René Zeyer, Gastautor / 26.07.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Wirtschafts-Journalismus: Totalschaden nach Kurs-Achterbahn?

Wenn eine Zeitung ihre Glaubwürdigkeit verliert, das Vertrauen der Leser, dass die Zeitung möglichst unbeeindruckt von Pressionen und Wünschen möglichst wahrhaftig berichtet, kann die Zeitung eigentlich die Druckmaschinen abstellen. Und beim Internet-Auftritt den Stecker ziehen.

Verschärft gilt das bei der Wirtschaftsberichtserstattung. Nur der Hauch eines Verdachts, dass beispielsweise der Geldonkel selber mit den Titeln handelt, die er zum Kauf oder zum Verkauf empfiehlt, ist potenziell tödlich. Denn hat der Geldonkel Gewicht und Bedeutung, dann wirkt sein Text auf den Kurs ein. Empfiehlt er zum Beispiel einen "strong sell", also nichts wie weg damit, dann kann er sich mehrere goldene Nasen verdienen, wenn er das Papier vorher shortet.

Shorten bedeutet, auf sinkende Kurse zu spekulieren. Mit Ableitungen, also Derivaten, oder mit Vollgas mit Leerverkäufen. Das bedeutet, dass man das Papier gar nicht besitzt, aber seine Lieferung in beispielsweise einer Woche verspricht. Zum heutigen Kurs natürlich. Der Leerverkaäufer wettet darauf, dass er sich das Papier in einer Woche billiger besorgen kann. Derjenige, der die Wette hält, denn es braucht immer zwei, wettet natürlich darauf, dass das Papier in einer Woche teurer geworden ist. Einer gewinnt, einer verliert.

Wettglück, überlegene Analyse, Charttechniken, Widerstandslinienberechnungen, durchdeklinieren der Griechen, Computer nahe an der Kernschmelze beim Durchrechnen ellenlanger Algorithmen. Alles Methoden, um in die Zukunft schauen zu wollen. Aber wie schaut es aus, wenn einer wirklich in die Zukunft schauen kann? Nein, nicht als Hellseher. Sondern weil er die Zukunft beeinflusst. Zum Beispiel mit einem Artikel, in dem er einer Firma schwere Vorwürfe macht.

Bis heute wird als Anekdote herumgeboten, dass früher bei der Einstellung eines Redakteurs bei der Schweizer "Finanz & Wirtschaft" Beschwerden über ein bescheidenes Salär mit der Feststellung quittiert wurden, dass der Redakteur ja nebenbei noch "börselen" könne, damit sei es ihm doch ein Leichtes, ein nettes Zubrot zu verdienen. Ob wahr oder erfunden: Gerade und ausgesprochen und extrem hängt die Wirtschaftspresse von ihrem guten Ruf ab. Das gilt für die NZZ, das gilt für die gesamte Wirtschaftspresse, das gilt insbesondere, wegen der Bedeutung und Grösse, für das Wall Street Journal und für die Financial Times (FT).

Nach kritischen Artikeln fährt der Aktienkurs Achterbahn

Keine einzige Firma auf der Welt sieht es gerne, wenn in der FT ein kritischer Artikel über sie erscheint. Keine Firma sieht es gerne, wenn ihr wiederholt grobe Verstöße vorgeworfen werden. Vor allem, wenn auch diese Firma existenziell auf Vertrauen angewiesen ist, weil sie ein milliardenschwerer Zahlungsdienstleister ist.

Gibt’s das auch konkret? Sicher: Wir sprechen von einer Serie kritischer Artikel in der Financial Times über Wirecard, ein bei München domiziliertes Unternehmen, das weltweit digitalen Zahlungsverkehr sicherstellt. Für Firmen beliebiger Größe; gerade kürzlich hat sich Wirecard Aldi als neuen Kunden geangelt.

Nach jedem kritischen Artikel in der FT fuhr natürlich der Aktienkurs von Wirecard Achterbahn. Vielleicht kurz ein paar Zahlen zur Bedeutung: über 5.000 Mitarbeiter, über 2 Milliarden Umsatz, Wirecard wird von über 280.000 Unternehmen verwendet, darunter alle großen Kreditkarten und auch der Größte von allen, der chinesische Riese Alipay, kooperiert mit Wirecard.

