112-Peterson: Chaos und Führungskraft

Was ist das Prinzip der Souveränität? Und was hat eine mesopotamische Gottheit mit persönlichen Konflikten zu tun?

Eine der Debatten zwischen dem frühen Christentum und dem späten römischen Imperium war die Frage, ob ein Kaiser buchstäblich Gott sein konnte – ob er vergöttert und in einen Tempel gestellt werden konnte. Und Sie können sich vorstellen, warum das passieren könnte, denn es ist jemand, der an der Spitze einer sehr steilen Hierarchie steht und eine enorme Menge an Macht und Einfluss hat. Die christliche Antwort darauf war, niemals den spezifischen Souverän mit dem Prinzip der Souveränität selbst zu verwechseln. Es ist genial, wenn man sieht, wie schwierig es ist, auf eine solche Idee zu kommen, so dass sogar die Person, die die Macht hat, etwas anderem untergeordnet ist. Untergeordnet einem, nennen wir es: göttlichen Prinzip – in Ermangelung eines besseren Wortes.

Sogar der König selbst ist dem Prinzip untergeordnet ist, und wir glauben immer noch daran, weil wir glauben, dass unser Präsident, unser Premierminister dem Gesetz – egal welchem Rechtskörper – untergeordnet ist. Es gibt ein Prinzip, dem sogar der Staatschef untergeordnet ist, und ohne dieses Prinzip, so könnte man argumentieren, kann man keine zivilisierte Gesellschaft haben, weil die Führungspersönlichkeiten dann sofort zu etwas Transzendentem und Allmächtigem werden. Ich bin der Meinung, dass das in der Sowjetunion, in Maos China und in Nazi-Deutschland passiert ist, weil es für die Mächtigen nichts gab, dem sie sich unterordnen konnten. Sie sollten sich Gott unterordnen. Und was bedeutet das? (..)

Und dann ist die Frage: Was ist das Prinzip der Souveränität? Ich könnte behaupten, dass wir das schon sehr lange herausgefunden haben. Es ist eines der Dinge, über die wir sprechen werden, weil die alten Mesopotamier und die alten Ägypter einige sehr interessante, drastische Vorstellungen davon hatten. Es gab zum Beispiel eine Gottheit, die als Marduk bekannt war. Stellen Sie sich vor, dass, als ein Reich aus der Nacheiszeit wuchs, vor etwa 15.000 Jahren, vor 10.000 Jahren, all diese Stämme zusammenkamen, und jeder dieser Stämme hatte seine eigene Gottheit – sein eigenes Idealbild. Aber dann begannen sie, dasselbe Gebiet zu besetzen. Und so hatte ein Stamm Gott A und ein Stamm Gott B und sie konnten sich gegenseitig auslöschen. Würde nur Gott A gewinnen, wäre das nicht gut, weil man vielleicht mit diesen Leuten Handel treiben will oder nicht die Hälfte seiner Bevölkerung in einem solchen Krieg verlieren möchte. Man muss sich also darüber streiten, wessen Gott und welches Ideal Vorrang hat.

Das Chaos am Anfang der Zeit

Das wird in der Mythologie als Kampf der Götter in einer Art „himmlischem Raum“ dargestellt, aber aus praktischer Sicht ist es eher ein kontinuierlicher Dialog. Du glaubst dies, ich glaube jenes. Wie können wir das zusammenbringen? Man nimmt Gott A und Gott B und extrahiert Gott C aus ihnen. Und Sie sagen Gott C hat jetzt die Eigenschaften von A und B. Und dann kommen ein paar andere Stämme dazu und C übernimmt auch diese. So kommt es beispielsweise, dass Marduk eine Vielzahl von Namen hat – 50 verschiedene Namen. Diese sind zumindest teilweise die Namen der untergeordneten Götter, die die Stämme repräsentierten, die sich zu einer Zivilisation zusammenschlossen. Das ist ein Teil des Prozesses, durch den das abstrakte Ideal abstrahiert wird. Sie halten das für wichtig und es funktioniert, weil Ihr Stamm am Leben ist. Wir nehmen das Beste von beidem – wenn wir es fertigbringen – und extrahieren etwas, das noch abstrakter ist und uns beide abdeckt. Eines der Merkmale – nur um ein paar zu nennen, die wirklich interessant an Marduk sind – ist, dass er rund um seinen Kopf Augen hat. Er wurde von allen anderen Göttern zum König und Gott gewählt. Das ist die erste Sache, die ziemlich beeindruckend ist.

