112-Peterson: Rücksicht nehmen auf mein Zukunfts-Ich

Für ein sinnvolles Leben, braucht man ein Lebensziel und die Fähigkeit, sowohl auf andere Menschen als auch auf sein zukünftiges Ich Rücksicht zu nehmen.

Der Mensch ist ein seltsames Wesen, denn ein Ziel zu haben und uns diesem zu nähern, belebt uns viel mehr als das Erreichen dieses Ziels. Und das heißt, dass man ein Ziel und eine Sinngebung haben muss. Und es bedeutet auch, dass das Leben umso besser ist, je ehrenwerter das Ziel ist – das ist eine Möglichkeit, darüber zu denken. Es ist wirklich interessant zu verstehen, denn Sie wissen, dass Sie von klein auf gehört haben, dass Sie sich wie ein guter Mensch verhalten und zum Beispiel nicht lügen sollen. Vielleicht denken Sie: Warum sollte ich mich wie ein guter Mensch verhalten und warum sollte ich nicht lügen? Selbst ein Dreijähriger kann diese Frage stellen, denn kluge Kinder lernen übrigens früher zu lügen.

Und sie denken, warum nicht die Realität so verdrehen, dass sie ihren speziellen kurzfristigen Bedürfnissen dient? Das ist eine bedeutende Frage, warum nicht so handeln? Warum sollte man moralisch handeln, wenn man mit etwas davonkommen kann, das einen dem eigenen Ziel näherbringt? Warum sollte man das tun? Das sind gute Fragen. Es ist nicht offenkundig, aber es scheint mir mit dem zusammenzuhängen, was ich gerade erwähnt habe. Es ist, als würde man sich selbst aus dem Gleichgewicht bringen. Die Dinge werden chaotisch, was nicht zuträglich ist. Und wenn man kein ehrenwertes Ziel hat, dann haben Sie nur oberflächliche, triviale Vergnügungen, die Ihnen keine Kraft geben. Das ist nicht günstig, denn das Leben ist derart schwierig. Es bedeutet so viel Leid, es ist so komplex. Es endet und ein jeder stirbt und es ist schmerzhaft.

Wie kann man ohne ein anständiges Ziel all dem standhalten? Man kann es nicht. Man verzweifelt, und wenn man verzweifelt ist, geht es sehr schnell bergab. Das ist also die Idee des ehrenwerten Ziels – es ist nicht irgendetwas. Es ist notwendig, es ist das Brot, ohne das die Menschen nicht leben können, richtig? Das ist kein physisches Brot. Es ist das edle Ziel. Was bedeutet das? Es wurde zum Teil in der Geschichte von Marduk verkörpert. Es geht darum, aufmerksam zu sein. Es geht darum, anständig zu sprechen, dem Chaos entgegenzutreten und eine bessere Welt zu schaffen. Das ist so etwas wie ein edles Ziel, so dass man aufstehen kann, ohne bei dem Gedanken an die eigene Existenz zusammenzuzucken, so dass man etwas tun kann, das sich lohnt, um seine erbärmliche Position auf dem Planeten zu rechtfertigen. (…)

Das ist ein Problem für den zukünftigen Homer

Sie wollen nicht so sehr leiden, dass Ihr Leben unerträglich wird, richtig? Das scheint einleuchtend zu sein. Der Schmerz spricht für sich selbst. Ich betrachte den Schmerz als die elementare Realität, denn niemand bestreitet ihn, nicht wahr? Selbst wenn man sagt, dass man nicht an den Schmerz glaubt, hilft das nicht, wenn man Schmerzen hat. Man kann ihn nicht mit Logik und Rationalität aushebeln. Es ist einfach die Grundlage der Existenz und das ist nützlich zu wissen. Sagen wir, man will nicht mehr davon haben als unbedingt nötig, und ich denke, das ist selbstverständlich. Und dann sagt man, Moment mal, es ist komplizierter. Man will nicht mehr von dem, was heute notwendig ist, aber auch morgen, nächste Woche, nächsten Monat und nächstes Jahr. (...)

