„Und? Weihnachtsbaum schon gekauft?“

Immer im Dezember ändert sich die Frage „Und? Wie geht’s Dir“ in „Und? Weihnachtsbaum schon gekauft?“ – und immer im Dezember antworte ich dann brav: „Ja, schon vor zig Jahren.“ Wir haben nämlich einen Weihnachtsbaum aus chinesischem Plastik, den wir tatsächlich jedes Jahr im wahrsten Sinne des Wortes putzen müssen, um den Kellerstaub von dem verdammten Baum zu kriegen. Der Kamerad wird dann in die Badewanne gestellt und abgebraust, und wenn er dann nach ungefähr 48 Stunden trocken ist, bekommt er sein Plätzchen und steht dann da herum. Ein Plastikbaum, der mich mutmaßlich überleben wird, wenn wir nicht vorher einen Wohnungsbrand haben und der sich dann irgendwann in hoffentlich ferner Zukunft mit den anderen chinesischen Weihnachtsbäumen in einem „Müllstrudel – fünfmal so groß wie Deutschland“, dafür aber im lauschigen Pazifik treffen wird. Irgendwo in der Nähe von Hawaii. Damit wird er dann weiter gereist sein, als ich je im Leben – aber ich schweife ab.

Ich habe ihn damals mit in die Ehe mit dem Schatz gebracht, da wegen mir kein Baum sterben sollte, der dann, unter jeder Menge CO2-Erzeugung durch den Transport, beim Libanesen für teuer Geld an harmlose Christen verkloppt wird. So die offizielle, da korrekte ökologische Begründung. In Wahrheit habe ich aber sehr wenig Lust, eine Nordmanntanne drei Stockwerke im Altbau nach oben zu wuchten und ihr dann sechs Wochen beim Nadeln zuzusehen, danach den Oschi wieder drei Stockwerke unter einer Schleppe von rieselnden Tannennadeln nach unten zu transportieren, um anschließend mit einem Handfeger die abgebröckelten Nadeln von der Treppe zu kehren, da mein Vermieter hier relativ schmerzempfindlich ist. Ich nehme da lieber den Chinesen, drücke und quetsche ihn in sein Kartonhaus und lege ihn zehn Monate wieder im Keller nach hinten, da, wo auch die alten Schallplatten sind, die ich noch aussortieren will. Wenn ich mal Zeit habe. 

Der Weihnachtsbaum steht bei uns im Wohnzimmer im Erker und ist es gewöhnt, jedes Jahr angesungen zu werden. Er erträgt das mit fernöstlicher Stoa, hält die Klappe und verliert weder Nadeln noch Eichhörnchen. Sehr praktisch. Bisher. 

„Der riecht ja gar nicht nach Tanne“, hat die Jüngste jetzt festgestellt und war sehr enttäuscht. Sie entstammt einem Landhaus, in dem die Bewohner noch nachts mit dem Beil in Tannenschonungen einbrechen, um sich hier den persönlichen Weihnachtsbaum im Schweiße ihrer glühweingeröteten Gesichter zu schlagen und ihre eigene Form von Beschaffungskriminalität praktizieren. Natürlich riecht ein derart gemeuchelter und entführter Baum nach Tanne und Harz, bis er sich schließlich von seinem grünen Kleid unter leisem Knacken verabschiedet. Dafür kommt er aber auch nie in die Nähe von Hawaii. 

„Dann schütte eben Zimt drüber“

„Ich stelle mir doch keine Baumleiche ins Haus“, erklärte ich entrüstet. „Wir wohnen hier in der großen Stadt, und was Du hier siehst, ist weniger ein Baum als vielmehr ein weihnachtliches Deko-Objekt. Robust, stoßfest, wasserdicht, erst ab 80 Grad entflammbar (steht so auf der Packung, aber auf Chinesisch, deswegen muss ich das raten), wiederverwendbar, schwimmfähig, schweigsam, sauber, hygienisch und für Allergiker geeignet. Dieser Weihnachtsbaum hat alles, was man sich von einem Weihnachtsbaum wünschen kann. Er steht bombenfest, sieht stets gleichmäßig aus, stört keinen und wenn ich die Lichterkette um diesen Kegel zwirble, dann sehe ich danach nicht wie ein Tannenstachelschwein aus oder finde abends an sehr intimen Körperstellen irgendwelche Baumbestandteile, die da nicht sein sollten. Dies ist ein sehr sympathischer Weihnachtsbaum. Dies ist unser Weihnachtsbaum. Besinge ihn oder lasse es“, schlug ich ihr vor.

„Und er riecht nicht nach Tanne“, hat sie, zwar korrekt, aber stur, zurückgegeben. Sie ist wie der Schatz. Sie weiß alles besser. Als ich. Das ist sehr nervenaufreibend und schon hatte ich gar keine Lust mehr auf Weihnachten, wenn ich da so ’rumdiskutieren musste. „Ich könnte so Tannennadelduftspray kaufen“, schlug sie vor, die kleine Kröte. „Das Klima retten, aber Tannennadelduftspray kaufen wollen, das passt ja zusammen“, entgegnete ich, „das ist ein Christbaum, kein verdammter Duftbaum.“ Sie zog das Gesicht zu einer Flunsch zusammen. „Es sollte aber nach Weihnachten riechen“, beschwerte sie sich. „Dann schütte eben Zimt drüber“, schlug ich vor und damit war für mich die Diskussion beendet.