Sie wählen ihn, weil sie einer schrecklichen Bedrohung ausgesetzt sind, einer Kombination aus Flut und einem Monster. Marduk sagt, wenn sie ihn zum obersten Gott wählen, wird er losziehen und das Flutmonster aufhalten, und sie werden nicht alle ausgelöscht werden. Es ist eine ernsthafte Bedrohung, das Chaos selbst ist zurückgekehrt und so stimmen alle Götter zu. Marduk ist eine neue Erscheinung, er hat Augen rund um seinen Kopf und spricht magische Worte. Er geht raus und kämpft gegen diese Gottheit namens Tiamat. Sie müssen wissen, dass das Wort Tiamat mit dem Wort „Thom“ verbunden ist. „Thom“ ist das Chaos, aus dem Gott am Anfang der Zeit in der Genesis die Ordnung macht. Es ist sehr eng mit dieser Geschichte verbunden. (..)

Es ist eine klassische St.-Georgs-Geschichte, in der es darum geht, den Drachen zu vernichten. Er zerschneidet ihn in Stücke und erschafft die Welt daraus. Das ist die Welt, in der wir Menschen leben. Und der mesopotamische Kaiser spielte Marduk. Er durfte nur dann Kaiser sein, wenn er ein „guter Marduk“ war. Und das bedeutete, dass er Augen am ganzen Kopf hatte und zaubern konnte. Er konnte gut auftreten, so dass wir an diesem Punkt beginnen, das Wesen der Führung richtig zu verstehen. Denn was ist Führung? Es ist die Fähigkeit, zu sehen, was vor Ihrer Nase ist, vielleicht in alle Richtungen, die Begabung, Sprache richtig zu benutzen und Chaos in Ordnung zu verwandeln. Nur Gott weiß, wie lange die Mesopotamier gebraucht haben, um das herauszufinden. Und das Beste, was sie tun können, ist, es zu dramatisieren – das ist umwerfend genial. Sie wissen, dass es keineswegs offensichtlich ist und dieses Chaos eine sehr seltsame Sache ist. Es ist das Chaos, mit dem Gott am Anfang der Zeit gerungen hat. Das Chaos ist, was es ist, halb psychologisch und halb real.

Es gibt keine andere Möglichkeit, es realistisch zu beschreiben. Das Chaos ist das, was Ihnen begegnet, wenn Sie in tiefe Verwirrung gestürzt werden, wenn Ihre Welt zusammenbricht, wenn Sie auf etwas treffen, das Sie in Stücke reißt, wenn Ihre Träume sterben, wenn Sie verraten werden. Es ist das Chaos, das auftaucht und „alles auf einmal“ ist. Es ist zu viel für Sie, das ist sicher. Es zieht Sie hinunter in die Unterwelt, wo die „Drachen“ sind. Alles, was Sie in diesem Moment tun können, ist, Ihre Augen offen zu halten. Sprechen Sie mit Bedacht und so deutlich, wie Sie können. Wenn Sie Glück haben, überstehen Sie auf diese Weise die schwierige Situation. Die Menschen haben sehr lange gebraucht, um das herauszufinden – es sieht für mich so aus, als ob die Idee das Erbe unserer Vorfahren vor vielleicht zehn Millionen Jahren ist. Wir setzen das, was uns zutiefst beunruhigt, mit Schlangen oder anderen fleischfressenden Raubtieren gleich.

Dies ist ein Auszug aus einem Video von Jordan B. Peterson.

Foto: Gage Skidmore CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Helmut Driesel / 15.05.2024

  Was letztlich nur beweist, dass Gott ein Konstrukt des Kopfes ist, nicht umgekehrt. Darum ist der auch immer nur so schlau, wie die Köpfe, die ihn kreiert haben. Darum weiß er auch noch nichts von dem Spiralarm der Milchstraße, in den wir zu Hause sind und uns im Gefolge unserer Sonne auf die nächste Eiszeit zu bewegen. Um dem Gott in unserem Kopf näher zu kommen, müssen wir uns fragen, was zeichnet ihn aus, was wir nicht selber wüssten oder könnten? Könnte es Religion ohne Gott geben? Wenn der die Welt genau wie wir nur ertragen muss, wenn er ein Bild von uns ist und so wenig allmächtig sein kann, wie wir es sind, welcherart könnte der Dienst sein, den er uns leisten könnte? Sehen Sie, beim Teufel ist das einfacher, der findet seine Nützlichkeit darin, dass man ihm alles Schlechte und Böse in den Eigenschaften der Menschen zuschieben und somit aus unserem Bild vom Menschen outsourcen kann. Das macht Sinn.

