Trolle und Trollfrauen sind oft schadenbringende Geisterwesen in Riesen- oder Zwergen-Gestalt. Angeblich kommen sie besonders häufig in Island vor. Unsere Zeitschrift Neugier.de, die wir in Island produziert haben, erscheint in diesen Tagen mit einer Ausgabe „Made in Iceland“ . Darin findet sich eine erlesenen Kollektion deutscher Trolle. Wir baten Freunde und Autoren der Achse des Guten um kurze Portraits ihrer heimischen Lieblingstrolle. Heute beschreibt Katharina Lotter ihre Favoritin:
Michelle
Der Troll, ein Fabelwesen, das gerne in Riesen- oder in Zwergenform daherkommt - wie eigentlich heißt sein weibliches Pendant? Die Online-Enzyklopädie Wikipedia schlägt den Begriff “Trollfrau” vor, aber das klingt ein bißchen sperrig. Nennen wir es doch einfach Trulla. Damit meinten die Römer anno dazumal zwar ein kleines Trinkgefäß, aber Begriffe und ihre Bedeutungen verändern sich eben manchmal und heutzutage ist eine Trulla zwar immer noch hohl, aber auch dezidiert weiblich. Passt also. Im Zusammenhang mit Trullas gibt es nur eine, die mich wirklich Nerven kostet: Tanja Shitawey (der Name ist kein Scherz), besser bekannt als “Michelle”.
Worum es bei Michelle eigentlich geht, fasst niemand besser zusammen, als die Kollegen von der Bild-Zeitung: Die wichtigsten Hintergrundinformationen stehen dort meist in Klammern und wenn von Frau Shitawey die Rede ist, sind oft folgende Satzbausteine enthalten: “zierliche Kölnerin (1,53 Meter)” sowie “Schicksalsschläge (Schlaganfall, Schulden, Selbstmordversuch, Frühgeburt)”. Liebesurlaube, Trennungen, Früh- und Fehlgeburten, Privatinsolvenz, Zusammenbrüche, Schlaganfall, Suizidgedanken, Eröffnung eines Hundefrisiersalons und einige so genannte Comebacks - diese kleine, zerbrechliche Frau ist noch keine 40 und hat trotzdem schon so viel erlebt! Und obwohl Michelle ihr Privatleben natürlich am liebsten geheimhalten würde, erfahren wir wirklich alles brühwarm. Die arme Michelle.
Gewiss: Es gibt Schicksalsschläge, für die niemand etwas kann und die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Heutzutage aber ist alles ein Schicksalsschlag, nicht nur für Michelle. Was den Menschen in diesem Land passiert, hat in ihrer kleinen Welt eigentlich nie etwas mit ihrem eigenen Verhalten oder ihren eigenen Entscheidungen zu tun. Alles kommt einfach so über sie. Und sie haben keine Ahnung, woher und warum.
Am Beispiel von Frau Shitawey sehen wir, dass man sich nicht nur nicht verstecken muss, wenn man mit dem Leben nicht klarkommt, sondern dass man dafür sogar ins Fernsehen darf. Michelle verkauft sich nicht wegen herausragender musikalischer Leistungen, intelligenter Texte oder einer tollen Stimme, sondern weil sie sich, sehr gekonnt, als Opfer inszeniert. Und weil der Durchschnittsdeutsche immer auch nur Durchschnitt will - denn darin erkennt er sich wieder. Legitimationsfunktion nennen das die Sozialforscher.
“Stars”, Menschen also, zu denen man bewundernd aufsieht, sind nicht mehr die, die etwas richtig gut können und machen, sondern Leute, die sich “im Rahmen ihrer Möglichkeiten” bewegen – ein Rahmen, bei dem im Fall Michelle kaum mehr als ein Passfoto Platz findet. Aber gerade deshalb ist sie ja ein Star für die Massen: Das ganz normale Leben, wie es jedem von uns widerfährt, mit all seinen Höhen und Tiefen, wird von ihr aufgeblasen zu einer Aneinanderreihung schrecklichster Ereignisse. Dieses „Schicksal“ wird zur perfekten Ausrede für schlechte Leistungen und pubertäre Blödheiten aller Art. Und so kommt es, dass sich kaum noch einer darüber wundert, wenn ein „Opfer“ Musik für andere „Opfer“ macht und nach der Schlagerparade alle voller Energie wieder raus ins Leben gehen, einfach weiter machen, Augen zu und durch - mit Anlauf und völlig unreflektiert mitten rein in die nächste „Katastrophe“. Shitawey happens.
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