Deutsche Meinungsbildner und Politiker nannten sie gern eine "Postfaschistin", die im Herbst 2022 ins Amt gewählte italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Das müsste ihnen jetzt mehr als peinlich sein, denn sie macht einfach eine Politik, die Italien mehr Stabilität gibt, als es die deutsche Regierung daheim vermag.
Giorgia Meloni liegt mit ihrer Partei, den Fratelli d' Italia, seit ihrer Wahl im September 2022 in den Umfragen stabil mit knapp 30 Prozent weit vor allen anderen Parteien, die Regierung insgesamt hat eine Zustimmung von fast 50 Prozent. Die stärkste Oppositionspartei, der Partito Democratico, wird von Elly Schlein ins woke Abseits geführt und rutscht mit jetzt 18 Prozent unter das Wahlergebnis.
Migration: Auswege?
Diese Stabilität kann Meloni durchaus als persönliches Verdienst verbuchen. Ihre Wählerschaft scheint eine Art Grundvertrauen in sie zu haben, obwohl sie ein zentrales Wahlversprechen bisher nicht wirklich hat halten können: Die illegale Migration hat sich in diesem Jahr im Verhältnis zu 2022 nahezu verdoppelt. Die Kritik daran in den sozialen Medien wächst, aber letztlich hält man Meloni zugute, dass sie im Rahmen begrenzter politischer Möglichkeiten immer wieder Initiativen startet, die das Problem lösen sollen.
Die letzte dieser Initiativen ist die Vereinbarung mit dem albanischen Ministerpräsidenten über den Bau zweier Aufnahmezentren in Albanien. Dort sollen ab dem Frühjahr Migranten aufgenommen werden, die von der italienischen Küstenwache im Mittelmeer an Bord genommen worden sind. Die Asylverfahren sollen nach europäischem Recht von Italien durchgeführt werden; natürlich zahlt Italien für die Zentren, in denen bis zu 30.000 Migranten unterkommen sollen.
Diese Aufnahmezentren können keine Hochsicherheitsgefängnisse sein. Was passiert also, wenn Asylanträge abgelehnt werden oder Migranten wissen, dass ihre Anträge aussichtslos sind. In Süditalien haben Migranten gegen eine geschlossene Unterbringung geklagt und recht bekommen. Danach sind sie untergetaucht. Es könnte sich von den albanischen Zentren aus eine neue Balkanroute etablieren, an Italien vorbei direkt nach Mitteleuropa, für Italien zumindest eine vorteilhafte Teillösung.
Auch Italien ist nach dem 7. Oktober von palästinensischen Sympathie-Demonstrationen heimgesucht worden. Die 92-jährige jüdische Schriftstellerin Edith Bruck, eine Auschwitz-Überlebende, eher der politischen Linken zuzuzählen, hat angesichts des von Migranten importierten und genährten Antisemitismus ihre Position geändert:” Ich war immer dafür, die Migranten aufzunehmen, jetzt denke ich nicht mehr so – je mehr kommen, desto mehr Antisemitismus bringen sie mit. Ich kann nicht mehr sagen: Lasst sie herein”.
Patriarchat: es war einmal
Die 22-jährige Giulia Cecchettin ist von ihrem Verlobten, den sie verlassen wollte, umgebracht worden. Ein Fall für die sogenannte Cronaca nera, ein Fall von Eifersucht, Verlassensängsten, Gekränktheit, ein psychopathologischer Fall, individuell aber leider nicht einzigartig. Die Linke in Italien nutzt ihn politisch. Schuld mag zwar der Mörder sein, aber für linke, speziell feministische, Gesellschaftskritiker ist das zu kurz gegriffen: ”Non e un caso isolato, la colpa e dell patriarcato...“ (Das ist kein Einzelfall, schuld ist das Patriarchat…) skandieren Demonstranten. Nun gibt es sicher patriarchalisch geführte Familien in Italien (die des Mörders gehörte anscheinend nicht dazu), aber die italienische Gesellschaft als Ganzes als patriarchalisch zu definieren, ist soziologisch absurd. Dazu eine andere italienische Schriftstellerin, Susanna Tamaro: ”Wir sind die glücklichsten Frauen der Erde, wir haben eine Situation großer Freiheit, verglichen mit anderen.” Wenn man in italienische Familien hineinschaut, hat man ohnehin eher den Eindruck einer matriarchalischen als einer patriarchalischen Struktur.
