Endlich: Es wird wärmer. Die hübschen Mädchen tragen leichtere Bekleidung und im städtischen Stau stehen Scharen von schicken Cabriolets. Das eine war schon immer so, das andere ist eine relativ neue Entwicklung. In unserer Jugend kannten wir Cabriolets meist nur aus Film und Fernsehen, wo erfolgreiche Vertreter des Wirtschaftswunders hinterm Steuer saßen. Cabriolets waren mondän.
Inzwischen geht es mit ihnen ein wenig bergab - oder auch bergauf. Es kommt ganz auf den Standpunkt an. Anhand des Cabriolets lässt sich etwas über den Wandel von Problemen der Knappheit in Probleme des Überflusses lernen. Während einst allenfalls Unternehmer-Gattinnen oder Chefärzte offene Autos chauffierten, tun dies heute Hinz und Kunz. Versuche der Individualisierung enden so regelmäßig in einer Massenbewegung.
Knapp ist nur noch der Parkplatz. Die Parkplatz-Armut in Deutschland steigt unentwegt an, besonders in guten Lagen, wo man gesehen wird. Cabriolets veranschaulichen wie Bräuche und Produkte fast zwangsläufig die Statusleiter hinabwandern. Das ging dem einstigen Luxus-Lebensmittel Lachs genauso wie dem Mobiltelefon, das sich am Anfang allenfalls der Jet-Set leisten konnte.
Nennen wir es mal den ersten Hauptsatz der Status-Dynamik: Der Status einer Sache verliert mit wachsender Verbreitung immer mehr an Wert. Seit sich gebrauchte Cabriolets viele leisten können, entstehen für die Besitzer neue Probleme. Bisher haben sie sich Gedanken darüber gemacht, ob das Auto ihren Ansprüchen genügt. Jetzt lautet die Frage umgekehrt: Genügen sie den Ansprüchen ihres Autos? Man sollte jung und dynamisch ausschauen, doch das tun nun mal die wenigsten.
Auch auf dem Felde des Sports zeigt der Massenwohlstand Wirkung. Wollte die High Society früher bei der Leibesertüchtigung unter sich bleiben, war der Tennisclub oder der Reitverein ein sicheres Refugium. Normale Sterbliche trauten sich da nicht hin. Inzwischen wird nach Reiten und Tennis sogar das Golfspielen vom gemeinen AOK-Mitglied erobert. Der Elite bleibt vorläufig nur noch Reiten plus Golf. Sprich: Polo.
Weniger sportliche Mitglieder der besseren Kreise begaben sich bis vor kurzem auf eine Kreuzfahrt, um sich vom gemeinen Volk zu absentieren. Doch auch das ist vorbei. Bei Aldi und Lidl fallen uns ständig Prospekte in die Hände, die zeigen, dass auch diese Inkarnation des Luxus sich den normal verdienenden Massen geöffnet hat. Schiffe mit beziehungsreichen Namen wie „Aida“, „MSC Poesia“ oder „Jewel of the Seas“ buhlen („schon ab 399 Euro die Woche“) um das Publikum. Eine riesige Armada von Kreuzfahrt-Riesen schippert Otto-Normalverbraucher auf „Celebrity Cruises“ über die Meere. In den Häfen gibt es daher ein Problem, das wir vom Cabriolet-Fahren bereits kennen: Parkplatznot. Möglicherweise ist der Wohlstand der Massen eben doch unaufhaltsamer als ihre Armut.
Erschienen in DIE WELT, 26.03.2010