Silvia Meixner / 11.02.2013 / 23:07 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (32): Tiroler Tagebuch - Froher Gast, niemals Last!

Zwei Hunde auf der Skipiste! Anderswo würde man sie jetzt vermutlich gnadenlos über den Haufen fahren oder die Besitzer lynchen. Auf dem Grünberg in Tirol ist Platz für alle und die Lebenslust der beiden Hunde ist mitreißend. Und alle sind so schön entspannt. Und ehrlich sind sie auch noch. „Auf dem Tourismussektor haben wir die die letzten 20 Jahre verschlafen“, sagt Rene Föger, „aber aus heutiger Sicht ist das das Beste, was uns passieren konnte.“ Weil die Fehler der Konkurrenz – Skischaukelparadiese oder Après-Ski-Alkoholhöllen- vermieden wurden. Ist ja auch was wert. Auf dem Mieminger Plateau kann man zum Beispiel so herrlich unaufgeregte Dinge wie „Weiher-Hopping“ machen, dabei kleine Kapellen bewundern, in schöner Schneelandschaft herumspazieren, langlaufen, schneeschuhwandern, die herrlichen Haflinger auf dem Hof von Peter Thaler (http://members.aon.at/thalerhof/) besuchen – die Pferde werden in alle Welt verkauft, einmal im Jahr ist Auktion.

Im Sommer kann man auf dem Mieminger Plateau so richtig schön wandern. Wie im Bilderbuch. „Bis zum Zweiten Weltkrieg war Tirol ein bettelarmes Land“, sagt Rene Föger, der das Hotel „Stern“(http://www.hotelstern.at) führt, das seit über 100 Jahren in Familienbesitz ist. In den 50er-Jahren kamen dann die Wanderer und Naturliebhaber und so ist es eigentlich auch immer geblieben. Der „Goldene Herbst“ hier ist vielgerühmt und wenn man die Fotos sieht mit den Lärchen, die gülden in der Sonne strahlen, plant man, wiederzukommen. Die Natur schenkt den Menschen auch noch Lärchenschnaps, was will man mehr.

Auf der Außenfront des Hotels Stern steht das schöne, altmodische Wort „Fremdenzimmer“ geschrieben. Andere hätten es übermalt, Rene Föger hat es stehen lassen. Früher hat man so eben um die Gunst der Reisenden geworben. Aus Fremden sind längst Touristen geworden, aber es stimmt ja: Auch der Reisende ist ein Fremder, der weiterzieht. Rene Föger macht Schritt für Schritt mit sanfter Hand ein modernes Hotel daraus. Ein kleiner Sauna- Bereich ist schon fertiggestellt, die ersten Zimmer sind modernisiert, das kleine Kinderparadies ist perfekt und als nächstes ist der Umbau der Lobby dran. Wer sich für seinen CO2-Abdruck auf Reisen interessiert, kann schon vor Abreise im Internet ausrechnen, wie viele Spuren er hinterlassen wird. Wenn die Gäste ein bisschen über Natur und Umwelt nachdenken, freut sich Rene Föger, aber es soll freiwillig geschehen, ohne Zeigefinger. So bietet das Haus zum Beispiel jeden Abend ein Spezialmenü an, das aus Zutaten besteht, die zum größten Teil aus der Umgebung stammen.

Früher bedeutete umweltbewusstes Reisen, dass man sich morgens im Hotel-Badezimmer spontan dazu entschloss, die Handtücher noch ein zweites Mal zu benutzen. Damit war die Sache erledigt und man konnte stolz und öko-beruhigt frühstücken gehen (wo man meistens mehr Plastikmüll hinterließ als zu Hause in der ganzen Woche). An den Gast des 21. Jahrhunderts werden völlig neue Ansprüche gestellt. Das Zauberwort heißt Nachhaltigkeit. Und wie immer gibt es dutzende verschiedene Siegel, was aber relativ egal ist, weil kaum eines bekannt ist. Oder haben Sie schon einmal etwas von der „Blauen Schwalbe“, „Ibex“, „The green key“ oder „Viabono“ gehört? Die beste Idee ist leider nutzlos, wenn die Menschen sie nicht kennen. Es ist wie mit den Ökosiegeln: Ein guter Ansatz kann mühelos dadurch kaputt gemacht werden, dass jeder Anbieter denkt, dass sein Logo das schönste, beste und reinste ist. Der Kunde, der das alles bezahlen soll, bleibt auf der Strecke. Selbst schuld, soll er eben einen dreiwöchigen Kurs absolvieren, um seine Bildungslücken zu füllen!

