Von David Pferder.
Der ostdeutsche Schriftsteller Thomas Brussig wurde durch das unübertroffene Buch „Helden wie wir“ bekannt. Jetzt widmet er sich dem allgemeinen Weltuntergangs-Milieu mit „Meine Apokalypsen“, will dem kollektiv-denkenden Gruppendeutschen aber nicht zu viel zumuten.
Thomas Brussig, ein deutscher Schriftsteller aus Ostdeutschland, der zum DDR-Komplex das unübertroffene „Helden, wie wir“, aber eben auch die beiden auf unterschiedlichen Ebenen exzellenten Themen-Sequels „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ und „Die Verwandelten“ erschaffen hat, diskutiert bei der Darstellung des DDR-Untergangs („Helden, wie wir“), der im wahrsten Sinne verrückten Nachwendezeit (Verwandelten) und dem roads-fortunately-missed DDR-hat-überlebt-Dystopie (Russenfilm) auch immer die aktuell-politische Situation auf unserem real-existierenden bundesdeutschen Vergnügungsdampfer.
Mit „Meine Apokalypsen“ hat er diese ihm wichtige Thematik löblicherweise einfach direkt angepackt – ich habe das Buch sehr gern gelesen und kann es sehr empfehlen, selbst wenn ich, so viel sei direkt verraten, mehrere der grundlegenden politisch-technischen Thesen nicht wirklich teile. Aber, auch dies vorab, ich hoffe, dass Thomas Brussig mir diese gedankenpolizeiliche Denunziation verzeiht: Er „glaubt“ an diese Teile selber nicht, sondern hatte vielleicht einfach keine Lust, zu viele „Leugnungs“-Vorwürfe auf einmal zu hören.
Die Grundidee ist bei Brussig, wie eigentlich immer, von durchschlagender Einfachheit: Thomas Brussig zählt schlicht die Apokalypsen-Horrorszenarien auf, die er mit seiner mittlerweile 45 Jahre Realdeutschlanderfahrung seit dem Beginn seiner Religionsmündigkeit mit 14 Jahren im Jahr 1978 durchlebt und teilweise durchlitten hat. Ich betone die Religionsmündigkeit, da ich finde, dass der Deutsche an sich ab diesem Alter tatsächlich ein formales und echtes Recht auf das so häufig gehörte und aus tiefem Herzen kommende „das glaube ich nicht“ hat.
Und weil er sich vor diesem „das glaube ich jetzt nicht“ ein bisschen absichern will, nennt Thomas Brussig die diversen Apokalypsen meines Erachtens nach auch „meine Apokalypsen“, obwohl es natürlich „unsere Apokalypsen“ sind und deshalb so heißen muss.
Die neun Apokalypsen
Und die Zahl unserer Apokalypsen seit 1978 ist schon schwindelerregend: neun Apokalypsen in 45 Jahren – macht genau eine alle fünf Jahre: Natürlich kommt man auf eine solche große Zahl nur durch eine gewisse Großzügigkeit, aber urteilen Sie selber: „Das atomare Wettrüsten und der drohende Atomkrieg“, „AIDS“, „Das Ozonloch“, „BSE“, „Der Millenium-Bug“, „Weltfinanzkrise 2008 (Subprime-Krise)“, „Das schwarze Loch des CERN“, „Covid-19“, „Der Klimawandel“ – Sie werden zugeben, dass zwar nicht alle Apokalypsen es auf eine 10 von 10 schaffen (was war noch mal Covid? Oder BSE?), aber bis auf das vermeintlich obskure Schmankerl CERN-Weltvernichtung sind alle Apokalypsen den fellow Germans schon gut vertraut (wenn auch vergessen oder verdrängt).