Nun hat das Unternehmen eine leidige und lange Geschichte von Kurseinbrüchen nach negativen Meldungen. Schon 2008 stürzte die Aktie ab, als die "Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger" (SdK) dem Unternehmen irreführende Bilanzierung vorwarf. In der Folge wurden zwei Mitglieder der SdK wegen Insiderhandel zu Gefängnisstrafen verurteilt. 2010 rauschte die Aktie um 30 Prozent nach unten, Folge einer Falschmeldung des merkwürdigen "Nachrichtendienstes" GoMoPa. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden ergebnislos eingestellt.

Und schließlich halbierte sich der Aktienkurs von Wirecard am Anfang dieses Jahres nach drei Berichten in der Financial Times über angeblich unsaubere Machenschaften von Wirecard-Mitarbeitern in Singapur. Wirecard reichte daraufhin Strafanzeige gegen FT ein, unter anderem wegen des Verdachts auf Kursmanipulation. Das Unternehmen stellte den Verdacht in den Raum, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Redakteuren der FT und Short-Sellern am Markt gebe. Das wies die wohl renommierteste Finanzzeitung der Welt natürlich entrüstet zurück.

Zu einem richtigen Krimi entwickelt sich die Affäre, weil Wirecard nun nachlegt. Das Unternehmen behauptet, in den Besitz einer Tonbandaufzeichnung gelangt zu sein, auf der ein Londoner Spekulant einem Privatdetektiv, der sich unter einem Vorwand dessen Vertrauen erschlich, erklärt, dass er schon mehrfach gegen Wirecard gewettet habe, da er über Insiderwissen verfüge, wann die FT einen kritischen Artikel veröffentlichen werde. Das sei demnächst wieder der Fall, und daher schlage er einen Short-Kontrakt über 10 Millionen vor, als "Versuchsballon".

Keine Artikel mehr über Wirecard?

Wirecard spielte zudem eine E-Mail der deutschen Wirtschaftspresse zu, in dem ein FT-Redakteur letzte Woche neuerlich kritische Fragen im Rahmen einer Artikelrecherche stellte. Und die Antworten, die der Londoner Spekulant auf insistierende Fragen des Privatdetektivs gegeben habe, entsprächen einem Wissensstand über genau diese FT-Fragen an Wirecard. Nur ist ein entsprechender Artikel dann nicht erschienen. Bislang.

Anfänglich wurde der Verdacht von Wirecard, dass es da eine Komplizenschaft zwischen FT-Journalisten und Spekulanten gebe, die Insiderwissen für Leerverkäufe ausnützen, als Nebelgranate und durchsichtige Strategie, dass Angriff immer die beste Verteidigung sei, abgetan. FT weist natürlich diese Anschuldigung strikt zurück und spricht von einem "Ablenkungsmanöver". Zudem wehrt sich das Blatt gegen die Forderung von Wirecard, dass es bis zum Abschluss der Strafuntersuchungen wegen möglicher Kursmanipulation und Ausnützen von Insiderwissen keine Artikel mehr über Wirecard veröffentlichen dürfe.

Die jüngste Attacke von Shortsellern auf Wirecard blieb dann auch aus. Ein Beweis dafür, dass mangels weiterem kritischen Artikel in der FT und dank dieses Vorwissens nicht auf fallende Kurse spekuliert wurde? Oder ein Beleg dafür, dass Finanzleute viel erzählen, wenn der Tag lang ist und ein potenzieller Kunde zu einem Investment überredet werden soll?

Das alles ist natürlich von außen schwer zu beurteilen. Aber: Es ist klar, dass auch die FT, wie jedes Unternehmen auf der Welt, nicht die Hand für jeden Mitarbeiter ins Feuer legen kann. Es ist klar, dass FT sicherlich alles unternimmt, um solche illegalen Aktionen zu verhindern. Es ist ebenfalls klar, dass das alles keine Garantie bietet, dass so etwas niemals passieren kann. Insiderhandel mit Vorwissen ist etwas vom Übelsten im Handel. Deswegen werden in der angelsächsischen Welt, wo sonst, drakonische Strafen ausgesprochen. Erst vor kurzem wurden in London ehemalige UBS-Mitarbeiter deswegen zu drei Jahren Knast verurteilt.

