Henryk M. Broder / 01.05.2007 / 16:49 / 0 / Seite ausdrucken

Regina Mönch: Verschleiertes Weltbild

Wieviel akademischen Unverstand braucht man, um die Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll mit der Erfindung des zweiteiligen Badeanzugs in einen kausalen und funktionalen Zusammenhang zu bringen?  Christina von Braun und Bettina Mathes, zwei deutsche Kulturwissenschaftlerinnen, schaffen es mühelos. Nebenbei erklären sie auch, warum es notwendig ist, kleine Mädchen vor den “kopulierenden Blicken” ihrer männlichen Mitschüler zu schützen.
Woher die beiden Damen, die übrigens unverschleiert herumlaufen,  ihre Weisheiten haben, bleibt unklar. Kann sein, dass sie zur Zeit der Talibanherrschaft ein wenig in Afghanistan recherchiert haben.
Regina Mönch rechnet in der FAZ mit den Kopftuch-Amazonen ab:

Verschleiertes Weltbild
Bitte nicht übers Kopftuch klügeln!

Die Fronten sind von Anfang an klar: Der Schleier schützt, die westliche Frau aber wurde entblößt und damit schutzlos den Blicken lüsterner Männer ausgeliefert - ein “sündiger Akt” aus islamischer Sicht, der einer “Kopulation mit dem Auge” gleichkomme. Die beiden Gender-Forscherinnen Christina von Braun und Bettina Mathes erzählen in ihrem Buch “Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen” (Aufbau Verlag, Berlin 2007. 476 S., geb., 24,90 [Euro]) die Geschichte des muslimischen Schleiers neu. Für sie ist es keine Geschichte der Unterdrückung der Frau in islamischen Gesellschaften, sondern die der westlichen Frau, die bei uns verdrängt und deshalb auf die Muslima projiziert worden sei. Kopftuchgegner würden demnach nur das abgespaltene Eigene im anderen, im Orient suchen.

Eine psychoanalytisch aufgeladene Sprache ersetzt den Autorinnen Theorie und Methode, stattdessen durchzieht ein grundsätzliches Missverständnis, wahrscheinlich aber Unverständnis ihr verschlungenes Argumentationslabyrinth: Sie können oder wollen sich nicht vorstellen, dass unter den Kopftüchern deutscher, französischer oder niederländischer Musliminnen auch Unfreiheit herrscht. Dass man Tausende und Abertausende von ihnen gezwungen haben könnte, sich einem Sittenkodex zu unterwerfen, der im freiheitlichen Westen nicht nur von Alice Schwarzer abgelehnt wird. Die pakistanische Burka-Brigade der Roten Moschee in Islamabad oder die Tugendwächter in Iran, die soeben wieder mit Folter, Umerziehung und Verfolgung Angst und Schrecken verbreiten, die wissen es besser. Sie schwingen darum ihre Bambusstöcke und Peitschen gegen alle, die anders leben wollen, sich anders kleiden als sie, die ihr Gesicht verbergen unter der “schützenden” Burka oder dem Tscharschaf. Die Bilder von brutalen Prügelszenen und willkürlichen Verhaftungen gingen gerade erst um die Welt. Und auf die Straße gingen dort, wo der Schleier genau das ist, was die politische Kopftuchdebatte meint, die Frauen. Barhäuptig und verzweifelt skandieren sie gegen die Gotteskriegerinnen und die Sittenpolizei: “Dieses Land gehört uns!” und “Stoppt den Terror der Mullahs!”.

Die Schleier-Kulturgeschichte von Braun und Mathes wäre ein süffiges Buch, angereichert mit pathetischen Einlagen und interessanten Anekdoten über Atombomben und Bikini-Atoll, entblößende Bikinis und Atombusen, das Kopftuch von Grace Kelly oder das Regentuch von Frauen, die sich damit der Bevormundung durch den panoptischen Blick im öffentlichen Raum des fünfzehnten Jahrhunderts listig widersetzten. Und es ginge noch an, wenn sie einige Geschichtsvergessene nur daran erinnern wollten, dass Kopftuch und Geschlechtertrennung früher auch in Europa für Sitte und Ordnung standen. Aber ihre These, nach der die “Wahrnehmung des muslimischen Schleiers offensichtlich im Kontext der Nicht-Wahrnehmung des westlichen Kopftuchs” geschehe, erinnert ein wenig an die Klügeleien, die man bei manchen Einserschülern beobachten kann: Unbeeindruckt von den Tatsachen meinen sie, alle Welt müsste ihnen in jeden ihrer abseitigen Einfälle folgen. In diesem Sinne darf das Buch “Verschleierte Wirklichkeit” als Ausweis des verschleierten Weltbilds seiner Autorinnen gelten.

Die beiden Verfasserinnen wollen ohnehin mehr, sie meinen ihre Apologie des Schamtuchs politisch und betonen dies unermüdlich, inklusive eines irritierenden Verständnisses für die Empörung über die “Verunglimpfung des Islams” wegen der Mohammed-Karikaturen, deren inszenierter Kampagnencharakter ihnen bis heute nicht klargeworden ist. Sie machen Alice Schwarzer genauso nieder wie Angela Merkel; die eine, weil sie die Trennung von Staat und Religion als Errungenschaft der Aufklärung verteidigt, die andere, weil sie ihr Leitkulturzwang unterstellen, der ihnen aber für islamische Länder totalitärer Ausprägung keinen Nebensatz wert ist.

Braun und Mathes wollen die politische Debatte um den Islam hierzulande umdeuten in eine der Ignoranz vor großen Kulturleistungen des Orients, sie lassen nur stolze Kopftuchträgerinnen zu als Kronzeuginnen ihrer Behauptungen und übersehen, wie höhere Töchter, die anderen. Die kleinen Mädchen, die inzwischen unter das Kopftuch gesteckt und von Sexualkundeunterricht, Klassenfahrten und Schwimmen ausgeschlossen werden, wohl um sie vor den “kopulierenden Blicken” ihrer kleinen männlichen Klassenkameraden zu schützen. Das Buch konterkariert Klitorisbeschneidung mit Schönheitschirurgie, Ehrenmorde aus Kalkül mit tödlichen Eifersuchtsdramen im Affekt. Ihre Entrüstung über den Kapitalismus und seine abgefeimte Männerideologie erreicht Höchstform, wenn sich die Autorinnen über Kritik an Zwangsheiraten muslimischer Frauen mokieren und ein vermeintliches Schweigen zum Frauenhandel in Europa und dem Sextourismus als Anklage dagegenhalten.

Überhaupt wird alles ignoriert, was Eigensinn und Emanzipation in Europa hervorgebracht haben. Genausowenig erfahren wir in diesem Buch, was es denn ist, das so viele Menschen aus dem Orient immer noch in den Okzident zieht. Das Buch ist ein Manifest philologischer Verstiegenheit: Es häuft kulturgeschichtliche Belege für die Schönheit des Schleiers in West und Ost und redet auf diese Weise wortreich am Thema vorbei. Wenn in Europa ernsthaft über den Islam gestritten wird, geht es nicht um Glaubensverbote für Minderheiten oder die Kleiderordnung, sondern einzig allein um die Unteilbarkeit der Menschenrechte, die mit der islamischen Scharia und ihren Vorschriften unvereinbar sind.

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