Ilona Grimm / 15.05.2024

Petersons Résumé lautet: →Das Chaos ist das, was Ihnen begegnet, wenn Sie in tiefe Verwirrung gestürzt werden, wenn Ihre Welt zusammenbricht [...] Wir setzen das, was uns zutiefst beunruhigt, mit Schlangen oder anderen fleischfressenden Raubtieren gleich.← Chaos ist das, was herrscht, wenn Gott abgewählt wurde. Dann herrscht nämlich der diabolos“ (διάβολος,) = Chaosbringer, Durcheinanderwirbler, Verwirrer, Verleumder, auch Teufel oder Satan genannt. Weitere Namen und „Titel“ für den Teufel sind: Beelzebub (hebr. Baal Zebub oder Beelzeboul); Engel des Abgrunds; Zerstörer; Verderber (Abaddon/Apollyon); Fürst dieser Welt; Fürst der Macht der Luft; Gott dieses Zeitalters/dieser Welt; falsche Schlange; der Böse; Gesalbter Cherub; Fürst der Dämonen/Oberster der Dämonen; König von Tyrus; König von Babylon; Vater der Lüge; Versucher; Engel des Lichts; Nachahmer Gottes; der Ankläger; der Mörder; der Dieb; der Feind ... und natürlich SCHLANGE, DRACHE. Persönliches Leben ohne Gott = CHAOS; Staat/Nation ohne Gott = CHAOS.

Ilona Grimm / 15.05.2024

Jordan Peterson eiert um die entscheidende Entdeckung herum. Der dreieinige Gott stand über dem Götzen Marduk, lange bevor der von Menschen erfunden und ausgestaltet war. ER steht über allen Götzen aller Zeiten. Das „Prinzip der Souveränität“ ist verkörpert in Jesus Christus. Alles ist ihm untertan; alle – Könige, Kaiser, Potentaten und Möchtegern-Allmächtige – sind ihm untertan. Ja, das ist schwer zu akzeptieren, deshalb verdrängt man ihn (siehe Lk. 16,19-31) oder man verweist man ihn ins Reich der Märchen und Mythen. - - Die Nachkommen von Noahs Söhnen Sem, Ham und Jafet hatten nach der Sintflut von Gott den Auftrag erhalten, die ganze Erde zu besiedeln. Anfangs hatten sie das anscheinend auch vor, doch dann: →1. Mose 11, 2-9:  2 Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar [Landschaft in Babylonien] und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. (vgl. 1. Mose 9,7!)← Also griff der souveräne Gott ein und zerschlug beim Turmbau zu Babel ♦Marduk gewidmet!!♦ die Allmachtsphantasien der immer noch widerspenstigen Menschheit, in dem er ihre bis dahin einheitliche Sprache in unterschiedliche Sprachen aufsplitterte, so dass sie sich nicht mehr verständigen konnten und ihre Baupläne aufgeben mussten. Nach und nach verteilten sich die Menschen über die ganze Welt. - - - Später hat es Versuche gegeben, den Turm, der bis zum Himmel reichen sollte, doch noch zu bauen, zuletzt (nachgewiesen) unter Nebukadnezar II (Herrscher über Babylon von 605 bis 562 v. Chr.). An der Baustelle Nebukadnezars befindet sich heute, abhängig vom Wasserstand des Euphrat, mitunter ein bodenloser Morast, was auch symbolisch verstanden werden kann.

finn waidjuk / 15.05.2024

O.K., Herr Peterson, Sie haben mich überzeugt. Wo kann ich Marduk anbeten? Nein, im Ernst, schöner als mit der Erfindung Marduks kann man die Erschaffung (eines) Gottes nicht erklären. Man nehme einen großen Kessel, fülle ihn zur Hälfte mit Todesangst, gebe je ein Viertel Schwachsinn und Unfug hinzu und würze das Ganze mit allem, was dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Dann dreimal gegen den Uhrzeigersinn (ganz wichtig, sonst klappt es nicht) umrühren, 12 Stunden kochen und über Nacht abkühlen lassen. Am nächsten Morgen schwimmt in dem Sud ein kleiner Homunkulus, den Sie ihren Anhängern als den “einzig wahren Gott” präsentieren. Um ihre Anhänger müssen Sie sich übrigens keine Sorgen machen, sie werden in Scharen herbeiströmen. Hat noch immer funktioniert, glauben Sie mir.