Thomas Brussig macht dann einen liebevoll-persönlichen Apokalypsen-Abriss, wo natürlich rauskommt, dass in (fast) allen Fällen zwar irgendwie ein echter Kern da war, dass aber die Horrorszenarien („leugnet“ irgendeiner, dass dies praktisch alles Modellierungen waren?) irgendwie dann an einem Punkt plötzlich verschwunden sind. Ausnahme vielleicht der Atomtod, der ja tatsächlich keiner Modellierung für die „Glaub“haftmachung bedarf, so lange es nukleare Waffen gibt, aber irgendwie hat mittlerweile doch der eine oder andere verstanden, dass die kommunistische Parole („atomwaffenfrei ins Jahr 2000“) zwar toll klang (es klingt immer so schön, bzw. so schön schaurig oder beides), aber letztlich der demokratisch-realpolitische Ansatz, dass die Stabilität mit mehr Atommächten eher größer und nicht etwa kleiner ist, zwar keine schönen Wunschbilder bedient, aber dafür den kleinen aber feinen Vorteil hat, dass sich diese Praxis auch über 20 Jahre nach dem Jahr 2000 noch bewährt hat. Und nebenbei der Sowjetkommunismus tatsächlich totgerüstet werden konnte, obwohl gerade die deutschen Friedensapostel-Apokalyptiker so innig daran geglaubt haben, dass der US-Reagan-Imperialismus falsch lag – dabei haben die Amis das Problem, wie so oft, einfach nur halbwegs zu Ende gedacht, statt sich gegenseitig in einen kollektiv-beseelten Wahn einzuglauben.
Leider ist dies aber auch ein Muster „unserer Apokalypsen“ – im Nachgang möchte man (oder auch frau) eigentlich eher ungern über die kollektive Orientierungslosigkeit nachdenken – wenn überhaupt, dann erschöpft sich die Fehleranalyse darin, einen Schuldigen zu suchen, auf den alles abgewälzt werden kann – Brussig immerhin geht etwas in die aus meiner Sicht richtige Richtung, indem er uns der schmerzhaften Übung unterzieht, alle unsere Apokalypsen mal hintereinander zu reihen.
Im zweiten Teil des Buches geht es dann vor allem um die aktuelle Apokalypse: Klima, Hitze, Meeresspiegelweltuntergang. Trotzdem bleibt er aus meiner Sicht beim Thema CO2-Apokalypse auf halbem Weg stehen – zwar wird immerhin das Totschlagargument „Konsens“ nur einmal bemüht, aber dafür in einer Deutschtotalität, die einen nun wieder sprachlos macht: „Bestimmt seit zehn Jahren ist es Konsens, wonach der Klimawandel eine existentielle Bedrohung und seine Bekämpfung eine Daseinsfrage der Menschheit darstellt.“ Reden wir hier tatsächlich von CO2-Modellierungen oder doch wieder von der deutschen Seele, die neuerdings den Welt(untergangs)geist zu erspüren meint, wenn man durch die Kollektivbrille auf eine deutsche Wetterkarte schaut und danach schon bei 28 Grad den #Hitzesommer erspürt?
„Eine Null kann leicht verrutschen“
Oder reden wir tatsächlich vom Meeresspiegel-Anstieg-Weltuntergang, den der Spiegel drei Jahre vor dem Mauerfall auf das Jahr 2040 projiziert hat, der aber wohl gemäß der momentanen Zahlen nicht mal im Jahr 2400 ansteht? „Aber eine Null kann schon mal leicht verrutschen“ – der Spruch ist nicht von mir, sondern von einer schon über zehn Jahre alten öffentlich-rechtlichen Kultursendung, als Spott oder Kritik an der Klimaapokalypse noch nicht total tabuisiert war.
