienmeister lässt er sich ernennen – obwohl er weiß, dass Friedrich Wilhelm I. dieses Amt abgeschafft hat, nichts vom Zeremoniell hält und dies entsprechend zeigen will. Gundling muss sich zur Belustigung der Anderen in diesem Amt nach der in Preußen nicht gängigen Pariser Mode kleiden und eine große, bereits aus der Zeit gefallene Allongeperücke tragen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Spottbilder gibt es über ihn, immer wieder mit dem Hasen als Symbol für Feigheit. Der König setzt Pfauenfedern – als Zeichen für Eitelkeit – in das Freiherrenwappen, als er Gundling 1724 adelt.
Mehrfach versucht dieser, sich durch Flucht zu entziehen, man holt ihn zurück. Der König braucht seinen gelehrten Narren – und der fügt sich schließlich. Lohn gibt es ja reichlich. Eine einträgliche Stelle als Kanoniker des Domstifts Halberstadt hat er bereits als „Entschädigung“ für die nicht wiederhergestellte Ritterakademie bekommen. 1718 wird Gundling Präsident der „Societät der Wissenschaften“ (der späteren Akademie der Wissenschaften), ein Amt, das einst Leibniz innehatte. Auch wenn der König mit der Ernennung eher seine Verachtung gegenüber den Gelehrten ausdrücken will, so setzt Gundling in dieser Funktion durchaus Akzente. Mitglied einer Reihe von Verwaltungs- und Gerichtskollegien wird er, die Anzahl seiner Titel ist immens – und an sich schon wieder Karikatur.
Am 11. April 1731 stirbt Gundling in Potsdam, bestattet wird er in der Kirche von Bornstedt – im Weinfass. Resümierend soll er einst bekannt haben: Ich habe mir viel Mühe gegeben, um in der Welt mein Glück zu machen, und es ist mir herzlich sauer geworden, ein Stückchen Brod zu finden. Hier habe ich es nun in Berlin gefunden. Daß ich so behandelt werde, fällt auf den, der es thut; also muß ich zufrieden sein und mich in mein Schicksal in Geduld finden.
Oder fällt es vielleicht doch auch ein wenig auf den, der sich so behandeln lässt? Bären im Schlafzimmer zu verstecken, ist nicht mehr so angesagt. Aber zum Vergnügen des Kanzlers als Affe auf dem Tisch zu tanzen, das hatte die – alte – Bundesrepublik auch noch zu bieten.