Gastautor / 10.01.2016 / 06:30 / 14 / Seite ausdrucken

2016: Ein klarer Blick ist ein klarer Blick

Von Susanne Baumstark

„Weshalb heißen besorgte Bürger nicht einfach Mischpoke, Pack, Spinner, Rechtspopulisten oder Pöbel“, dachten die Leute im Scheinwerferlicht und lächelten stolz über ihren Einfall. Also sagten sie von da an zu den besorgten Bürgern wahlweise Mischpoke, Pack, Spinner, Rechtspopulisten oder Pöbel, machten ihre Hassbotschaften überall bekannt und hofften, dass die besorgten Bürger dann keine Sorgen mehr aussprechen. Und weil das recht gut funktionierte, benannten sie bald auch andere Wörter um.

So beschloss man, unbequeme Sachinformationen künftig rassistische Hetze zu nennen. Zur Kulturpflege sagten sie Nationalismus und zur Empörung künftig Hass. Aufklärung nannten sie Verschwörungstheorie und aus dem Wort interessant wurde das Wort krude, während lustig nun anstelle von niveaulos stand. Die Vereinsvetterleswirtschaft hieß jetzt Kampf gegen Rechts. Aus konservativ wurde rechtsextrem, aus linksextrem wurde autonom, aus der Heuchelei der Anstand und aus der Autokratie die Demokratie. Zwangsmoral bezeichneten sie als Freiheit, das Diktat als Debatte, die Ausrede als Verantwortung und die Agitation als Journalismus. Wer etwas auf den Punkt brachte der spaltete jetzt, wer tatsächlich spaltete war mutig, während Mutige als verantwortungslos galten.

Sie übten viele Tage sich die neuen Bezeichnungen einzuprägen und sie überall zu verbreiten. Ihre neue Sprache hegten und pflegten sie. Manch einer träumte gar schon in ihr. Jenen wurde sie wie eine zweite Haut, ohne die sie kaum noch atmen konnten.

Die unbesorgten Bürger indessen wollten von den Leuten im Scheinwerferlicht alles annehmen, weil sie sich damit im Schein der Anständigen wähnten. Daher nahmen sie auch die neue Sprachregelung für die besorgten Bürger an und setzten sich eine rosafarbene Brille auf, damit ein klarer Blick die Harmonie nicht störe.

Da trug es sich aber zu, dass die Realität gewaltig einschlug. Die rosafarbenen Brillen beschlugen sich dadurch hartnäckig. Manche ließen ihre Brille trotzdem weiterhin auf und waren fortan fast blind. Doch es gab auch welche, die sie absetzten und den klaren Blick riskierten. Jene werden erkennen und eines Tages vielleicht auch kämpfen, für eine möglichst gewaltfreie Welt…

Der Beitrag entstand nach Anregung von Peter Bichsel’s „Ein Tisch ist ein Tisch“.

Susanne Baumstark, Jahrgang 1967, ist freie Redakteurin und Diplom-Sozialpädagogin.
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Bernhard Fleischmann / 10.01.2016

Und das von einer Sozialpädagogin- Chapeau!

