Maxeiner & Miersch / 19.09.2009 / 11:13 / 0 / Seite ausdrucken

Wunschdenken ist kein Treibstoff

Auf der IAA in Frankfurt stehen praktisch alle Autohersteller unter Strom. Die Begeisterung für elektrische Autos kennt derzeit keine Grenzen und führt zu Schlagzeilen wie dieser: „Einmal tanken, drei Euro bitte“. Das klingt gut, ist aber leider zu schön um auf Dauer wahr zu sein. Wir wollen hier nicht den Party-Pupser spielen, über eines sollte man sich keine Illusionen machen: Wenn die Zahl der Elektrofahrzeuge künftig eine kritische Masse erreicht, dann wird auch der Staat kommen und beim Strom ein Äquivalent zur Mineralölsteuer einfordern.

Noch viel wichtiger ist aber eine andere Frage: Wo soll der Strom für die Elektrofahrzeuge eigentlich herkommen? Die CO2-freie Kernkraft soll in Deutschland ausgemustert werden. Ob die regenerativen Energien diese Lücke in Zukunft tatsächlich füllen können, ist eine offene Frage. Ein statistischer Trick, das Elektroauto gegenüber zur konventionellen Fahrzeugen in seiner Umweltbilanz gut aussehen zu lassen, besteht derzeit oft darin, hypothetische Zuwächse der regenerativen Energien für die Zukunft schon als Fakt einzurechnen. So wird Wunschdenken zum Treibstoff.

Bleibt die Kohle. Sie ist leider jene Energieform, die am meisten Kohlendioxid freisetzt - zumindest solange eine Kohlendioxid-Abscheidung und Deponierung nicht möglich ist. Doch dagegen gehen grün gesinnte Bürger und auf die Strasse. Genau wie gegen den Bau hochmoderner und effizienter Kohlekraftwerke.  Wird der Strom für die Autos aber in veralteten Anlagen generiert, ist weder für die Umwelt noch für das Klima irgendetwas gewonnen. Der hohe Wirkungsgrad des Elektroautos würde im Kohlekraftwerk zunichte gemacht, bevor es überhaupt losfährt.  Im Vergleich mit weiter optimierten Verbrennungsmotoren könnte die Bilanz des Elektroantriebs dann sogar negativ ausfallen.

Das Elektroauto macht in der Umweltbilanz nur dann Sinn, wenn für die fossile Stromerzeugung modernste Kraftwerkstechnik eingesetzt wird. Bleibt es beim Atomausstieg und beim alten Kohlekraftwerksbestand sind sie eine Mogelpackung - zumindest in Deutschland (In Frankreich sieht das aufgrund des hohen Atomstromanteils schon ganz anders aus). Gehen die Deutschen den Sonderweg ohne Kernenergie, sieht die Bilanz bei dezentralen Gaskraftwerken am besten aus. Doch die haben den Nachteil uns von Russland abhängig zu machen.

Bestechend klingt die Idee, den unregelmäßig anfallenden - und deshalb oft nicht benötigten - Strom aus Wind und Sonne in Millionen Autobatterien zu speichern. Die Ladestationen müssten so ausgelegt werden, dass zukünftig sogar eine Rückspeisung von im Fahrzeug gespeicherter Energie in das Versorgungsnetz möglich wäre. Die Autobatterie der Zukunft würde beispielsweise dann Strom speichern, wenn die Nachfrage gering ist, und ihn wieder abgeben, wenn die Nachfrage hoch ist.  Doch auch hier gilt: Kommt dieser Strom aus einem veralteten Kraftwerk, dann würden Elektroautos zu „Nachtspeicheröfen auf Rädern.“ Und die wurden im Bundesland Berlin gerade verboten.

Erschienen in DIE WELT vom 18.09.09

.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Maxeiner & Miersch / 24.11.2014 / 22:19 / 4

Cash fürs Gucken

Die kulturelle Innovation des Jahres kommt aus Hamburg und wurde von einem Veganer erdacht, der seinen Mitmenschen das Fleischessen abgewöhnen möchte. Dafür hat er einen…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 16.11.2014 / 10:00 / 6

Kuscheln im Schoße des Staates

Einst waren sie groß und mächtig: Energiekonzerne wie RWE, Eon und Vattenfall verdienten Milliarden, ihre Aktien galten als sichere Bank. Dann kam die Energiewende. Atomkraftwerke…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 08.11.2014 / 19:43 / 8

Orientalische Nostalgie

Der Früher-war-alles-besser-Mythos gedeiht in Deutschland in allen Schichten. Viele glauben, Omas Welt sei sicherer, gesünder und gemütlicher gewesen. Die Grünen und die AfD leben von…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 26.10.2014 / 06:00 / 1

Die Träumer waren Realisten

Nachher ist man immer klüger. Auch wir haben manchmal das Gefühl, irgendwie hätten wir den Mauerfall kommen sehen oder zumindest so ein bisschen geahnt. Gedächtnis…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 18.10.2014 / 19:31 / 13

Die Einsamkeit des Carnivoren

Das feuilletonistische Segment der globalisierten Gesellschaft zieht es jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse. Es versammeln sich sehr belesene und sehr schwarz gekleidete Menschen, die am…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 08.10.2014 / 10:24 / 1

Wir sehen uns in Frankfurt

Noch fünf Tage, dann liegt „Alles grün und gut?“ in jedem Buchladen. Wer vorher schon mal reinschauen möchte, kann dies am KNAUS-Stand auf der Buchmesse…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 05.10.2014 / 20:32 / 7

Analoger Widerstand

In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts propagierten Automobilindustrie und Automobilverbände die „Freie Fahrt für freie Bürger“. Es ging damals darum, ein Tempolimit zu verhindern. Auch…/ mehr

Maxeiner & Miersch / 27.09.2014 / 09:45 / 3

Pfeif’ auf den Tropenwald, es geht ums Prinzip

Seit alle Menschen grün sind, weiß niemand mehr so recht, was grün eigentlich bedeutet. Es gibt grüne Windkraft-Inverstoren und grüne Vogelschützer, die sich spinnefeind sind.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com