Zynismus ist auch keine Lösung

„Ein Zyniker ist jemand, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt.“ Dieses bekannte Zitat stammt von Oscar Wilde und hat mindestens einen wahren Kern. In einer spöttischen Art, die auf den einen oder anderen seelenlos wirken kann, werden Dinge verpönt, die der andere schätzt. Wie in diesem Beispiel: „Eine Diktatur ist eigentlich nicht das Schlimmste, wenn man sich anschaut, wer alles in einer Demokratie mitentscheiden kann.“ Eine klassische Art, den Wert, die Demokratie, nicht wahrzunehmen, ja, ihn gewissermaßen zu verpreisen. Dabei ist gar nicht entscheidend, wie die Haltung des Zynikers zum Wert selbst ist. Es genügt, dadurch die Meinung desjenigen zu karikieren, der diesen Wert vertritt. Das ist die eine Seite. 

Eine andere Seite des Zynismus ist, dass er nicht immer, aber häufig schlichte Verzweiflung ausdrückt. Sie beschreibt eine gewisse Desillusionierung, bezogen auf die Welt oder auf wesentliche Teile davon. Und er kann in seiner Bitternis auch einfach nur lustig sein. Die Aktion #wirmachendicht war in Teilen zynisch. Aber auch sarkastisch und in vielen Fällen verdammt komisch. Die Reaktion auf das Projekt machte mir zwei Dinge sehr deutlich: Erstens, Deutsche haben ein wahnsinniges Problem mit Sarkasmus und Zynismus. Sie verstehen diese Stilmittel schlicht nicht und er, der Deutsche, verurteilt vor allem Zynismus zutiefst. So verhöhnten die Künstler laut vielfacher Aussagen Mitarbeiter im Krankenhaus, obwohl nicht in einem einzigen Clip von Pflegern oder Ärzten die Rede war. Zynismus und Sarkasmus sind im Übrigen zwei verschiedene Dinge, die in praktischen Beispielen jedoch häufig verschwimmen. 

Die zweite Sache verdeutlichte mir die Aktion: Ich bin in einigen Punkten zum Zyniker geworden. Ja. Gerade die Corona-Maßnahmen haben in mir diese Haltung manifestiert. Zunächst war da die Wut ob der Corona-Maßnahmen. Und als sie verlängert wurden und verlängert – „nur noch ein paar Wochen“ – und dann gar nicht mehr aufhörten, kam die Verzweiflung. Wohin mit meiner Kritik? Aufschreiben, na klar, aber auch die Worte „auf Papier“ lasen sich immer mehr zynisch. Die Übergriffigkeit vieler Maßnahmen seitens der Regenten evozierten in mir eine Machtlosigkeit, die ich vorher nicht kannte. Hatte ich noch vor Covid eine recht präzise Vorstellung, wie mein „perfekter Staat“ auszusehen hat, so ist die Antwort auf die Frage, welche Partei ich zu wählen gedenke, auf ein Minimum geschrumpft: Ich wähle die Partei, die mich am ehesten in Ruhe lässt. 

Mein Zynismus ist also eine Art Bewältigungsstrategie, die einen großen Nachteil in sich trägt. Aufgrund ihres abwehrenden Charakters erzeugt sie eine emotionale Antriebslosigkeit, die an manchen Stellen zu einer Gleichgültigkeit wird. In den letzten Wochen fiel mir das besonders dann auf, als ich leidenschaftlichen Beiträgen von meist jungen Menschen lauschte, die sich noch ehrlich und herrlich ansteckend empören konnten. Dazu muss ich etwas ausholen. 

Mantra einer Schweigespirale

Twitter hat eine tolle Funktion geschaffen, die sich „Twitter Spaces“ nennt. Diese Spaces funktionieren im Prinzip wie die App „Clubhouse“. Man eröffnet einen solchen Raum und Menschen können diesem beitreten und lediglich mittels ihrer Stimme kommunizieren. Je mehr Menschen beitreten, desto lebhafter wird eine solche Diskussion. In diesen Gesprächen, denen ich teilweise nächtelang beiwohnte, lernte ich nicht nur interessante Menschen kennen, deren Meinung ich politisch teilweise gar nicht teilte.

Ich bemerkte vor allem meine wachsende Gleichgültigkeit. So lauschte ich beispielsweise den flammendsten Redebeiträgen gegen die antisemitischen Proteste auf deutschen Straßen, die man sich nur vorstellen kann! Echte Brandreden, wahre Empörung. Ich war Gasthörer von Reden, die sich gegen die Lockdown-Politik richten, bei denen ich nur so staunen konnte. Twitter hat mit den Spaces etwas geschafft, was ich sozialen Medien nicht zugetraut hätte: einen Raum für echte, kontroverse Diskussionen mit Respekt und Anstand, und noch dazu auf einem meist anständigen Niveau. 

Menschen im Alter von 16 oder 20 haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Zynismus ist ein Schutzmechanismus, aber er hilft auf Dauer und in der Breite nicht weiter. Es muss wieder Zeit sein für echte Empörung und wahre Leidenschaft. „Ein Zyniker ist jemand, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt“, ist also nur die halbe Wahrheit – aber auch nicht ganz falsch. Die innere Emigration in Form zynischer Worte kann persönlich hilfreich sein, ja. Aber um Dinge zu verändern, bedarf es mehr.