Das ist ein Teil des Problems der kurzfristigen Vergnügungen. Man würde in Eile handeln und später bereuen. Jeder weiß, was das bedeutet. Man muss also so handeln, dass es jetzt und morgen und nächste Woche und nächsten Monat etc. gelingt. Man muss auf sein zukünftiges Ich Rücksicht nehmen. (..)  Das ist nicht viel anders, als andere Menschen zu berücksichtigen, oder? Ich erinnere mich an diese Simpson-Folge, in der Homer einen Liter Mayonnaise und Wodka hinunterkippt und Marge sagt, „Das solltest du nicht tun“. Homer sagt: „Das ist ein Problem für den zukünftigen Homer.“ (..)

Sie sehen, wir müssen uns damit auseinandersetzen. Das „Du“ da draußen in der Zukunft ist so etwas wie eine andere Person. Herauszufinden, wie man sich seinem zukünftigen „Ich“ gegenüber richtig verhält, ist nicht viel anders als herauszufinden, wie man sich anderen Menschen gegenüber verhält. Aber dann könnten wir die Nebenbedingungen ausweiten. Die Interpretation, die Sie herausziehen, muss Sie nicht nur vor Leid schützen und Ihnen ein Ziel geben, sondern sie muss auch so funktionieren, dass sie über die Zeit hinweg Bestand hat. Sie muss auch in der Gegenwart anderer Menschen funktionieren, so dass Sie mit ihnen kooperieren und mit ihnen konkurrieren können, ohne dass Sie noch mehr leiden müssen. Und die Menschen sind nicht so tolerant. Sie haben die Wahl, sie müssen nicht mit Ihnen herumhängen, sie können mit jedem dieser anderen Primaten abhängen. Wenn Sie sich nicht richtig verhalten – zumindest innerhalb gewisser Grenzen – dann werden Sie beiseitegeschoben. Die Leute senden Ihnen ständig Informationen darüber, wie Sie die Welt zu interpretieren haben, damit sie es tolerieren können, mit Ihnen zusammen zu sein. Das benötigen Sie, denn gesellschaftlich isoliert ist man wahnsinnig und tot.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.

Foto: Gage Skidmore CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Helmut Driesel / 22.05.2024

  Der Prof. Peterson schreibt immer so seltsame Sachen, mal zum Schmunzeln, mal zum Entrüsten. Also das “Ziel im Leben” ist es, quasi wie eine Kanonenkugel, ballistisch vorhersehbar, erst hoch, dann runter, dann Bums. Ziel getroffen, aber zu alt nun. Normale Menschen haben Aufgaben, die sie erledigen müssen, Pflichten eventuell, danach kommt im Rang das Freiwillige. Auch die Erholung. Ziele sind Fiktionen, oft genug Selbstbetrug. Das Leben ist ohne Ziel, von der Fortpflanzung mal abgesehen. Der Mensch tut irgendwas, mit Projektionen, was daraus zukünftig werden könnte oder auch nicht. Nichts muss, alles darf, manchmal auch umgekehrt. Das lässt sich nicht planen und zum Ziele führen. Man wird nicht Arzt, Chemiker oder Bundeskanzler, weil man dieses Ziel hat, sondern wenn es Optionen sind. Wenn man sich diesen Optionen nähern kann und will, wenn man Potential dazu hat und entschlusskräftig genug ist. Niemand wird Ehemann oder Familienvater, wenn das nicht Option ist. Sich ein Ziel zu setzen, das ist wie das Betrachten des Mondes in einer schlaflosen Nacht.

TinaTobel / 22.05.2024

Zitat: “Wenn Sie sich nicht richtig verhalten – zumindest innerhalb gewisser Grenzen – dann werden Sie beiseitegeschoben. Die Leute senden Ihnen ständig Informationen darüber, wie Sie die Welt zu interpretieren haben, damit sie es tolerieren können, mit Ihnen zusammen zu sein. Das benötigen Sie, denn gesellschaftlich isoliert ist man wahnsinnig und tot.” Mein Umfeld sendet mir ständig die Information, dass ich die Welt gefälligst im rot-grünen öffentlich-rechtlichen Sinn interpretieren soll. Gibt mir Jordan B. Peterson demnach den Rat, ich solle mich dieser Sicht der Welt anpassen, um nicht gesellschaftlich isoliert und wahnsinnig zu werden oder sogar zu sterben? Oder liefert dieser Auszug aus einem Video vielleicht einfach zu wenig Kontext?

