Antje Sievers / 26.07.2019 / 10:00 / Foto: Achgut.com / 62 / Seite ausdrucken

Flüchtlingsidyll mit bunten Kopftüchern

„Geschichte wiederholt sich, wenn wir nicht daraus lernen“. Der uns das sagt, ist Hussam Al Zaher, Chefredakteur des Magazins „Flüchtling“ und 2017 „Hamburger des Jahres“ im Stadtmagazin „Szene“.

Hussam Al Zaher verließ Syrien 2014, weil er nicht zur Armee eingezogen werden wollte und hielt sich danach ein Jahr in Istanbul auf, was ihn zu einem Auswanderer, nicht aber zu einem Flüchtling macht.

Und was will uns Hussam Al Zaher damit sagen?

Etwa folgendes: Wenn Deutschland weiterhin Waffen in Konfliktgebiete liefert, den „Friedensprozess“ in Nahost nicht unterstützt; wenn Deutschland sich weigert, Schlepperbanden mit Kapitäninnen auf Selbsterfahrungsdampfern im Mittelmeer zu unterstützen und die Deutschen nicht endlich damit aufhören, sich über Kopftuchtragende Musliminnen aufzuregen, dann wird sich unsere Geschichte wiederholen. Adolf Hitler wird wieder Reichskanzler, von deutschem Boden wird wieder Krieg ausgehen und der FC St. Pauli wird Drittligaletzter.

Das Magazin „Flüchtling“, in einfacher Sprache gehalten, erzählt Erfolgsgeschichten von geflüchteten Menschen (ich lasse das jetzt mal undefiniert so stehen). So, wie von Omar, der jeden Tag acht Stunden Deutsch lernt und dann erschöpft ins Bett fällt; von Amman aus Eritrea, der beim lebensrettenden Sprint zum Schlauchboot zwar sein Hochschulzertifikat, nicht aber sein IPhone verloren hat und sogar von einem echten „Republikflüchtling“, denn natürlich sind wir alle ein bisschen Refugee.

Moralisch stark unterstützt wird das Blatt durch den Anzeigenkunden fritz-kola, dem politisch korrekten Zuckergesöff für den guten Deutschen, der zwar seine gesamte Kultur, Mode und Freizeitgestaltung den bösen USA verdankt, aber aus pseudointellektuellen Gründen auf den imperialistisch-monopolkapitalistischen Heuschreckentrank Coca-Cola verzichten muss.

Keine falschen Fragen

Fritz-kola gibt den Geflüchteten auf dem Flaschenetikett ein Gesicht, zum Beispiel dem kleinen Muhi aus Gaza. Muhi leidet an einer unheilbaren Krankheit, um derentwillen er seit vielen Jahren unentgeltlich in einem israelischen Krankenhaus behandelt wird. Damit er nicht so allein ist, darf auch sein Opa mit dabei sein. Warum fritz-kola diesen Fall als besonders dramatische Flüchtlingstragödie aufzeigt, hat sich mir bisher nicht erschlossen.

Im Interview mit der „Szene Hamburg" äußerte Al Zaher in Bezug auf die im „Flüchtling“ veröffentlichten Interviews völlig wahrheitsgemäß: „Wir stellen immer dieselben Fragen – spannend sind die unterschiedlichen Antworten.“

Spannend wären allerdings eher mal unterschiedliche Fragen. Zum Beispiel, warum mehrere weibliche Refugees erzählen, sie genössen es, endlich Fahrrad fahren und schwimmen gehen zu können. Da kann ich adäquat aushelfen: In den muslimischen Landstrichen dieses Planeten gilt Fahrrad fahren für Mädchen als hochgradig sittenwidrig, da dadurch ja das kostbare Jungfernhäutchen beschädigt werden könnte. Und was das wiederum für das Mädchen für üble Folgen haben könnte, darüber erfahren wir nichts. Auch nicht darüber, warum es für orientalische Frauen in ihrer Heimat fast unmöglich ist, mal irgendwo in Ruhe im Badeanzug schwimmen zu gehen.

