Verkehrsminister Ramsauer fordert die Helmpflicht für Radfahrer. Begründung: Derzeit würden nur neun Prozent der bundesdeutschen Velozipisten mit einer Plastikschüssel auf dem Kopf herumfahren, gleichzeitig starben im vergangenen Jahr über 300 Radler. Nun könnte man sachlich bleiben und den Minister mit ein paar Tatsachen erfreuen. Zum Beispiel jener, dass die Verunglücktenzahlen der Radfahrer seit Jahren überproportional sinken. Oder jener, dass Helmpflicht zu steigenden Unfallzahlen führt, wie in Australien zu beobachten ist. Oder jener, dass der Unfälle verhindernde Helm noch gar nicht erfunden wurde.
Aber Fakten behindern nur den Meinungsbildungsprozess. Also an dieser Stelle stattdessen nur ein Wunsch: Stellen Sie sich bitte auch den anderen Gefahrenherden unserer mobilen Gesellschaft, Herr Minister! Über die Hälfte aller 2010 auf deutschen Straßen Verunglückten waren Autofahrer: Könnten hier nicht Helme Wunder wirken? Innerhalb großer Städte liegen indes die Fußgänger bei den Unfallzahlen ganz vorne. Helmpflicht? Zudem ist die Sichtbarkeit dieser Verkehrsteilnehmer gerade nach Einbruch der Dunkelheit schlecht: Wäre es nicht sinnvoll, über die allgemeine Einführung einer Warnwestenpflicht nachzudenken? Und wie ist es mit den Motorradfahrern? Noch immer verunglücken einige von ihnen schwer – trotz Helms. Eine Verpflichtung zum Anlegen einer EU-zertifizierter Schutzkleidung liegt nahe!
Denken Sie auch ruhig einen Schritt über die Grenzen Ihres Ministeriums hinaus! Denken Sie an Skateboardfahrer, schwindelgeplagte und sturzgefährdete Rentner und nicht zuletzt an Arbeitsschutzmaßnahmen. Warum wird Raumpflegerinnen verwehrt, was Bauarbeitern zusteht? Ein Helm. Immerhin passieren die meisten Unfälle im Haushalt.
Mit Tabus kommen wir bei einem so wichtigen Thema wie der Sicherheit nicht weiter, Herr Ramsauer. Ihre Neun-Prozent-Angabe hat uns mit Erschrecken feststellen lassen, dass das richtige Sicherheitsbewusstsein noch immer nicht auf allen Köpfen angekommen zu sein scheint. Hier ist dringend Nachhilfe erforderlich!
Bitte überlassen Sie eine so wichtige Entscheidung wie das Anlegen eines Helmes nicht der eigenen, oftmals kleingeistigen Einschätzung des Bürgers. Stattdessen ist eindeutig der Staat in der Verantwortung! Lassen Sie sich auch von Fakten nicht einschüchtern, Herr Minister, und gehen Sie mutig voran auf Ihrem Weg zu mehr Gefahrenbewusstsein. Die Helmpflicht für Radfahrer kann nur ein erster Schritt sein: Lassen Sie uns gemeinsam mehr Bevormundung wagen!
Dr. Emma Finkelstein ist Chefredakteurin der “radzeit”, herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, ADFC. Sie fordert u.a. härtere Strafen für das Zuparken von Radwegen