Magdalena Schubert / 10.01.2016

Sehr geehrte Frau Baumstark Ein wunderbarer, mich sehr berührender Artikel. Da ich selbst seit meiner Kindheit eine leidenschaftlich Schreibende bin, kann ich Ihre Sichtweise ganz und gar nachempfinden und bestätigen. Am 10.12.2002 schrieb ich folgendes an meine ehemalige Deutschlehrerin, eine Klosterschwester: “Meine große Liebe zum Lesen und Schreiben habe ich auch Ihnen zu verdanken. Ihr wunderbarer Literaturunterricht, die Hinführung zu wirklich guten Büchern und Autoren, die Entdeckung und Faszination von Sprache: wie Worte berühren, erschüttern, etwas anstoßen können; welche positive aber auch zerstörerische Kraft von ihnen ausgehen kann.” Ja, leider können Worte viel Unheil anrichten, vor allem, wenn Sprache bewusst einer bestimmten Ideologie angepasst wird, wenn man Menschen damit gefügig machen will. Ihr letzter Absatz ist stark, “baumstark”! Die Realität hat gleichsam wie eine Bombe eingeschlagen. Dennoch befürchte ich, dass es zu keiner dauerhaften Einsicht bei den Verantwortlichen führen wird. Wenn das oft nichtmal in der eigenen Familie gelingt. Am 14. Juni 2007 lautete mein Tagebucheintrag (in Auszügen) so: “Inzwischen sind wir alle nach und nach wachgerüttelt worden. Jeder von uns ist irgendwann einmal aufgeschreckt und hat -zumindest einen kurzen Augenblick- der Realität standgehalten. Und dann die Augen wieder geschlossen. Oh süßer Selbstbetrug! Wir gewinnen Erkenntnisse, sie verändern unseren Blickwinkel - aber wenn wir sie nicht zu einem festen Bestandteil unseres Denkens machen, zerbröseln sie wieder, lösen sich auf, weichen den von klein auf eingehämmerten Betrachtungsweisen.” Doch wir dürfen uns nicht entmutigen lassen und die Hoffnung nicht aufgeben, dass immer mehr Menschen einen klaren Blick bekommen. In diesem Sinne grüßt Sie herzlich Magdalena Schubert

Werner Schmidt / 10.01.2016

Ein großartiger Beitrag! Liest sich wie eine Satire, bringt aber leider die Realität auf den Punkt. Wer abweichende Meinungen vertritt, wird mit bewährten Kampfbegriffen in die rechte Ecke gestellt. Eine linksintellektuelle Elite hat die Meinungsführerschaft seit langem inne und bestimmt darüber, welche Themen wie zu diskutieren sind. Und die Union unter Merkel hat sich diesen erfolgreichen Agenda-Settern angepasst. Die Folge: Nie lagen öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung weiter auseinander. Zu dem Giftküchenvokabular hätte ich da noch ein paar Ergänzungen: - Kritiker der offensichtlich nicht funktionierenden Einheitswährung sind im P.C.-Sprech “Nationalisten” und “Europafeinde” - - Wer sich kritisch mit dem Islam befasst ist “islamophob” und wird damit in den Bereich der Psychiatrie abgeschoben - -  Leute, die nicht verstanden haben, was die kraft administrativer Entscheidungen von 6 auf 28 Staaten aufgeblasene Europäische Union in der Ukraine zu suchen hat werden mit dem Etikett “Putin-Versteher” versehen. - Gerne werden auch gut begründbare Ansichten pauschal als “Vorurteile” abqualifiziert . Ja selbst die Zuweisung des harmlos klingenden Attributes,  “umstritten”  hat sich als wirkungsvolle Stigmatisierung von Personen erwiesen, wovon Werner Patzelt und Jörg Baberowski ein Lied zu singen wissen. Das größte Schindluder aber wird mit dem Begriff “populistisch” getrieben.  Selbst in vermeintlich seriösen Nachrichtenbeiträgen der Öffentlich-Rechtlichen wird eine jede rechts- oder nationalkonservative Gruppierung (ich rede nicht von rechtsradikalen) grundsätzlich mit dem Zusatz “populistisch” versehen. Auf eine Definition des Begriffs aber wartet man vergebens. Wie wäre es z. B. mit “die linkspopulistische Partei Die Linke” ? Oder, wie wäre es mit dem Begriff vom “Mainstreampopulismus”, den Wolfgang Herles in seinem Buch “Die Gefallsüchtigen” auf die etablierten Parteien anwendet?

Thomas Schlosser / 10.01.2016

Früher dachte ich immer, George Orwell sei nur ein Schriftsteller gewesen, jetzt, nach 10 Jahren Merkel im Bundeskanzleramt, weiß ich: Er war auch ein Hellseher, gegen den der olle Hanussen geradezu ein Waisenknabe war….

Wolfgang Behr / 10.01.2016

Mit anderen Worten, die Integrationspolitik lässt uns noch mal in die Zeit der Aufklärung eintauchen.

Reiner Hoefer / 10.01.2016

Ausgezeichnet, Frau Baumstark, genauer kann man die Verhältnisse in Deutschland nicht beschreiben. Das ist keine Satire (leider) sondern die bittere Realität und Wahrheit. Danke!

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