Die Antwort ist die gleiche: Die Ehre der Umma, des Clans, der Familie, vor allem aber die Ehre der Männer stünde auf dem Spiel. Oder warum fragt man Omar und Amman nicht mal, was sie davon halten würden, wenn ihre Schwestern mit vierzehn Jahren die Pille nehmen und mit dem Sexualpartner ihrer Wahl schlafen dürften, so wie deutsche Mädchen? Wenn ich jetzt ganz böse wäre, würde ich schlicht behaupten: Man tut das aus gutem Grund nicht, weil man das kuchengute Flüchtlingsidyll nicht zerstören darf.

Das Cover von „Flüchtling“ ziert eine glücklich syrische Kleinfamilie. Die Frau trägt ein Kopftuch. Das ist immer gut, das Kopftuch. Bunt ist immer da, wo die Frauen verschleiert sind. Fürchterlich, was diese deutschen Weiber kopftuchtragenden Frauen immer für „dumme Fragen“ stellen! Aber immerhin, die blöden Deutschen sind lernfähig: „Im Winter sagen sie, sie wollen auch ein Kopftuch!“, konstatieren zwei syrische Schwestern im Interview. Na bitte, geht doch. Vielfalt ist immer da, wo Frauen Menschen zweiter Klasse sind.

Hitzschlag unter schwarzem Nylon

1986 rief der Deutsche Gewerkschaftsbund die Aktion „Mach meinen Kumpel nicht an!“ ins Leben. Es sollte eine Aktion gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sein. Doch damals gab es tatsächlich noch den einen oder andere Linken, der sich der uneingeschränkt verordneten Solidarität schlicht verweigerte. So hieß es damals aus taz-Kreisen: Ein Typ, der seine Frau und Kinder schlecht behandelt, ist nicht mein Kumpel.

Von den heutigen Linken, die Marx von Murks nicht unterscheiden können, kann man so viel gezielte Reflexion und Kritikfähigkeit nicht mehr erwarten. Der Grund dafür liegt in den neulinken Kardinaluntugenden Feigheit, Blödheit, Ignoranz und Toleranzbesoffenheit. Das Kopftuch ist toll, bunt, emanzipatorisch und vielfältig. Punkt.

Wenn ich jetzt im Hochsommer diese muslimischen Pärchen auf der Straße sehe, wo Er als europäischer, weltoffener Hipster in Shorts, Hilfiger-Shirt, Sandalen und Ray-Ban herumstolziert, während Sie unter fünf Meter billigem schwarzen Nylon dem Hitzschlag ausgesetzt wird, dann möchte ich als gute Alt-Linke dem Mann eigentlich nur noch ganz politisch unkorrekt einen großen Ziegelstein in die Fresse hauen.

Ich darf sowas sagen, ich komme aus der Arbeiterklasse. Bei uns Proleten wird Klartext geredet. Und, um es mal ganz offen zu sagen: Von unsolidarischen Handaufhaltern halten wir genauso wenig wie von Monopolkapitalisten.

Zuletzt von Antje Sievers erschienen: Tanz im Orientexpress – Eine feministische Islamkritik, mit einem Nachwort von Zana Ramadani, Hardcover/Klappenbroschur, 21,0 x 14,5 cm, Verlag Achgut Edition, ISBN 978-3-9819755-0-5, 17,00 €. Hier gehts zum Shop.

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Leserpost

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Dr. Johann Meyer / 26.07.2019

Amen! Und das wirklich ganz ohne Ironie!

Rudi Knoth / 26.07.2019

@Detlef Fiedler Meinte Sie den Artikel von Herrn Blume auf scilogs? Wobei nach seiner Theorie auch Venezuela nicht besonders demokratisch sein soll.

Nico Schmidt / 26.07.2019

Sehr geehrte Frau Sievers, vor Ihrem Temprament habe ich etwas Angst, sonst sind wir aber echt auf einer Wellenlänge. Das mit dem FC St. Pauli war aber ein bißchen gemein. MfG Nico Schmidt

L. Kempf / 26.07.2019

You made my day.