Das Klima-Apokalypsen-Kapitel hat schon auch einige gute Punkte (Kritik an Atomausstieg und „Bio“sprit), aber insgesamt traut Brussig seinen eigenen Instinkten hier nicht. Er schreibt bezogen auf unsere Klimaapokalypse: „Zugegeben, es ist eine neue Erfahrung, dass der Kampf um ein Umweltthema verloren geht.“ Aber ist das nicht der ganze Witz an der Sache? Was ist an einer möglicherweise fast oder gar völlig falschen CO2-Modellierung eigentlich ein Umweltthema? Nichts außer unsere Kollektivperzeption: Es gibt mittlerweile Hinweise oder Hypothesen, dass auch das Thema Ozonloch vielleicht eine vorwiegend oder sogar rein natürliche zyklische Änderung gewesen sein könnte – alle ergriffenen Ozonrettungsmaßnahmen wären damit, soweit sie nicht ungeplante positive Nebeneffekte hatten, für die berühmte Katz – und dies gilt bei den ungleich drastischeren CO2-Plänen zehnfach.
Beim exzessiven Ausbau von insbesondere Windmühlen weiß Thomas Brussig dies im Grund seines Herzens ganz genau – in seiner „DDR-lebt-weiter-Dystopie“ (Russenfilm) überleben die fünf Länder als DDR durch massiven (Holz-)-Windmühlenausbau, und der Verkehr wird auf Batterie umgestellt, mit dem (natürlich staatlich unterdrückten) Nebeneffekt, dass auf Grund der eigentlich guten geringeren Geräuschkulisse der Batterieautos die Unfallzahlen signifikant nach oben schießen (Brussig prägt hier den unbezahlbaren Begriff Guerilla-Statistik und dies noch, bevor wir in die Covid 19-Großkämpfe über Oma-Tod-Verhinderung-durch-Masken-tragen-auf-der-Turmstraße kamen – Modelle sind leider nicht nur sehr geduldig, sondern auch sehr willig und total käuflich. Ich „glaube“ nur einem Modell, das ich selber manipuliert habe, wusste schon so ungefähr der große Churchill.
Thomas Brussig macht aber auch in diesem Kapitel wichtige Punkte: Panik ist ein absolut gefährliches und potenziell tödliches Konzept – hier wird eine Episode aus dem real-existierenden Vormauerfall-Alexanderplatz-Leben des Thomas Brussig erzählt, die wirklich, wirklich beängstigend ist („Exkurs Panik“) – warum er dafür aber Asperger-Patientin Greta, die mit Ende 15 von ihren Eltern auf eine global erfolgreiche PR-Kampagne geschickt wurde, eine Art Vorwurf macht, verstehe ich dagegen nicht.
Keiner in Deutschland kann reklamieren, dass die Greta-Kampagne den Umstand Asperger-Syndrom nicht von Anfang an offen gespielt hat – nur, dass die daraus klar zu ziehenden Schlussfolgerungen kollektivistisch verdrängt oder ignoriert wurden. Eine jugendliche Asperger-Patientin ist sicherlich nicht die richtige Person für politisch-psychologische Volksempfehlungen (vor allem nicht, wenn diese wortwörtlich genommen werden). Und kann auch im in diesem Punkt hochmodernen Schweden problemlos einmal pro Woche die Schule „schwänzen“, ohne ihre Lernleistungen oder gar ihren Abschluss zu gefährden – die Greta-Kampagne kann und muss man diversen Leuten vorwerfen, Greta gehört meines Erachtens nicht dazu.
Nicht nur schlicht, sondern schlicht falsch
Da ich bezüglich der Belastbarkeit der CO2-Modellierungs-Apokalypse eine andere Position habe, als die, die Thomas Brussig in seinem Buch zu vertreten meinen muss, kann ich auch nur sagen, dass ich sein Credo: „Kohle, Öl und Gas dürfen wir nicht verbrennen. Capito, Menschheit“ nicht nur für schlicht, sondern für schlicht falsch halte.
