Gerd Buurmann
In der Nacht zum 18. Mai 2012 saß Iveen A. auf der Kante ihres Bettes und lachte. Es war ein lautes, ein krampfhaftes Lachen. Die Notfallambulanz diagnostizierte später einen fokalen Anfall bei bekannter Epilepsie. Den Tag zuvor hatte sie im Kölner Polizeipräsidium verbringen müssen. Sie war verhaftet worden wegen des Verdachts auf Körperverletzung. Dabei hatte sie nur gegen die Verharmlosung des politischen Regimes in Aserbaidschan während des Eurovision Song Contests in Baku ein paar Plakate aufhängen wollen. Ein “Friedensaktivist” stoppte sie. Aber der Reihe nach:
Iveen A. wurde nach eigenen Angaben als Kind armenischer Eltern in der Stadt Abadan im Südwesten Irans geboren. Ihre Kindheit fiel in die Zeit des Ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und dem Iran. In dem Krieg erlebte sie einen Senfgasangriff. Seitdem leidet sie unter Epilepsie. Sie geriet ebenfalls als Mädchen in ein Minenfeld. Ein Splitter steckt noch in ihrem Bein. Heute lebt sie mit einer Prothese im Knie. Irgendwann entschloss sich die Familie zur Flucht. Der gefährliche Weg führte sie über Indien nach Deutschland. Die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt sie am 8. November 2002.
Seit dem Tag ihrer Einbürgerung ist sie eine aktive Deutsche, die die Rechte des Grundgesetzes schätzt und lebt. Wie selbstverständlich macht sich sich zum Beispiel stark für den iranischen Künstler Shahin Najaf. Seit Mai 2012 muss er in Köln versteckt leben, da über ihn vom Iran aus eine Todesfatwa verhängt wurde.
Am 17. Mai 2012 wollte Iveen A. Plakate aufhängen, auf denen ein Mann zu sehen war, der ein ESC T-Shirt trägt und eine Axt in der Hand hält, dazu die Aufschrift: “Eurovision 2012 Baku - Ramil Safarov - Welcome Ro Azerbaijan ... just do not sleep.” Ramil Safarov ist ein Leutnant in der aserbaidschanischen Armee. Im Februar 2004 ermordete er den Armenier Gurgen Markarjan mit einer Axt während er schlief. Ein Polizist berichtete, es handele sich um einen „ungewöhnlich grausamen“ Mord. Der Kopf des Opfers sei fast vollständig vom Leib getrennt gewesen. Safaroy gab den Mord zu. Die Nationaldemokratische Partei Aserbaidschans wählte ihn daraufhin für seine „Verdienste um das Vaterland“ zum Mann des Jahres 2005.
Am Beispiel dieses Mannes wollte Iveen A. am 17. Mai mit Plakaten in Köln auf das mehr als gespannte Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan aufmerksam machen. Da sie von der “Kölner Klagemauer” vor dem Kölner Dom gehört hatte, an der angeblich jeder Mensch seine Klagen aufhängen kann, ging sie zunächst dort hin. Aber sie hatte die Rechnung ohne Walter Herrmann gemacht. Walter Herrmann ist Betreiber der “Kölner Klagemauer”, er nutzt sie seit Jahren nur noch für seine Kampagne gegen den Staat Israel. Er schreckt sogar vor antisemitischen Karikaturen nicht zurück. Im Jahr 2010 zeigte er eine Zeichnung, auf der ein Jude ein Kind frisst und sein Blut trinkt. Diese Karikatur wurde von allen Parteien im Kölner Stadtrat bis auf die Linke als “Botschaft des Hasses” bezeichnet. Der Oberbürgermeister Köln liess die Jerusalem Post sogar wissen, er hielte Walter Herrmann für geisteskrank.