Detlef Fiedler / 26.07.2019

Hallo liebe Frau Sievers. Man sollte dem Herrn Hussam Al Zaher vielleicht einmal näherbringen, nicht immer ein und dieselben Fragen zu stellen. Anzuraten wäre hier dringend eine Konsultation mit Herrn Blume (siehe gestern auf der Achse). Der könnte ihm nämlich dezidiert bis ins Detail auseinandersetzen, welchen forcierenden Einfluss das Verbrennen fossiler Energieträger auf die Radikalisierung von Religionen hat. Gleichzeitig würde auch noch ein Gespräch mit Frau Dreyer (SPD) von Vorteil sein, welche den menschlichen Verbrauch von CO² energisch bestrafen möchte. Das passt dann schön zusammen, im Sinne des Weltfriedens. Herr Hussam Al Zaher könnte zudem einen Flyer in den infrage kommenden muslimischen Staaten verteilen, aus welchem hervorgeht, dass für das Hymen der werten Damen beim Fahrradfahren keinerlei Gefahr droht, solange man den Sattel nicht abschraubt. Die Menschen zweiter Klasse könnten dann nämlich ihrem Herrn und Gebieter in fünf Meter Abstand sowie in fünf Meter Stoff prima hinterradeln und bräuchten nicht mehr zu laufen. Ein echter Fortschritt! Ich darf sowas vorschlagen, ich bin nämlich der Sohn eines Proleten.

Michael Stoll / 26.07.2019

Seit wann sind Feigheit, Blödheit, Ignoranz und Toleranzbesoffenheit Kardinaluntugenden der “neuen” Linken ? Wobei der tolerante Neu-Linke, im Gegensatz zum pseudomoralbesoffenem Haltungsvorzeiger, eine ganz seltene Spezie ist. Anders gefragt, war der mit Sicherheit nicht feige, nicht blöde und nicht ignorante, dafür allseits beliebte Altkanzler Helmut Schmidt ein Linker ? Wenn ja, was wäre er Heute ? Ein Populist ? Oder Schlimmeres ? Gibt es einen"Rechtsruck” in der Gesellschaft, den die Feigen, Blöden und Ignoranten beklagen oder hat sich das gesamte Koordinatensystem in den letzten Jahren schleichend nach Linksaußen (=Rechtsaußen, ist für mich dasselbe) verschoben und die Leute fangen jetzt an, dieser Ecke zu entfliehen ? Für mich war Helmut Schmidt der beste Bundeskanzler, 2013 habe ich noch mit ganz ruhigem Gewissen Frau Merkel gewählt, aber wenn es die AfD nicht geben würde, könnte ich heute nicht mehr zur Wahl gehen, weil ich meine Stimme keiner Partei gebe, die dieses wunderbare Land an die Wand fährt. Ich bin mit Sicherheit kein Nazi, war kein Nazi und werde nie einer sein.

Karin Krause / 26.07.2019

Wie geil! Ich darf das sagen (Jahrgang 1961) und das es mich ankotzt , als Deutsche immer auf die Nazizeit reduziert zu werden. Das ist Diskriminierung!! Wissen diese Typen überhaupt genau, was in dieser Zeit und auch davor abgelaufen ist ?              Sie plappern einfach alles nach.

Volker Kleinophorst / 26.07.2019

Chapeau Frau Sievers: “Von unsolidarischen Handaufhaltern halten wir genauso wenig wie von Monopolkapitalisten.” Wobei Monopolkapitalisten gemeinhin Arbeitsplätze schaffen. Vielleicht brauchen wir ein neues “Mach meinen Kumpel nicht an”. Umgeframt: “Mach mich nicht an.”  Subtext: “Sonst gibts was auf die Fresse.” Kein Aufruf zur Gewalt nur ein A. Nahles Zitat. Kahane kannst dich wieder hinlegen.

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