Joachim Nikolaus Steinhöfel / 13.04.2018 / 06:20 / Foto: Pixabay / 25 / Seite ausdrucken

Etappensieg gegen die Facebook-Zensoren

Wenn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Netz-DG) ein Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit in Deutschland ist, dann könnte der Beschluss 31 O 21/18 des Landgerichts Berlin so etwas wie das Gegengift sein. Erstmals stoppt ein deutsches Gericht die täglich massenhaft vorkommenden Löschungen legitimer Inhalte bei Facebook. Eine Entscheidung, die ganz erhebliche nationale und internationale mediale Resonanz verursachte (siehe hier, hier, hier und hier).

Der Fall: Die „Basler Zeitung“ verlinkte am 8. Januar 2018 den Artikel „Viktor Orban spricht von muslimischer ‚Invasion‘“ auf ihrer Facebook-Seite. Angekündigt mit einem Zitat des ungarischen Regierungschefs: „Viktor Orban wundert sich, wie in einem Land wie Deutschland [...] das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte’“. Der Nutzer Gabor B. kommentierte: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter’, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt“.

Dieser Kommentar war kurz danach derjenige mit den meisten „Likes“. Bis er von Facebook wegen eines angeblichen und nicht näher erläuterten Verstoßes gegen deren „Gemeinschaftsstandards“ gelöscht und B. für 30 Tage gesperrt wurde. Man mag die Einschätzung des Kommentators teilen oder die Äußerung als polemisch und unsachlich erachten. Wichtig ist nur: Der Kommentar ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Grundlegende Rechtsfrage

Facebook lenkte auf die Abmahnung meines Anwaltsbüros teilweise ein und hob die Sperre auf, die Löschung aber nicht. Die Anwälte Facebooks teilten mit, dass eine „erneute sorgfältige Überprüfung zu dem Ergebnis (kam), dass die Gemeinschafsstandards korrekt angewendet worden waren und der Inhalt daher nicht wiederhergestellt werden kann.“ Eine Einschätzung, die wir nicht nachzuvollziehen vermochten.

In der jetzt vom Landgericht Berlin erlassenen einstweiligen Verfügung wird dem Unternehmen nun unter Androhung von Ordnungsgeldern bis zu € 250.000,00 oder Ordnungshaft verboten, den zitierten Kommentar zu löschen oder B. wegen dieses Kommentars zu sperren. Einstweilige Verfügungen werden in der Regel nicht begründet. Das Gericht konnte dem Antrag aber nur stattgeben, wenn es die Rechtsauffassung vertrat, dass a) Nutzer es nicht hinnehmen müssen, dass ihre rechtmäßigen Inhalte aus sozialen Medien gelöscht werden und dass b) der konkret gelöschte Inhalt rechtmäßig und zulässig war.

Dies ist ein richtungsweisender Beschluss und die erste derartige Gerichtsentscheidung in Deutschland. Endlich haben Nutzer eine Handhabe gegen die intransparenten Machenschaften eines Konzerns, der mit seiner Verantwortung umgeht, als handele er mit gebrauchten Fahrrädern. Dieses Verfahren berührt eine für die Kommunikation in sozialen Netzwerken sowie für die Teilhabe am Meinungsaustausch in einem Netzwerk mit marktbeherrschender Stellung grundlegende Rechtsfrage: Hat der sich vertrags- und rechtstreu verhaltende Nutzer der Dienste von Facebook oder Twitter eine Löschung seiner Inhalte oder eine darauf fußende Sperre hinzunehmen oder nicht? Der Beschluss ist ein wichtiger Etappensieg für die Meinungsfreiheit.

Das letzte Wort hat die Justiz

Schon vor dem Inkrafttreten des Netz-DG herrschte bei Facebook komplettes Löschchaos. Strafbarer Antisemitismus blieb online, kopftuchkritische Kommentare wurden gesperrt. Man sollte immer mal wieder einen Blick auf die „Wall of Shame“ werfen, um sich vor Augen zu führen, welche unglaublichen Entscheidungen dort getroffen werden.

Nicht die Grenzen des Rechts und der Meinungsfreiheit waren bisher relevant, sondern die Einschätzungen schlecht geschulter Mini-Jobber in den Löschzentren. Auf Beschwerden reagierte der Internetriese traditionell nicht. Das könnte sich jetzt ändern. Wenn sich diese Rechtsprechung durchsetzt, steht der Willkür und Inkompetenz der Löschzentren die Sach- und Rechtskunde der deutschen Gerichte als Kontrollinstanz gegenüber. Facebook ist nicht mehr Kläger, Richter und Vollstrecker, so wie die Väter des Netz-DG es gerne hätten. Das letzte Wort hat dann die Justiz.

„Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden“ schrieb Justizminister Maas in die Materialien des Netz-DG. Hat es aber in fahrlässiger Weise unterlassen, einen solchen Anspruch auch in das Gesetz aufzunehmen. Wenn sich dieser Anspruch aus geltendem Recht ergibt, umso besser.

