News-Redaktion / 20.04.2022 / 15:00 / Foto: Sandro Halank / 0 / Seite ausdrucken

Ein letzter Blumenwurf für die Partei?

Susanne Hennig-Wellsow will nicht mehr Parteivorsitzende der Linken sein. Am Mittwochmittag überraschte sie die Öffentlichkeit mit ihrer Rücktrittserklärung. Es ist eine Ohrfeige für ihre Partei, oder sollte man besser sagen, ein Blumenwurf? Als sie im Februar 2020 dem überraschend gewählten Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich im Thüringer Landtag voller Verachtung einen Blumenstrauß vor die Füße warf, statt ihm zur Wahl zu gratulieren, machte sie das bundesweit bekannt.

Nicht zuletzt diese Bekanntheit führte sie an die Spitze der Bundespartei. Jetzt verlässt sie das Amt der Co-Bundesvorsitzenden zu einem für die Partei äußerst ungünstigen  Zeitpunkt. Warum hat sie mit diesem Schritt nicht noch einen Monat gewartet, um damit gleich noch die Verantwortung für die absehbaren Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zu übernehmen? Stattdessen setzt sie nun ihre Mit-Vorsitzende Janine Wissler unter Druck, es ihr spätestens zu diesem Zeitpunkt gleich zu tun.

In ihrer eigenen Erklärung schreibt sie:

„Ich habe mich in den vergangenen Tagen an den 26. September 2021 erinnert, den Sonntag der letzten Bundestagswahl. Ich stand vor meinem Wahllokal in Erfurt, auf einem Schulhof in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Menschen kamen und gingen, manche grüßten mich freundlich, wünschten mir und uns Glück, hatten der Partei DIE LINKE und/oder mir als Direktkandidatin ihre Stimme gegeben.

Was würden diese Menschen heute auf die Frage antworten, ob ihre Erwartungen erfüllt wurden? Wir konnten auf Bundesebene gerade noch den Fraktionsstatus halten. Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen. Zu wenige Menschen glaubten uns, dass wir bereit und in der Lage wären, dieses Land aktiv gestaltend zum Besseren zu verändern.

(…)

Was also müsste ich den Menschen heute sagen, die ich an besagtem Wahlsonntag im vergangenen Jahr getroffen habe? Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben. Ein wirklicher Neuanfang ist ausgeblieben. Eine Entschuldigung ist fällig, eine Entschuldigung bei unseren Wählerinnen und Wählern, deren Hoffnungen und Erwartungen wir enttäuscht haben.

(…)

Ich stelle heute mein Amt als Parteivorsitzende der LINKEN mit sofortiger Wirkung zur Verfügung. Ich weiß um die vermeidbaren Fehler, die ich selbst gemacht habe. Ich weiß auch, dass ich es nicht ausreichend vermocht habe, diejenigen zu überzeugen, die mit Erneuerung vor allem die Angst vor dem Verlust des Vertrauten, der Gewissheiten verbinden.

Ich trete aus drei Gründen vom Amt der Parteivorsitzenden zurück:

  1. Meine private Lebenssituation erlaubt es nicht, mit der Kraft und der Zeit für meine Partei da zu sein, wie es in der gegenwärtigen Lage nötig ist. Ich habe einen achtjährigen Sohn, der mich braucht, der ein Recht auf Zeit mit mir hat. Aber auch DIE LINKE braucht in dieser Situation eine Vorsitzende, die mit allem was sie hat für die Partei da ist.
  2. Die vergangenen Monate waren eine der schwierigsten Phasen in der Geschichte unserer Partei. Erneuerung ist umso mehr nötig, und diese Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein. Die LINKE hat es verdient, von Menschen geführt zu werden, die unseren Anhänger:innen und Mitgliedern wieder Mut machen.
  3. Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt. Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der LINKEN eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat.“
Foto: Sandro Halank CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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