Ein gewaltiger Schaden ist schon entstanden

Häme gegen FT – oder gegen Wirecard – ist hier allerdings völlig unangebracht. Ein Schaden, ein gewaltiger Schaden ist sowieso schon entstanden. Entweder ist Wirecard zum wiederholten Mal Opfer einer Kursmanipulation via Medien. Die damit einhergehende Wertvernichtung für Aktionäre im Milliardenbereich wäre schwerkriminell. Und fast noch schlimmer: Eine der letzten Leuchttürme der Wirtschaftsberichterstattung, also Berichterstattung über das Wichtigste in einer Gesellschaft, ist im sich zu Tode sparenden Journalismus schwer angeschlagen. Selbst wenn es ein mit hoher krimineller Energie durchgeführtes Verbrechen von zwei Mitarbeitern ist, das kaum aufgedeckt werden konnte: der Verlust an Reputation und Glaubwürdigkeit wäre gigantisch.

Geradezu absurd wäre es, wenn sich herausstellen sollte, dass die Vorwürfe, die von FT gegen Wirecard erhoben wurden, tatsächlich zutreffen. Aber gleichzeitig nachgewiesen werden kann, dass die Autoren der Artikel ihr Vorwissen von fallenden Kursen für Insiderhandel ausnützten. Das wäre dann sozusagen der Super-GAU.

Oder aber, Wirecard versucht tatsächlich, mit diesen Beschuldigungen Nebelgranaten zu zünden, die von dem kritischen Inhalt der FT-Artikel ablenken sollen. Es ist inzwischen ja gang und gäbe, dass negativ dargestellte Firmen mit Schadenersatzklagen drohen. Ob berechtigte Kritik oder nicht, diese Berichterstattung habe der Reputation schwer geschadet, die Verkäufe seien messbar eingebrochen, Geschäftspartner hätten die Zusammenarbeit aufgekündigt. Und all das habe einen bezifferbaren Schaden angerichtet, der vom Verursacher zu übernehmen sei.

Drohung macht die meisten Presseorgane handzahm

Diese Drohung macht in der Schweiz die meisten Presseorgane handzahm. Oft reicht auch lediglich die Drohung mit einem Prozess wegen Rufschädigung, damit die Zeitung einknickt. Denn ob sie den gewinnt oder verliert, sie scheut die Kosten, die ihr auf jeden Fall entstehen würden. Also lieber nachgeben. Das habe ich zu meinem Leidwesen mehrfach bei Blättern des größten Zeitungskonzerns der Schweiz, bei Tamedia, erlebt. Und auch beim zweiten im Duopol, bei CH Media. Hinter meinem Rücken wurden meine Artikel, die schon aus Selbstschutz immer wasserdicht recherchiert sind, vom Netz genommen, mit einer "Stellungnahme" versehen, dem Androher wurde versichert, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde.

Inzwischen schließt sich auch die Schweizer UBS dem FT-Bashing an. "Embarrassing reporting", peinlicher Bericht, twitterte die Großbank. Angefasst und angepisst reagierte sie auf eine Analyse der FT zum aktuellen Quartalsbericht der UBS. Die Bank sieht sich ungerecht behandelt, weil FT, wie viele Wirtschaftsmedien, an der schwächelnden Vermögensverwaltung und dem Investmentbanking kein gutes Haar ließ. Diese dünnhäutige Reaktion wurde ihrerseits kräftig kritisiert. Als Großbank auf einen namentlich genannten Journalisten losgehen, das sei keine gute Idee, meint zum Beispiel der PR-Chef der Europäischen Zentralbank. Es kommt offenbar wieder in Mode, den Boten der schlechten Nachricht köpfen zu wollen.