Als ich am nächsten Abend nach Hause kam, roch es in der ganzen Wohnung nach Tannenwald. Ich rief die Frucht fremder Lenden und Ländereien zum Interview: „Du warst das, korrekt? Du hast es getan!“ „Es sollte nach Weihnachten riechen!“, gab sie trotzig zurück. Und setzte ein „Sei mal ehrlich. Wenigstens ein Mal. Erinnert Dich das nicht auch so ein wenig an Deine eigene Kindheit?“ hintendran.

„Ja“, gab ich zu, „es erinnert mich sogar etwas zu sehr an meine eigene Kindheit. Meine Großmutter hatte auf ihrer Toilette nämlich Tannennadelduftspray und immer, wenn wir Kinder dort defäkierten, stürzte die gute alte Großmutter nach uns in die Toilette, um jenen Duft zu versprühen. Es roch dadurch nicht nur nach Fäkalien, sondern tatsächlich so, als hätte jemand in den Wald gekackt. Schön, dass Du mir diese Erinnerung an Weihnachten zurückgebracht hast. Und Dank an meine Großmutter für die wunderbare Bescherung. Und zwar eines frühkindlichen Traumas. Und Dir, dass Du das zurückgeholt hast. Ich feiere heuer Weihnachten in der olfaktorischen Atmosphäre der Toilette meiner toten Oma. Herzlichen Dank!“ 

Nächstes Jahr hole ich mir dann doch lieber eine gemeuchelte Nordmanntanne. Oder reise mit dem Chinesen nach Hawaii. Ich wäre besser gleich ehrlich gewesen.

(Mehr Duftproben des Autors finden sich unter www.politticker.de )

Foto: Bundesarchiv/ Mehmet Sonal CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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herbert binder / 23.12.2019

Warte, warte nur ein Weilchen, bald steht Weihnachten ins Haus, und mit Axt und Beilchen erLEIDet Tanne den Garaus. Besinnen wir uns - wenn nicht ich, wer sonst…nee, Moment…wenn nicht jetzt, wann dann - doch wieder auf das Natürliche, vulgo: die artgerechte Haltung. Geben wir also gerade diesem Baum zurück, was des Baumes ist: sein Stand(es)recht. Wir müssen uns nicht die ganzen Wälder ins Haus holen - und das Fest kann dennoch und durchaus, vielleicht sogar dann erst recht, weihevoll begangen und ersungen werden. O du fröhliche…

S. v. Belino / 22.12.2019

Nachdem der verbale Krieg zwischen meiner Schwester und mir um die optimale “Belichterung” schon vor einigen Jahren von mir gewonnen wurde (ha, jetzt nimmt auch sie elektrische Kerzen her), tobt der Baumkrieg zwischen uns noch an allen Fronten. Wobei meine liebe Schwester eine Verfechterin der natürlich gewachsenen Tanne ist, während ich mich schon vor ein paar Jahren zugunsten einer täuschend ähnlichen Kunststoff-Imitation entscheiden habe. Allerdings musste ich, allen Annahmen zum Trotz, erstaunt feststellen, dass auch das fernöstliche Grün (“Grown in China) einen kleinen Teil seiner Nadeln verliert (gezielt abwirft?). Wie entzückend! Denn - ist es nicht gerade dieser clevere Trick, mit welchem die genial vorgetäuschte Echtheit des “Baumes fürs Leben” irritierend gekonnt in Szene gesetzt wird? - Wie auch immer, erst mal Frohe Weihnachten allerseits. Und das In der Gegenwart welches Bäumchens auch immer.

Ilona Grimm / 22.12.2019

Ach, Herr Schneider, ich liege vor Lachen unter meinem dezent nach Weißtannen-Öl (biologisch!)  duftendem und absolut echt aussehendem, mindestens zehn Jahre alten künstlichem Baum. Hat noch keiner je gemerkt, dass er nicht echt ist, weil er jedes Jahr anders aussieht. Frohe Weihnachten Ihnen, Ihrem Schatz, der Frucht fremder Lenden - und allen Achsianern (Autoren, Foristen, Nur-Lesern). Und ein 2020, in dem wir unseren Politversagern weiter einheizen - bis die Raute des Schreckens ohne Zittern in Kuba oder Venezuela angekommen ist.  (Man wird ja noch träumen dürfen…)

Wilfried Düring / 22.12.2019

‘Beschaffungs-Kriminalität’ ist noch niemals so witzig, so liebevoll und so sinn-entstellend definiert worden, wie in diesem Beitrag. Ich habe herzlich gelacht. Danke und Frohe Weihnachten!

Thomas Taterka / 22.12.2019

Es gab 1 Weihnachten, an dem Weihnachten einem EGAL war : der Baum, das Fressen, die Rituale, die Familie, die Politik ( das Klima sowieso ), der ganze bescheuerte Kram. Es war das einzig wahre Weihnachten, das Weihnachten, an dem man seinen ” Schatz ” gefunden hatte und in ihn verliebt war. Und meiner Meinung nach ist das auch die Botschaft dieses Aufrührers, der im Stall geboren wurde. Alles andere ist Einübung ins Vergessen. Weil er sich geweigert hat, dabei mitzumachen, haben sie ihn ans Kreuz genagelt. Welche Dummheit.

Steffen Rascher / 22.12.2019

Nö -  kommt mir nicht ins Haus. Aber ich habe bei „Wir sind Steimles Welt“ und „Klimafragen.org“ unterschrieben, an Tichy, Lengsfeld und die Achse gespendet. Vielen Dank an alle die hier kämpfen. Jetzt muss ich noch die GEZ anschreiben und Steinhöfels geniale Aktion unterstützen. Fertig machen zum Gegenangriff. Der Tannenbaum kann im Wald warten.

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