Benny Peiser / 26.06.2012 / 18:44 / 0 / Seite ausdrucken

Grüne Rebellen tanzen den Techno-Beat

Sie haben nichts gegen Atomkraft, Genpflanzen oder gar gegen Fracking. Eine Gruppe britischer Umweltschützer setzt neue Diskussionsakzente

„Atomkraft – Ja, bitte!“ Kann das denn wahr sein? Werden die Grünen jetzt die Atomkraft gutheißen? Schwer vorstellbar, aber innerhalb der grünen Bewegung findet gerade eine Revolution statt. Nach Jahrzehnten erbitterter, ja hysterischer Gegnerschaft zu neuen Technologien wie gentechnisch veränderten Lebensmitteln und der Atomkraft lehnt eine neue Generation technokratischer Grüner die reine Lehre der Bewegung ab.

Es mehren sich die Hinweise, dass die einflussreichste Umweltorganisation vor einer historischen Kehrtwende in Bezug auf die Atomkraft steht. Es sieht so aus, als ob den Umweltschützern ein „Clause IV Moment“ bevorsteht, ähnlich dem, der die Labour-Party zur Aufgabe ihrer Forderung zur Verstaatlichung der Industrie bewog.

Im März schrieb George Monbiot, der Erzgrüne und alte Kämpfer der Anti-Atomkraftbewegung, einen Artikel im „Guardian“, in dem er nach einer Renaissance der Atomkraft als einzigem Ausweg im Kampf gegen den Klimawechsel rief – sehr zum Entsetzen seiner grünen Mitstreiter und der meisten Leser dieses Blattes.

Schon zuvor hatten der Vorsitzende der Environment Agency Lord Smith of Finsbury, der Autor und Propagandist Mark Lynas, der Aktivist der Grünen Chris Goodall und der frühere Direktor von Greenpeace UK Stephen Tindale angekündigt, dass auch sie sich für die Atomkraft einsetzen werden.

Die Trendwende betrifft auch genveränderte Nahrungsmittel. Letzten Monat rief eine Organisation aus dem traditionellen Spektrum der Grünen namens „Take the Flour Back“ zu einer Demonstration vor dem Rothamsted Pflanzen-Forschungsinstitut in Hertfordshire auf. Ziemlich erfolglos.

Es lassen sich zwei Antriebsmomente erkennen: zum einen führt die alles überschattende Bedrohung des Klimawandels bei den eher technologisch orientierten Grünen dazu, dass sie die Atomkraft als das geringere zweier Übel einschätzen; kein perfektes Mittel, aber doch eine CO2-arme Alternative zu fossilen Brennstoffen, die eine schnellere und billigere Lösung der Klimawechselproblematik verspricht als der Wind oder die Wellen.

Zum anderen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die beiden gehassten Technologien – Atomkraft und Gentechnik – sich als weit weniger gefährlich herausstellten als ursprünglich angenommen. Niemand wurde je durch gentechnisch veränderte Nahrung geschädigt. Im Fall der Atomkraft, hatte die atomare Katastrophe im letzte Jahr einen unerwarteten Effekt: viele ließen sich davon überzeugen, dass wir die Atomkraft lieben lernen müssen.

Monbiot drückt das so aus: „Das Ereignis, das mich zu einem Befürworter der Atomkraft machte, war paradoxerweise die Katastrophe in Fukushima. Ein vergammeltes altes Werk mit vorsintflutlichen Sicherheitsmerkmalen wurde von einem der größten Erdbeben sowie einem der größten jemals aufgezeichneten Tsunamis betroffen und nichtsdestotrotz wurde bisher niemand einer tödlichen Strahlendosis ausgesetzt.“

Auch setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es die Grünen durch ihre Fixierung auf Atomkraft und genveränderte Lebensmittel zuließen, dass weit wichtigere Bedrohungen aus dem Blickfeld gerieten. „Wenn alle Anstrengungen, die der Gegnerschaft gegen die Atomkraft gewidmet wurden, auf den Kampf gegen den Verlust von Biotopen und den Rückgang der Artenvielfalt gerichtet worden wären“, sagt er, „hätten wir etwas erreichen können.“

