Wenn ein Riese nach langem Schlaf ein Augenlid hebt, kann das durchaus dynamisch wirken. So verhält es sich in Nahost. Es scheint sich eine Menge zu bewegen, obwohl sich nichts bewegt. Am Montag berichtete die israelische Zeitung “Haaretz” über den Auftritt von Verteidigungsminister Amir Peretz auf einer Konferenz in Herzlija. “Jeder palästinensische Repräsentant, der Israel anerkennt, ist für mich ein Partner, auch wenn es sich um Hamas handelt”, sagte der Minister. Weicht da ganz sachte eine Position auf? Oder hält Peretz nur fest, was ohnehin klar war - und zudem hypothetisch? Bisher macht die Hamas keine Anstalten die Vorbedingung zu erfüllen, Israel anzuerkennen.
Zeitgleich tagten in Damaskus der palästinensische Präsident Mahmud Abbas und der Exil-Chef der islamistischen Hamas, Chaled Maschaal. Sie wollen wieder über etwas sprechen, was seit Monaten vergeblich verhandelt wurde: eine palästinensische Einheitsregierung. Neue Einsicht angesichts der erbitterten Kämpfe, die sich die beiden Fraktionen in den letzten Wochen geliefert hatten? 80 Prozent aller Palästinenser haben laut einer am Montag veröffentlichen Umfrage des “Palästinensischen Zentrums für öffentliche Meinung” Angst um ihre Sicherheit. Die Schuld geben sie der eigenen Regierung. 76 Prozent sagen, die Sicherheitslage sei schlechter geworden, seit die Hamas 2006 an die Macht kam. Würde heute gewählt, lägen Ministerpräsident Ismael Hanija und seine radikal-islamische Bewegung mit 26 Prozent Zustimmung hinter Abbas, der auf 35 Prozent kommt. Auf Platz drei liegt der wegen Mordes in israelischer Haft sitzende Marwan Barghouti. Er ist ein Intellektueller, aber auch ein Planer der “Terrorintifada”, die ab Herbst 2000, zur Lage in Nahost entscheidend beitrug - und damit zur Lage der Palästinenser.
Ohne Widersprüche ist in der Region keine Entwicklung, aber Entwicklungen sind erkennbar. Mitte Dezember wurde Hanija mit arabischen und iranischen Spendenmillionen für die Hamas an der Grenze gestoppt. Stattdessen überweist Israel 76 Millionen Euro ausstehende Steuern an Abbas. Die EU stützt den Präsidenten, die USA ebenso, demnächst gar mit Waffen für seine Garde. Und Maschaal kann sich plötzlich einen Palästinenserstaat mit provisorischen Grenzen vorstellen. Abbas lehnt das ab aus Angst, Gebiete für immer zu verlieren, die er provisorisch Israel überlässt.
Wer ist der Pragmatiker? Beide Positionen haben ihre Logik. Da Abbas wohl ernsthaft einen palästinensischen Staat an der Seite Israels anstrebt, muss er hart verhandeln. Sonst kann ein unerwünschtes Provisorium zur Dauerlösung werden. Das Hamas-Programm zur Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft dagegen ist unabhängig vom rechtlichen Status des Gebiets. Und da Hamas den Palästinenserstaat bis auf weiteres nur als Operationsbasis für den Sieg über Israel benötigt, sind Grenzen zweitrangig.
Dass sich etwas bewegt in der Region, ist offensichtlich. Aber ob es wirklich der Riese namens Friedensprozess ist, der seine Augen aufschlägt?
Analyse im Kölner Stadt-Anzeiger, 23.1.07