Aus einer Demonstration am Vorabend des 25. November (UN-Gedenktag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen) – Teilnehmer sind u.a. die Vorsitzenden des PD, der 5Sterne und Gewerkschaften – löste sich eine radikale Gruppe, um zum Sitz von Pro Vita&Familia zu ziehen. Die Demonstranten warfen Scheiben ein, beschmierten die Fassade, und ein Molotow-Cocktail – in die Büros geworfen – hätte das Gebäude in Brand gesteckt, wenn er denn explodiert wäre. Die Schäden wurden von der römischen Stadtverwaltung noch in der gleichen Nacht beseitigt, eine Stellungnahme gab es weder vom römischen Bürgermeister noch von einem der Vorsitzenden der linken Parteien, die an der Demonstration teilgenommen hatten.
Bei der Demonstration ging es nicht wirklich um einen Kampf gegen das Patriarchat, sondern um die italienische Version des Kampfes gegen rechts. Das Patriarchat ist die argumentative Brücke: Patriarchen sind konservativ, damit rechts, und schon trägt die Regierung die politische Verantwortung für den Mord an Giulia. Der Kampf gegen “Faschismus” ist in Italien eines der ideologischen Vehikel des Kampfes der Opposition gegen die Regierung, in Deutschland ist es beim Kampf gegen Rechts umgekehrt.
Covid: die Aufarbeitung
Anfang Juli des Jahres ist vom italienischen Parlament mit den Stimmen der Regierungsmehrheit und unter Protesten der Opposition eine Kommission eingesetzt worden, die das Verhalten der Regierung bei der Bekämpfung der “Pandemie” aufarbeiten soll. Verita, verita… riefen die Abgeordneten der Mehrheit nach der Abstimmung. Die Kommission ist für die gesamte Legislaturperiode eingesetzt und soll die Effizienz, Angemessenheit und Rechtsstaatlichkeit der Regierungsmaßnahmen bewerten. Mit ersten Ergebnissen wird man allenfalls Mitte 2024 rechnen können.
Begonnen hat aber eine andere Form der Aufarbeitung. Es gibt mittlerweile eine Fülle von Urteilen der Justiz, welche Strafmaßnahmen aufheben und den Verurteilten Entschädigungen zusprechen. Genannt sei die Geschichte eines jungen Mannes, ein Corona-Positiver, der gegen die Quarantäne-Regeln verstoßen hatte. Er hatte am Gottesdienst und der Beerdigung seiner Freundin teilgenommen und war denunziert und damals verurteilt worden. Das Urteil wurde im Frühjahr von einem Gericht in Lucca aufgehoben: Was einmal Stoff für die Tragödie Antigone war, ist in unseren Tagen zur Farce einer durchgeknallten Obrigkeit herabgesunken.
Hermann Schulte-Vennbur, geb. 1952, Studium der Soziologie und Philosophie in Bonn, Bielefeld und Bologna. Promotion zum Dr. rer.soc. in Bielefeld. Nach dem Studienjahr in Bologna bis heute regelmäßige und längere Aufenthalte in Italien, Beschäftigung mit ital. Politik und Kultur. 2020 Veröffentlichung von „Ein Weg nach Rom“ (Amazon Verlag, auch E-Book). Beruflich lange Zeit in der Politikberatung tätig, u.a. als Referent für Heiner Geißler, später Interessenvertretung und politische PR- Beratung für Unternehmen. Ab 2008 Ausbildung zum Coach und Therapeuten. Heute Praxis für Coaching & Psychotherapie in Hennef (Sieg).