Ich hoffe als Journalist, ich gebe Parteilichkeit gerne zu, dass sich der Verdacht gegen FT nicht erhärtet. Sollte er das tun, hätte die FT sozusagen ihren Relotius-Moment. Ihre Hitler-Tagebücher-Affäre. Den größten anzunehmenden Unfall. Einen Schaden, der das Blatt noch jahrelang verfolgen würde, in Gestalt der fiesen Frage: "Ach, FT hat über diese Firma kritisch berichtet? Aha, musste da der Redakteur mal wieder zusätzlich Geld verdienen mit Leerverkäufen?" Das wäre fatal. Also bleibt nur das Prinzip Hoffnung.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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M. Mertens / 26.07.2019

Dieser Artikel trägt nicht gerade dazu bei, die Fragen zu den FT-Artikeln und Kursmanipulationen zu erhellen, im Gegenteil - lediglich Spekulationen. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es bereits früher solche Attacken von Seiten der FT gab, die Untersuchungen aber keine Verfehlungen bei Wirecard ergaben. Im Übrigen ist es billig, Wirecards Anfänge und die Verbindung ins Pornomilieu ins Spiel zu bringen. Bleibt nur zu hoffen, dass diese schmutzige, kriminelle Angelegenheit von der Staatsanwaltschaft bzw. Finanzaufsicht restlos aufgeklärt wird.

Jochen Lindt / 26.07.2019

Wirecard stammt aus dem Umfeld der Pornobranche. Genauer gesagt war es Zahlungsmittel der Wahl für Hardcore Pornos. Gerüchte über Kursmanipulationen sowie illegale Geschäfte hat sich die FT nicht ausgedacht, die gab es bei Wirecard schon immer, genauer gesagt seit Gründung der Firma.

Thomas Taterka / 26.07.2019

Herr Zeyer,  der Artikel ist Klasse und sehr gut geschrieben. Wer es besser kann und mehr weiß, kann sich ja überwinden,  damit man nicht dumm sterben muß ! Immer her mit der Weisheit!

P. F. Hilker / 26.07.2019

Soweit ich weiss, war wirecard keine grob unlauteren Handlungen nachzuweisen. Tja, so sind die Medien, ich habe da was gehört. Nicht angenehm, wenn es einen selbst trifft. Aber wir haben ja einen Rechtsstaat, nicht wahr?-Lach-

René Zeyer / 26.07.2019

Nun ja, ich weiss nicht, wo Sie sich seriös, objektiv, unabhängig und überparteilich informieren. Falls Sie da eine Quelle haben, die mir nicht bekannt ist: Dafür falte ich Ihnen auch ein Dutzend Zitronenfalter. Und solche Grobheiten wie «ein Haufen Lügner», das ist ungefähr so intelligent und erkenntnisfördernd wie «Rechtspopulist» oder «Hetzer» von der anderen Seite. Wenn sich alle nur in ihrer eigenen Echokammer bespassen, kommen wir sicherlich weiter.

Bernhard Freiling / 26.07.2019

Geht so “guter Journalismus”? Erst den Konjunktivismus beklagen und dann voll vom Leder ziehen. Mindestens 3 “Türken” aufbauen und jeden davon mit Konjuktiven genüßlich ausschlachten. /// Ein Artikel, so überflüssig wie ein Kropf! Keinerlei erhellende Statements: nur Konjunktive. Ehrlich? Das braucht Niemand! Spekulieren können wir selbst ganz ausgezeichnet. ;-)

Matthias Kegelmann / 26.07.2019

Nichts Neues auf der Welt. Intrigen und die Gier nach schnellem, vorgeblich leichtem Geld. Das wiederholt sich tagtäglich. Wehe dem, jedoch, der auf angebliche Insiderinformationen vertraut. Er kann nie wissen, ob die Sache sich auch so verhält wie erwartet. Nur die Erben werden die Wahrheit erfahren. Der Rest ist viel heiße Luft und leeres Geschwätz.

HaJo Wolf / 26.07.2019

Glauben Sie wirklich, dass ausgerechnet bei der FT noch seriöse, unabhängige, objektive, überparteiliche und faire Journalisten recherchieren und schreiben? Glauben Sie an den Weihnachtsmann oder dass der Zitronenfalter Zitronen faltet?? Ich lese die FT schon lange nicht mehr, sie zählt genau so zum Pool der Mainstreammedien, die vorgeben, die Wahrheit zu verkünden, tatsächlich jedoch ein Haufen Lügner sind.

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