Thomas Szabó / 15.05.2024

Ich gestatte mir die Gedanken von Herrn Peterson etwas zu ergänzen. Die Person des irdischen Souveräns ist dem abstrakten Prinzip der Souveränität untergeordnet. Somit kann der irdische Souverän keine absolute, totale, totalitäre Macht erlangen. Dafür entsteht eine viel größere Bedrohung, wenn nämlich das abstrakte Prinzip der Souveränität als ein Gott oder als ein Prophet personifiziert wird. Damit erlangt diese Personifikation des Prinzips die absolute, totale, totalitäre Macht, die der lebenden Person des Souveräns zu Recht vorenthalten wird. Der irdische König oder Priester hat zwar keine absolute Macht mehr, dafür aber der fiktive himmlischer Herrscher. Der irdische Souverän ist sterblich. Selbst wenn er die absolute Macht hat, erlischt sie mit seinem Tod. Der himmlische Souverän, der Gott, der Prophet, ist wiederum “unsterblich” und kann Jahrtausende die absolute Macht verkörpern. Himmlische Diktatoren sind gefährlicher als irdische Diktatoren. Irdische Diktatoren sterben alle, der Prophet Mohamed terrorisiert die Welt noch nach 1 392 Jahren aus seinem Grab. Weil Allah & Mohamed die Personifikationen des abstrakten Prinzips sind. Daraus leite ich ab, dass abstrakte Prinzipien niemals personifiziert werden dürfen! Das ist die Ursünde des Monotheismus. Die Person des irdischen Souveräns wurde zwar dem abstrakten Prinzip untergeordnet, aber das abstrakte Prinzip wurde wieder personifiziert. Somit wurde der sterbliche irdische Souverän durch einen unsterblichen himmlischen Souverän ersetzt. ♦ Da war die polytheistische griechische Götterwelt besser, denn selbst der Göttervater Zeus war dem abstrakten Prinzip untergeordnet! Während im abrahamitischen Monotheismus das abstrakte Prinzip und die Person Gottes gleichgesetzt wurden. Daraus resultiert der Totalitarismus des abrahamitischen Monotheismus. Unsterblicher himmlischer Führer statt sterblicher irdischer Führer.

Lutz Liebezeit / 15.05.2024

Ich habe das gleich gesagt, werft ihr Lucke raus und geht nach Rechts, machen die die AfD zu Kleinholz. So ein zwielichtiger neoliberaler Welt-Autor hat da auch mit gemacht. Lachmann. Den hat Springer gewähren lassen, bis die AfD im Eimer war, und dann hat Springer den Hurensohn fallen lassen. So geht das. Die Scham ist endgültiog vorbei, der rassistische “Agf” auf die AfD findet mit Ankündigung statt und genau vor der illegalen EU-Wahl. / Vier feindliche Zeitungen sind mehr zu fürchten als 1000 feindliche Bajonette. Napoleon / Die EU ist die Nachgeburt des Römischen Reichs, ein Wiedergänger, und wie das Römische Reich bringt die Mißgeburt nur Wahnsinnige hervor. Wahnssinnige wie die Gans von der Leyen oder Scholz halten sich für messianisch. Das eigentliche Übel ist, daß wir seit 3000 Jahren nichts dazu gelernt haben. Shakesspeare sagte, daß der arme Cäsar nur Tyrann sein konnte, weil das Volk so dämlich war. Es hat ihn quasi gezwungen. / Die meisten wissen nicht mal, wie man Souveränität buchstabiert, das habe ich in den letzten Jahrzehnten ziemlich klar erfahren. Ein Staat kann nicht souverän sein, wenn er Idioten als Bürger hat.

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