Irene Luh / 22.05.2024

Genau deswegen ist Psychologie ein Pseudo-Möchtegern-Wissenschaft. ++ Hat Herr Peterson Angst vorm alt werden? ++ Hat er noch nie etwas von genetischer Entropie gehört? ++ Oder daß die Verwandschaft zwischen dem Y-Chromosom des Menschen und des Schimpansen in Scherben liegt? [Vgl. Prof. David C. Page (evol. Biologe): The fickle Y chromosome, Nature 463, 2010, S. 463.] ++ Sie bauen auf Sand, Herr Peterson.

S. Andersson / 22.05.2024

Na wenn bei dem Text mal nicht ein guter Tropfen mit anwesend war. Und was soll ein ehrenwertes Ziel sein. Mein Leben, meine Entscheidung. Lügen ist auch zu anstrengend, da muss man sich viel zu viel merken um nicht auf zu fliegen. Aber selbst das stört heute keinen Polit Genossen oder die MSM mehr. Und anpassen an die Gesellschaft, ist spätestens seit dem Corinna Märchen ein wenig mehr als Dumm. Anstand und Respekt gilt es zu haben & zu gewähren. Aber das alles ist heut zu Tage nicht mehr Woke. Lügen & Betrügen ohne jeden Skrupel, das ist es was die ach so gute Gesellschaft/ Medien heute vermitteln. So einfach ist das ... denn die Kleinen lernen IMMER von den Großen

Rainer Niersberger / 22.05.2024

Abgesehen von der nicht ganz einfachen conditio humana als solches und dem limbischen System wurde dem westlichen, modernen Menschen ueber viele Jahrzehnte vermittelt, nicht zufaellig erfolgreich, dass er nicht nur im Hier und Heute lebt, sondern auf eine unmittelbare, kognitiv befreite, Beduerfnisbefriedigung zu achten habe, ohne an irgendwelche moeglichen Folgen zu denken. Zumal ihm dieses Folgen vom System abgenommen wuerden, er also sich darum nicht kümmern muesse. Der postmoderne Mensch hat nun gelernt, dass er von jeglicher Verantwortung, auch gegen sich selbst, befreit ist. Eine feine Sache. Vor allem, wenn ihm, also den meisten, nicht allen, das System tatsaechlich die Optionen zur sofortigen Triebabfuhr bereitstellt und dazu noch passende, rationalisierende bzw rechtfertigende Narrative liefert. Dass das Ganze damit regressiv animalisch abgleitet, ist ein gewollter Nebeneffekt. Interessant ist lediglich, dass die Klimatologen nun wieder unter dem Begriff der Nachhaltigkeit das Narrativ der Sorge um die Zukunft der Nachfahren, ohnehin eher unerwünscht, bemühen.  Erfreulicherweise wissen wir, also einige von uns, dass es sich lediglich um ein narratives Mittel fuer ganz andere Ziele handelt, um den Versuch, qua edler Motive die selbstschaedigende Transformation zu bejubeln.  Alle anderen ismen weisen sehr deutlich in die andere Richtung der hedonistischen Hemmungs - und Grenzenlosigkeit, der voelligen Unterwerfung unter die Herrschaft des Dopamin. Dass diese Junkieattituede ihre Tuecken, Spaetfolgen und Nebenwirkungen hat, ist vielen bekannt. Aber dann “hilft” die Gesellschaft, die Politik, ggf auch der Psychotherapeut. Und natuerlich waren und sind immer die Anderen, gerne auch die weissen Herren, ” schuld”.  Ich fürchte, dass wir im Zeitalter der Bonoboisierung mit Aristoteles kaum werden landen können.

janblank / 22.05.2024

Homer kippt einen Liter Majonaise und Wodka herunter? Probleme hat dann der zukünftige Homer?  Das ist genau rot -grüne Sozialpolitik. Also bitte- auch um den Preis der sozialen Isolation: Lieber klaren Sinnes und quicklebendig als darmwarm eingebunden unter Wahnsinnigen und Toten. Für einen denkenden Menschen haben moralistische Leuchttürme sämtlich ausgedampft. Dass das nicht einfach ist, steht auf einem anderen Blatt. Lohnt sich aber.

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