Dann lieber kleine, nachvollziehbare Schritte wie im Hotel Stern. Das Obst aus der Gegend wird hier zum Dessert, wenn die Schnapsbrenner nach der Ernte nicht schneller waren. Exotische Desserts wie Mangoeis oder Ananaskuchen sind gestrichen. Man vermisst sie aber auch nicht. Die Großmutter, 91 Jahre alt, steht jeden Tag in der Küche und bäckt. Das hält sie fit und ihr wunderbarer Apfelstrudel gehört zu den vielgepriesenen Spezialitäten der Gegend.

„Froher Gast, niemals Last!“ wurde vor über einem halben Jahrhundert in der Stube auf die Wand gemalt. Und froh sind sie hier, die Gäste. Renes Vater Hermann ist Bürgermeister und wenn er Zeit hat, steht er gern an der Hotelbar hinterm Tresen. Wer einen Ausflug machen möchte, könnte nach Innsbruck fahren, das ist nur 40 Kilometer entfernt und der Fernsehsender CNN setzte die Landeshauptstadt Tirols gerade auf Platz fünf der „heißen Urlaubsziele 2013“ (nach Korsika, Liverpool, Reykjavik und Istanbul).

Eine Engländerin erzählte mir, dass sie und ihr Mann gern durch Österreich reisen, aber niemals zweimal an einen Ort. Der Mensch will schließlich die Welt sehen. Nur in Obsteig haben sie schon zum zweiten Mal gebucht, weil das Hotel Stern so schön ist. „Nur Tee kochen können die Österreicher nicht“, sagt sie lächelnd. Richtig vorwurfsvoll klingt sie nicht.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Silvia Meixner / 15.12.2015 / 12:00 / 2

Warnung vor dem Keks! (Silvis Culture Club 81).

Früher hat die Großmutter im Advent die Kekse gebacken, die Kinder bekamen vom rohen Teig ein bisschen Bauchweh und alles war gut. Heutzutage lässt man…/ mehr

Silvia Meixner / 08.09.2015 / 12:00 / 1

Silvis Culture Club (80): Exquisite Dummheit über den Wolken

Air Berlin schickt mir eine sensationelle Offerte: „Machen Sie uns ein Angebot für einen freien Nebensitz“. Die Idee ist so penetrant wie sinnfrei und ich…/ mehr

Silvia Meixner / 06.09.2015 / 09:26 / 2

Silvis Culture Club (79): Wiener Flüchtlingshilfe mit Tücken

Weekendbesuch in der Heimat. In Wien gibt es derzeit nur ein Thema: Die Flüchtlinge. Die häufigste Frage dieser Tage im Bekanntenkreis: „Wie helfen wir?“ Es…/ mehr

Silvia Meixner / 22.05.2015 / 07:00 / 3

Heute ich – morgen du? Die Stalker sind unter uns.

Am Tag der Walpurgisnacht 2012 änderte sich mein Leben radikal. Viele Menschen tanzten in der letzten Aprilnacht fröhlich in den Mai – für mich begann…/ mehr

Silvia Meixner / 12.02.2015 / 13:01 / 1

Vorsicht vor den Finnen! Mit oder ohne Alkohol.

Silvis Culture Club (78) Vor finnischen Männern wird gewarnt. Immer wieder, online und offline. Sie sollen viel trinken, zu viel, viel zu viel. Und dann…/ mehr

Silvia Meixner / 02.01.2015 / 21:31 / 0

Silvis Culture Club (77): Friss, Kunde – oder geh’ zu Fuß!

Ich sitze im Zug und schreibe und bin sehr, sehr unzufrieden. Ich wollte einen Sitzplatz im Ruhebereich, kein Gegenüber, Gang. Eigentlich ein harmloser Wunsch, sollte…/ mehr

Silvia Meixner / 23.12.2014 / 08:12 / 0

Im Rausch der Buchstaben – Seien Sie vorsichtig mit Schnaps!

In der Reihe Silvis Culture Club (76). „Seien Sie vorsichtig mit Schnaps“, lautet ein Ratschlag aus einem kleinen roten Büchlein aus dem Jahr 1944. Es…/ mehr

Silvia Meixner / 15.12.2014 / 13:20 / 0

Silvis Culture Club (75): Flying plastic fantastic

Über den Wolken wird alles gut. Soarigami ist der neue Armlehnentrenner, der den Dauerstreit um die schmale Armlehne im Flugzeug beenden soll. Er verbreitert die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com