Zugegeben: Wir sind manchmal so berechenbar wie ein Kaugummi-Automat. Oben eine Münze reinwerfen, und unten kommt der Bubblegum raus. Bei einer abendlichen Runde den Namen Claudia Roth fallen zu lassen führt bei uns beiden zuverlässig zu despektierlichen Kommentaren. Und oft assistieren andere Anwesende mit zusätzlichen hilfreichen Bemerkungen. Beispielsweise: “Wo ist die eigentlich? Mal wieder vor einem US-Gefängnis angekettet, um einen Todeskandidaten zu befreien?” Oder: “Zu Hause für die Rechte der Frauen ihre große Klappe aufreißen, aber im Iran kuschen und ein Kopftuch tragen.” Zu fortgeschrittener Stunde geht’s auch noch einen Zacken persönlicher und das alte Harald-Schmidt-Zitat wird vorgekramt: “Hamster auf Ecstasy”.
Letzte Woche waren wir im Biergarten mal wieder voll in unserem Element, allerdings entpuppte sich eine anwesende Freundin als ausgesprochener Party-Pupser: “Ich weiß gar nicht, was ihr wollt, ich mag die Claudia Roth.” Die auf diese Bemerkung folgende Schrecksekunde dauert im Prinzip immer noch an. Vorsichtige Rückfrage: “Wie kommst du denn dazu?” Entwaffnende Antwort: “Ich kann nichts dafür, ich mag sie einfach.” Und dann fügt unsere Freundin ein wenig trotzig hinzu: “Der Beckstein mag sie übrigens auch.” Stimmt, dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten wird ein fast freundschaftliches Verhältnis zu Claudia Roth nachgesagt.
“Wie ist das möglich?”, fragen wir uns seitdem. Und noch schlimmer: “Könnten wir Claudia Roth vielleicht auch mögen, zumindest theoretisch?” Ergebnis: Theoretisch ja. Praktisch üben wir noch. Unsere sich anbahnende Zuneigung hat einen Grund, der wiederum einen Namen hat: Katrin Göring-Eckardt. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und außerdem noch Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Göring-Eckardt kämpft für eine “Kultur des Weniger”, die “lebensweltlich geerdet” sein sollte, und hält schon mal im Radio die Morgenandacht. Dabei schlägt sie mühelos den Bogen von kleinen Kaffeemilch-Döschen zum Großen und Ganzen, nämlich dann, “wenn aus einem kleinen Symbol großer Ernst wird: Ölpest, Atomkatastrophe, Klimawandel”. Grüne Ideologie und protestantische Verzichts-Ethik finden so in ihrer humorlosesten Form zueinander. Dagegen wirkt Claudia Roth auf uns plötzlich wie eine schrille Lebefrau. Unser Fazit: Wenn schon grün, dann lieber Roth.
Erschienen in DIE WELT am 01.07.2011