Interessanterweise deutet Brussig dies selber an, indem er etwas verschämt in einer Fußnote versteckt Folgendes vermerkt: „Inzwischen schrieb ein Journalist, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe, es lohne sich“. Während die Amerikaner bei ihren Soldaten ein striktes „nobody is left behind“ verfolgen, was regelmäßig dazu führt, dass sie wirklich über sich hinauswachsen, will der Beseel-Deutsche, dass alle (gemeint sind alle anderen) um „jedes CO2-Molekül kämpfen“ – ich glaube, ich weiß langsam, wo die Wurzel unseres tiefsitzenden passiv-aggressiven Antiamerikanismus wirklich herkommt – wir haben es schlicht irgendwann verlernt, einem Kollektiv-Beseelt-Angstmacher-Maniker mal zu sagen, dass der Quark gegessen und nicht aufs Papier – darf ich sagen – geschmiert gehört.
Durch die leichte Unsicherheit beim Thema CO2-Apokalypse bleiben auch Thomas Brussig gute Punkte zum autonomen Fahren etwas im Schatten – aber auch ich bin überzeugt: Das wird kommen und es wird gut – besser als unsere Schalterei-Raserei, an die sich die Westdeutschen klammern, als ob man die eigene Vergänglichkeit durch Blockieren von unvermeidlichen Reformen verdrängen könnte.
Zum Abschluss noch dieser Punkt: Natürlich kann man Zukunft vorhersagen, lieber Thomas – den Mauerfall haben sogar ziemlich viele vorhergesehen (Walter Ulbricht sogar bevor er die Mauer letztlich bauen musste) – eine Kollektiv-Verblindung (auch so ein gefährliches Wort, aber ich rede mich darauf hinaus, dass ich damit mehr oder weniger elegant ein weiteres Buch von Thomas Brussig „Wie es leuchtet“ ins Spiel bringe, obwohl oder gerade weil ich es [noch] nicht gelesen habe) war nur im real-existierenden Doppeldeutschland möglich und hat da ja auch bei fast allen geklappt – außer denen, die das Privileg hatten, schon vor 89 aus dem Dunstkreis treten zu dürfen (oder zu müssen). In England ist 1988/89 ständig über die Gefahr der deutschen Einheit diskutiert worden (da habe ich auch schon Jahre vor meinen fellow East Germans vom Klimaweltuntergang gehört).
Zukunftsprognosen zum Schluss
Zukunft kann man durchaus szenarienartig skizzieren, aber für die Szenarien und Vorhersagen muss der Zeitraum klug gewählt werden (und achten Sie mal darauf, die Doomer wählen immer Minimum 2100, besser 2300 oder noch später – erst hinten raus hebt der Hockeyschläger ab, ergo steigt der Meeresspiegel).
Deshalb auch zum Abschluss noch ein Wort zum Buchabschluss, wo Thomas Brussig eine Zukunftsprognose wagt, obwohl er Zukunft für nicht prognostizierbar erklärt hat. Ich halte, wie gesagt, eine Zukunftsprognose durchaus für sinnvoll, aber nur für maximal die kommende 45 Jahre. Dies wäre dann auch wirklich mutig, denn Prognosen über eine Zukunft in 25 bis 45 Jahren werden schon bald überprüfbar sein. Thomas Brussig wählt dagegen den – wie ich finde – etwas wohlfeilen Zeitraum von 100 Jahren.
Schade, denn wie auch bei Modellierungen dreht sich bei Zukunftsprognosen alles um die Belastbarkeit der Annahmen – hier könnten Thomas Brussig und ich inshallah in 15 Jahren die Validität unserer jeweiligen Annahmen für eine 30- oder auch 45-Jahres-Prognose überprüfen. Aber was ja nicht ist, kann noch werden: Thomas, lass uns einen Prognosekontest machen: Die Welt und Europa im Jahr 2070. Eine Vorhersage gebe ich direkt ab: Die KI-Apokalypse, die die CO2-Apokalypse-Welle endgültig brechen wird, ist schon 2035 wieder Geschichte.
Thomas Brussig, Meine Apokalypsen (Warum wir hoffen dürfen), Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-3030-6
David Pferder (Pseudonym), Jg. 72 ist ehrenamtlich politisch, publizistisch und wissenschaftlich tätig, u.a. im Feld Klima und Energie, und kennt Thomas Brussig persönlich.