Lynas, der früher zu den grünen Hardlinern gehörte, erläutert, dass er seine frühere Haltung nicht mehr verstehen kann. „Ich habe die orthodoxen Meinungen sowohl zur Gentechnik als auch zur Atomkraft während meiner Zeit als Aktivist nie in Frage gestellt“ meint er. „Vom Mainstream abzuweichen, wäre undenkbar gewesen. Das änderte sich bei mir erst, als ich das Umfeld der Aktivisten verließ und wissenschaftliche Bücher zu schreiben begann . . . Ich begann, nach Beweisen zur Untermauerung der Behauptungen zu fragen und ging auch den Literaturhinweisen nach.“

Tracey Brown, Geschäftsführer des Think Tanks “Sense about Science”, drückt es so aus: „An Lösungen für Probleme zu arbeiten führt unweigerlich dazu, die Welt – und zwar die reale Welt – so zu betrachten, wie sie wirklich ist und nicht so, wie man sie sich wünscht.“

Färbt dieses Techno-Grün jetzt auch auf die „Friends of the Earth“ ab, die größte Grünen-Organisation? Vor zehn Tagen ließ sich Mike Childs, die wissenschaftliche und politische Leitfigur dieser Organisation mit einer Äußerung vernehmen, die nahe legte, dass die Organisation nicht länger am Verbot von Atomkraftwerken in Großbritannien festhält. In einem in Lynas’ Blog veröffentlichten Interview kündigte er an, das die „Friends of the Earth“ ein Gutachten beim Tyndall Centre für Klimaforschung in Manchester in Auftrag gegeben haben, das als Grundlage für Entscheidungen zu ihrer Atompolitik dienen soll.

„Sie werden jetzt einen Prozess durchlaufen, bei dem die Argumente für und wider die Atomkraft, zu neuen Atomkraftwerken sowie der Erweiterung bestehender Kraftwerke und Ideen zum schnellen Brüter [einem Reaktortyp] auf den Tisch gelegt werden“, sagte er.

Obwohl sie zugeben, dass Childs korrekt zitiert wurde, streiten die „Friends of the Earth“ seither jedoch ab, dass es um einen Pro-Atom-Kurs geht und weisen darauf hin, dass nichts entschieden sei, dass die Organisation strikt „faktenorientiert“ sei und mit einer Neuausrichtung ihrer Politik warten will, bis der Tyndall-Report vorliegt.

Aber allein die Möglichkeit, dass die „Friends of the Earth“ im Vereinigten Königreich ihre Einstellung zur Nuklearenergie in Frage stellen, ist für viele ihrer Anhänger eine Horrorvorstellung.

In Großbritannien mag sich ja die grüne Tektonik verschieben, aber im Ausland ist alles starr wie eh und je. In Amerika ist die grüne Bewegung eine eher lokal aufgestellte Angelegenheit, die sich auf spezielle Lebensräume und Arten konzentriert. Obwohl Al Gore, der Propagandist des Klimawandels und frühere Vizepräsident seine „Skepsis“ der Nuklearenergie gegenüber zum Ausdruck brachte, bezieht sich diese mehr auf die Verbreitung von Kernwaffen als auf mögliche Umweltgefahren.

In Deutschland lässt sich die Macht der betonharten grünen Lobby daran ablesen, dass Kanzlerin Merkel – eine ausgebildete Physikerin – letztes Jahr das zivile Nuklearprogramm ihres Landes als Reaktion auf Fukushima einstellte. Dies, so wurde errechnet, wird zu einem Anstieg des CO2-Ausstoßes um mehr als 70 Millionen Tonnen pro Jahr führen.

Die grüne Bewegung in Frankreich sagt zum Thema Atomkraft fast gar nichts, kämpft aber erbittert gegen genveränderte Lebensmittel. Es scheint durchaus möglich, dass zur Befriedigung umweltlicher Sensibilitäten ein Deal gefunden wurde, der das französische Nuklearprogramm nicht in Frage stellt, aber gleichzeitig die „natürlichen“ französischen Lebensmittel und Anbaumethoden hochheilig hält. Viele der Protestler in Rothamsted letzten Monat kamen aus Frankreich.