Die Corona-Maßnahmen, der Lockdown, vor allem die politisch angeordneten Kontaktverbote hatten eine Wirkung: Menschen, die sich vor dem März 2020 wie selbstverständlich über Fehler der Herrschenden ausgetauscht hatten, wurden ihrer Plattform beraubt. Der Stammtisch in der gewohnten Form wurde zerstört. Soziale Medien können das nur in Teilen substituieren, aber immerhin versuchen sie es. „Es sind doch nur noch ein paar Monate“ wurde zum Mantra einer Schweigespirale. Alles, was die Regenten beschließen, sei abzunicken. Dieser auferlegte Devotismus ist mir zuwider und muss enden. 

Von Oscar Wilde und aus „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ stammt auch dieses Zitat: „Ungehorsam ist für jeden Geschichtskundigen die eigentliche Tugend des Menschen. Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt, durch Ungehorsam und Aufsässigkeit.“ Es ist Zeit, dass aus diesen Worten ein Motto wird. Denn nur durch echte Empörung kann wahre Veränderung entstehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Neomarius.

Foto: BiblioArchives / LibraryArchives Flickr via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karsten Dörre / 29.05.2021

Zynismus trifft nur, wenn man den Betreffenden näher kennt. Die DDR wurde nicht mit Zynismus ertragen sondern mit dem Humor, den die Gesellschaftsform auslöste (die DDR-Witze verstand man nur in der DDR). Auf den Straßen im Herbst 1989 gab es weder Zynismus noch Humor. Allerdings brauchte man auch nicht mit Bereitschaftspolizisten reden, sie anschreien, sie erziehen, sie belehren, da sie nie im Weg standen. Die Hilflosigkeit heute mit der Macht der Straße richtig umzugehen, sieht man in vielen Videos, wo Demonstranten den Polizisten deren Arbeitsauftrag erklären wollen (z.B. beim “Marmor, Stein…“Wegsinge-Video. Da sind viele rechtsextreme Demos weiter, da diese schon länger Bescheid wissen und organisierter auftreten.

Volker Kleinophorst / 29.05.2021

„Die Lage ist doch nicht so schlecht, dass wir uns in Optimismus flüchten müssen.“ Michael Klonovsky

Michael Wendmann / 29.05.2021

Genau richtig. Es wird viel zu viel rumgeheult und rumgemeckert oder eben zynisch reagiert. Am Ende verliert man aber so gut wie jede politische und kulturelle Auseinandersetzung aktuell.  Da sollte man (natürlich im demokratischen Rahmen) sich viel mehr einfallen lassen um sich durchzusetzen.

sybille eden / 29.05.2021

Lieber Herr PLUTZ,-  die Friedhöfe sind voll den “Ungehorsamen und Aufsässigen”, und was hat es gebracht ? Der technische Fortschritt ist wohl eher von den “Suchenden und Endeckern” voran getrieben worden. Gibts noch ein Fortschritt ? Ich wüsste keinen, denn der religiöse Irrglaube, zu dem ich auch den Glauben an den Sozialismus zähle, ist ja wohl eher ein Rückschritt in die Barbarei.

RMPetersen / 29.05.2021

Zyniker??? Nur Schweden hat eine menschengemäße Strategie: Eigenverantwortung. Wer ein schwaches Immunsystem hat, passt auf sich auf, alle Anderen gehen damit um wie mit Grippe-, Sport- oder Rauchrisiken, nämlich nach eigenem Ermessen. Und der Staat hört auf, sich als Vormund aufzuspielen. Dass ausgerechnet die im Prinzp “woke-sozialistischen“ und staatsgläubigen Schweden bei Corona nicht die große Bevormundungsmaschine angeworfen haben, ist toll.

Ralf.Michael / 29.05.2021

Zum Zyniker geworden ?? Machen Sie sich bloss Nichts draus….Mich hat es viel schlimmer erwischt, ich bin jetzt ein Sarkast und finde Sarkasmus echt Geil….

Hans Reinhardt / 29.05.2021

Angesichts der Coronakrise mit ihren völlig wertlosen Maßnahmen und einem Preis, der in seiner Höhe noch gar nicht abzuschätzen ist, hätte Oscar Wilde seine Definition des Zynismus sicher anders formuliert.

A. Ostrovsky / 29.05.2021

Hurra, ich glaube, ich kann es überleben! Ich habe jetzt einen festen Plan, wie ich es anstelle, doch wieder die Aktuelle Kamera vom ZDF zu sehen. Erstmal so etwa ein Mal im Monat. Ich werde vorher tiefe Atemübungen machen, drei Gebete sprechen und drei Mal den Bildschirm umkreisen. Und dann habe ich über dem Bildschirm eine Laufschrift “Paralleluniversum”. Und dann habe ich einen Totmannknopf gebaut, dass es sich von selbst abschaltet, wenn ich ohnmächtig werde. Es kann klappen. Es muss klappen, das bin ich den Genossen von der Aktuellen Kamera schuldig. Nein, den Genossinnen nicht! Die haben ja solche Gewächse wie die Eva aus ihren Reihen hervor gebracht. Da steht ja die Sühne noch aus. Es dauert eben, wie bei den Herero, bis Gerechtigkeit endlich durchbricht wie ein betrunkener Eber. Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her. Ich schaffe das!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com