Dieser in den Worten des Oberbürgermeisterbüros “Geisteskranke” sah nun wie Iveen A. ihr Plakat an der “Kölner Klagemauer” anbringen wollte. In einem Gespräch berichtete mir Iveen A. ein paar Wochen später:
“Ich hatte bereits von der Klagemauer gehört, da ich schon öfter auf der Domplatte gewesen war, um für Menschenrechte zu demonstrieren, aber ich kannte Walter Herrmann nicht und wußte auch nicht, dass die Klagemauer nur auf das Thema Palästina beschränkt ist. Mein Poster wurde von Walter Herrmann und seiner Clique als ‘anti-islamisch’ bezeichnet.”
Das muss man sich mal vorstellen, ein Mann, der Juden als Kinderfresser und Blutsäufer darstellt, findet die Darstellung eines Axtmörders als Axtmörder “anti-islamisch”, obwohl nichts auf dem Plakat auf die Religion des Mörders hinweist. Iveen A. berichtete weiter:
“Als ich mein Plakat dennoch anheften wollte, wurde Walter Herrmann cholerisch. Ich spürte plötzlich, wie gewalttätig dieser Mann ist, denn er hat mich direkt angegriffen. Er hat das Poster abgerissen und mich so stark geschubst, dass ich mein Gleichgewicht verlor. Ich griff spontan irgendein palästinischen Schal, um nicht auf den Boden zu fallen, aber Walter Herrmann schlug auf meine Hand ein. Mir wurde die ganze Sache zu viel und ich verließ den Ort. Leider bemerkte ich erst später, dass ich meine blaue Mappe auf dem Gästebuch der ‘Kölner Klagemauer’ vergessen hatte. Ich kehrte also zurück, um sie abzuholen. Zurück am Ort der Auseinandersetzung sah ich, dass Walter Herrmann an der linken Hand blutete. Irgendein Kollege musste die Polizei gerufen haben, denn ich fand mich plötzlich mit Handschellen am Rücken wieder. Als die Polizei mich abführen wollte, konnte ich nicht einsteigen, da ich eine Knieprothese habe. Als ich auf der Polizeiwache war, habe ich auch sofort gesagt, dass ich Epileptikerin bin und dass ich meine Tabletten nicht dabei habe. Ich zeigte ihn sogar meine Pässe, aber sie ignorierten sie.”
Iveen A. zeigte später auch mir ihre Ausweise und tatsächlich, ich konnte sofort erkennen, dass sie 100% schwerbehinderte Epileptikerin mit einer Knieprothese ist. Iveen A. fuhr fort:
“Stattdessen fragten sie mich, ob ich in psychologischer Behandlung sei. Ausserdem durchsuchten sie mich von oben bis unten, aber die angebliche Tatwaffe fanden sie nicht bei mir. Danach, brachten sie mich zur zentralen Polizeistation, wo eine Oberkommissarin meine Personalien aufnahm. Ich sagte, dass ich jegliche Aussage verweigere. Erst dann wurde ich entlassen.”
Später in der Nacht bekam Iveen A. dann ihren epileptischen Anfall. Noch heute denkt sie mit Schrecken an diesen Tag zurück und betont: “Walter HerrmNn hat mir die Freiheit genommen, die Klagemauer für meine Meinung zu nutzen. Dass ich nach all dem, was ich erlebt habe nun ausgerechnet wieder in Deutschland zum Schweigen gebracht wurde und dann auch noch von einem angeblichen Friedensaktivisten, das verstehe ich nicht.”
Ja, noch heute gilt Walter Herrmann für viele als Friedensaktivist, obwohl sich immer mehr Stimmen häufen, die ihn als aggressiven Mann bezeichnen, mit dem nicht zu reden sei. Dennoch toleriert die Kölner Polizei Walter Herrmanns Installation vor dem Kölner Dom. Was muss eigentlich noch geschehen, bis auch die Kölner Behörden erkennen, dass es sich bei Walter Herrmann um einen Mann handelt, der “in geschichtsblinder Einseitigkeit antiisraelische Ressentiments nährt”, wie es der Oberbürgermeister Jürgen Roters ausdrückt.
Nun wurde diese “geschichtsblinde Einseitigkeit” auch einer deutschen Bürgerin zum Verhängnis, die nach eigenen Angaben an diesem Tag so nah am fanatischen Terror eines Mannes dran war wie zuletzt im klerikal-faschistischen Iran.