In gewisser Weise ist das, was jetzt geschieht nicht neu. Obwohl die grüne Bewegung seit den Dreißigerjahren von Leuten dominiert wird, welche die moderne Welt und ihre Bequemlichkeiten ablehnten, gab es doch stets Dissidenten.

So hat der Mann, den viele als Oberpriester des modernen Umweltschutzes sehen, der neunzigjährige britische Wissenschaftler James Lovelock (der den Begriff „Gaia“ zur Beschreibung der Erde und ihrer Biosphäre prägte) die Atomkraft als die einzige Lösung gegen den Klimawandel gepriesen.

Vorige Woche befürwortete Lovelock das Fracking, ein umstrittener Prozess zur Förderung von Erdgas und ließ verlauten, dass Großbritannien zu schnell in die Entwicklung neuer Energiequellen eingestiegen sei, und zwar mit Konzepten, die „hoffnungslos ineffizient und unangenehm“ seien. Ironischerweise haben unsere Politiker trotz der Ansichten britischer Grüner wie Monbiot die CO2-Reduzierungsziele in Gesetze gegossen, so dass sich derartige Konzepte notwendigerweise verbreiten werden.

Die neue Generation der heterodoxen Grünen haben viel Arbeit vor sich, hängt doch ihr Heimatland nach wie vor den alten, romantischen orthodoxen Ideen nach. Häretiker hatten es noch nie leicht. Monbiot und Lynas bestätigen auch, dass sie „gute Freunde“ verloren haben, nachdem sie ihren Gesinnungswandel öffentlich machten.

Lynas drück das so aus: „Für einige Leute ist die grüne Ideologie eine so tiefe Identitätsfrage, dass sie diese nicht hinter sich zurücklassen können und sehr feindselig reagieren, was für mich und andere sehr schwierig war. Dieses anzusprechen war über Jahre hinweg eine große emotionale Belastung und manchmal auch sehr schmerzvoll.

Michael Hanlon, The Sunday Times, 24. Juni 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Herbert Blaha

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Benny Peiser / 04.03.2016 / 21:11 / 6

Nach dem heißen El Niño-Jahr 2015: Was macht die Welttemperatur?

Seit 1997 ist die Welttemperatur über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren nicht mehr merklich angestiegen. Der Unterschied zwischen den einzelnen Jahren ist statistisch nicht…/ mehr

Benny Peiser / 27.01.2016 / 17:37 / 0

Neue Blamage für die Untergangspropheten aus Potsdam

Erinnern Sie sich noch an diese Katastrophen-Prognose der Potsdamer Computerspieler? Wenn das Klima kippt: Würde der Monsun ausbleiben oder heftiger werden, wäre einem großen Teil…/ mehr

Benny Peiser / 10.01.2016 / 13:01 / 3

New York Times: Germany on the Brink

[...] If you believe that an aging, secularized, heretofore-mostly-homogeneous society is likely to peacefully absorb a migration of that size and scale of cultural difference,…/ mehr

Benny Peiser / 09.01.2016 / 09:33 / 0

Zur Erinnerung: Die Balkanisierung Europas

Told you so in 2009: Ich kann Alan Poseners Ängste gut verstehen. Fanatismus ist ansteckend. Und in Europa verbreitet sich diese Geisteskrankheit einmal wieder in…/ mehr

Benny Peiser / 07.01.2016 / 14:10 / 1

The sexual motivation of religious extremists

Make no mistake: it is indeed desire that lies at the heart of this storm. It’s astonishing the degree to which both ISIS and Boko…/ mehr

Benny Peiser / 15.10.2015 / 12:52 / 0

Patrick Moore: Should we celebrate CO2?

2015 Annual GWPF Lecture - Institute of Mechanical Engineers, London 14 October My Lords and Ladies, Ladies and Gentlemen. Thank you for the opportunity to…/ mehr

Benny Peiser / 12.10.2015 / 20:34 / 2

CO2: Die gute Nachricht

London 12 October: In an important new report published today by the Global Warming Policy Foundation, former IPCC delegate Dr Indur Goklany calls for a…/ mehr

Benny Peiser / 14.08.2015 / 13:24 / 0

Vom Winde verweht

Gone with the wind?  The impact of wind turbines on tourism demand in Germany While wind energy production is relatively free from environmental externalities such…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com