Facebook kann, und wird, Rechtsmittel gegen diesen Beschluss einlegen. Auch wenn das Unternehmen am Ende die Oberhand behielte, ist dieser Prozess ungeheuer wichtig. Dann stünde fest, dass ein Internetriese in Deutschland nach Belieben in die Meinungsfreiheit der Nutzer hineinlöschen kann. Und dann wäre der Gesetzgeber aufgerufen, das, was Maas nur schrieb, in Gesetzesform zu fassen um diesem Tun einen Riegel vorzuschieben.

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Leserpost

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Dirk Jungnickel / 13.04.2018

Die Facebook - Aufregung kann ich nur bedingt nachvollziehen. Wer zwingt denn irgendjemanden dieser Schwatz- und Selbstbeweihräucherungsbude beizutreten ???  Wer diesem Medien - Exhibitionismus frönt, sollte sich über die möglichen Konsequenzen im Klaren sein.

M. Schrezenmaier / 13.04.2018

Gott sei Dank gibt es doch noch Gewaltenteilung. Ich mag mir nicht vorstellen, in die Hände von Maas & Konsorten zu fallen. Ich habe von meinen Eltern erfahren, wie sie ab 1933 so ganz langsam ihrer freien Meinungsäußerung beraubt wurden, wirklich nicht mit einem Schlag, sonst hätte es ja jeder gemerkt, sondern gaaaanz langsam, dann tut’s nicht so weh. In der großen weiten Welt kann Heiko M. ja nicht so viel anrichten, weil die ihn nicht für voll nehmen und Angela M. es schon richten wird.

Max Weishaupt / 13.04.2018

Sehr geehrter Herr Steinhöfel, ich bin kein Jurist, aber was mich bei dieser einstweiligen Verfügung irritiert ist die Tatsache das Facebook ein privates Unternehmen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn es beschließen würde alle Kommentare zu sperren (jetzt mal unabhängig von dem umstrittenen NetzDG in der BRD), die sich z.B. gegen FC Chelsea richten was hätte das dann für einen Anspruch der Gesperrten? Es handelt sich um eine Internet-Platform und keine keine Bürgerinstitution. Die Gemeinschaftstandards die solche Seiten haben-Wo sind die gesetzlich geregelt durch Rechtsgesetzte etc? Besteht nicht eine Gefahr einer Verstaatlichung wenn man anfängt Facebook rechtlich zum Informationsaustausch zu binden? Damit tut man solchen Internetkonzernen Aufgaben zuweisen, die sie überhaupt nicht haben sollten!

Peter Sedlmayr / 13.04.2018

Wie kann es sein, daß der Kommentar eines Users auf einer Facebook-Seite einer Schweizer Zeitung vom deutschen NetzDG erfaßt wird?

Claudia Maack / 13.04.2018

Dass der ganze antisemitische Dreck bei Facebook durchkommt, hat mich nachhaltig entsetzt. Hat man bei Frau Kahane Personalmangel und einen Teil der “Arbeit” nach Ramallah ausgegliedert?

Johannes Eisleben / 13.04.2018

Herzlichen Glückwunsch zu diesem Etappensieg. Bitte kämpfen Sie weiter für unsere Rechtsstaatlichkeit und Zivilisationsform!

Andreas Rochow / 13.04.2018

Soll und darf man erfreut oder glücklich sein über den Beschluss 31 O 21/18 des Landgerichts Berlin? Wenn über Rechts- und Verfassungsbrüche das Glückstrad entscheidet, bleibt das weiterhin Anlass zu Sorge und Widerstand. Der Rechtsanwaltskanzlei, die durch ihr Engagement wesentlichen Anteil an diesem Beschluss hatte, gilt umso mehr der Dank aller Bürger, die sich ihre Meinungsäußerungsfreiheit nicht wegregieren lassen wollen: Wenn das Parlament als Gesetzgeber so eklatant versagt, bleibt nur der teure und umständliche Rechtsweg. Obwohl selbst überzeugter Nicht-Facebooker und Nicht-Twitterer, war mir die Tendenz des “anstößigen” Kommentars von Gabor B. durchaus vertraut. Überall im In- und Ausland, bekommt man solche Dinge zu hören. Das hat mit Hass und Fake News nichts zu tun; das ist das Echo auf ein beispielloses destruktives Regierungshandeln. Wo kämen wir hin, wenn man das nicht mehr kritisieren dürfte?

Roland Pressler / 13.04.2018

Jetzt mal abgesehen vom Fakt der einstweiligen Verfügung: Das im Raum stehende inkriminierte Zitat hätte in Kommentarbereichen, die von diesen “linken Systemmedien” und ihren Zensoren in Merkel-Deutschland beherrscht werden - egal ob in internen wie redaktionseigenen Websites oder externen wie Facebook - nicht die Spur einer Chance, die Meinungsschranke passieren zu können, zumindest in keinem einzigen, welche ich kenne. Ich vermute, solche Erfahrungen werden schon viele Menschen gemacht haben. In meinem Falle, der ich mich ja gelegentlich dort herumtreibe, würde sofort - weil gewitzigt durch üble Erfahrungen - die Schere im Kopf aktiv werden, als das es mir in den Sinne kommen würde, so etwas “Herbes” den Meinungspolizisten und -richtern in BRD-Redaktionsstuben anzubieten. Das erinnert mich an DDR-Zeiten unseligen Angedenkens - dieses Orwellsche Doppeldenk. Ich hätte nicht gedacht, mal wieder so etwas erleben zu müssen.

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