Dirk Maxeiner / 01.06.2007 / 10:02 / 0 / Seite ausdrucken

Lizenz zum Nichtstun

Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 1.06.2007

Politik und Pop sind sich noch nicht ganz einig, ob beim kommenden G8-Gipfel in Heiligendamm nun das Klima ganz oben auf der Agenda stehen soll, oder lieber Afrika. Da liegt es nahe, beide Probleme miteinander zu verknüpfen. In Sachen höherer Moral kann dann nichts mehr schief gehen. Javier Solana, Beauftragter für die EU-Außenpolitik, und Bob Geldof, Beauftragter für Afrika-Openairkonzerte, hatten deshalb einen Geistesblitz. “Darfur ist der erste Konflikt, zu dessen Ursachen im weiteren Sinn auch der Klimawandel zählt “, meint Herr Solana. Und Herr Geldof findet: „Die sich ausbreitende Wüste hat mit für den Völkermord gesorgt, der jetzt schon 200.000 Tote forderte“.

Die beiden Aussagen erklären einiges. Wenn auch nicht alles: Warum findet in der Wüste Gobi kein Völkermord statt? Warum werden die australischen Ureinwohner nicht ausgerottet? Und wie war das in der Vergangenheit? Vor 1940 sind die Temperaturen doch ähnlich schnell angestiegen wie heute. War die globale Erwärmung im weiteren Sinn vielleicht schon für den zweiten Weltkrieg verantwortlich?

Wir erinnern uns noch ganz gut an die Zeit, als das „System“ für jegliches individuelle und kollektive Fehlverhalten verantwortlich gemacht wurde. Gemeint war das Wirtschaftssystem. Jetzt ist das Klima an allem schuld. Die Kausalkette zwischen Treibhauseffekt und Völkermord ist äußerst anspruchsvoll, weshalb schlichtere Gemüter davor kapitulieren. Zum Beispiel George Bush, der Anfang der Woche die amerikanischen Sanktionen gegen die Regierung in Kartum verschärfte: „Die Vereinigten Staaten werden ihren Blick nicht von einer Krise abwenden, die das Gewissen der Welt herausfordert.“ Sudans Regierung sei „mitschuldig an der Bombardierung, Ermordung und Vergewaltigung unschuldiger Zivilpersonen.“ Der amerikanische Präsident kann sich offenbar nicht vorstellen, dass seine Unterschrift unter das Kyoto-Protokoll aus den sudanesischen Mörderbanden friedliebende Sozialarbeiter machen würde. Zum Glück.

Mehr und mehr bildet sich auf der Welt ein Klima-Determinismus heraus, der für seit Langem bekannte Missstände eine bequeme neue Begründung liefert. Die Klimakatastrophe als Ausrede für staatliches oder gesellschaftliches Versagen ist ganz groß im Kommen. So haben die kanadischen Inuit eine deutlich geringere Lebenserwartung als die übrigen Bewohner des Landes, sechs mal so häufig Tuberkulose, die Arbeitslosigkeit ist viermal so hoch, der zahlreiche Nachwuchs erreicht selten eine höhere Schulbildung. Alkoholismus, Depression und Gewalt sind an der Tagesordnung - und dies schon seit Jahrzehnten. Keine ethnische Gruppe in der ganzen westlichen Welt hat eine so hohe Selbstmordrate wie die Inuit. Die Gründe dafür sind vielschichtig, vor allem ist es nicht gelungen, den jungen Ureinwohnern eine vernünftige Ausbildung und Perspektiven zu geben. Doch anstatt über sozial- und strukturpolitsiche Versäumnisse zu reden, zeigen die Verantwortlichen lieber auf den Klimawandel. Der Niedergang der Inuit-Kultur begann jedoch, lange bevor die Temperaturen anstiegen.

Auch die sozialen Missstände, die im heißen Sommer 2003 viele tausend alte Franzosen das Leben kosteten, waren seit Langem bekannt. 80 Prozent der französischen Altenheime litten unter eklatantem Personalmangel, der sich in den Urlaubsmonaten noch verstärkte. Nicht die Hitze an sich, sondern die absolut unzureichende Betreuung führten zum Tod. Hinzu kamen allein lebende alte Menschen, die von ihren urlaubenden Angehörigen ohne Betreuung zurück gelassen wurden. Das waren keine Klimaopfer, sondern Leidtragende von ganz konkreten Missständen. Diese müssen hier und heute gelöst werden - und nicht in einhundert Jahren auf dem Umweg über den Klimaschutz.

Das Bestreben von Medien und Aktivisten, die Klimaerwärmung zu dramatisieren, führt so zur Verharmlosung und Vertuschung der tatsächlichen Probleme. Und zum Nichtstun. Was will man machen, wenn das Klima am Völkermord schuld ist.

 

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