Vera Lengsfeld / 03.11.2009 / 13:29 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 3. November

Weitere Politikerrücktritte werden bekannt oder vollzogen. Die verhasste Volksbildungsministerin Margot Honecker muss gehen. Der Chef der SED-Bezirksleitung Suhl verliert seinen Posten. Der Gewerkschaftschef Harry Tisch räumt das Feld . In die Blockpartei LDPD kommt Bewegung. Seit der letzten Oktoberwoche präsentiert die Parteiführung, besonders deren Vorsitzender Manfred Gerlach, der Öffentlichkeit fast täglich neue Reformvorschläge. Allerdings betont man immer wieder, dass dies nicht als Opposition zu verstehen sei und man die führende Rolle der SED nicht in Frage stellen wolle. Für wenige Tage avanciert Gerlach dennoch zum Hoffnungsträger der Demonstranten, nachdem in der Parteizeitung „Der Morgen“ veröffentlichten Forderung nach Rücktritt nicht nur einzelner Minister, sondern der ganzen Regierung.
Während immer mehr Bürger auf die Straße gehen, verlassen andere nach wie vor massenhaft das Land. Kaum war die Grenze zur Tschechoslowakei wieder geöffnet, strömen Tausende ins Nachbarland, um von dort in den Westen zu gelangen. In der Prager Botschaft der BRD befinden sich bereits wieder 6000 Menschen. Auf Drängen Bonns gestattet Krenz ihnen die direkte Ausreise in die BRD. Als sich daraufhin binnen weniger Stunden etwa 50 000 Menschen in Prag und Umgebung einfinden, in der Hoffnung auf schnelle Ausreise, protestiert die Regierung der CSSR energisch, weil die Flüchtlinge Unruhe ins bisher eisern regierte Land bringen. Die DDR solle ihr Flüchtlingsproblem selbst lösen und nicht auf andere Länder abschieben.
Während der SED sichtbar alle Felle wegschwimmen, wird die Frage ihrer Führungsrolle unter den Oppositionellen heftig und kontrovers diskutiert. Befriedigt registriert die Staatssicherheit, dass eine bekannte Aktivistin des Neuen Forum, offenbar unter dem Einfluss von Rechtsanwalt Gysi, mit dem sie die Großdemonstration in Berlin vorbereitet,  die Führungsrolle der SED nicht grundsätzlich ablehnen will. Sie müsse nur so gestaltet werden, dass sie erkennbar sei und allen diene. Während sich die Forum- Frau intern äußert,  unternehmen Friedrich Schorlemmer und der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs Wolfgang Schnur, der damit die Anweisungen seines Führungsoffiziers der Staatssicherheit befolgt, in der Öffentlichkeit ähnliche Vorstöße.  Im Demokratischen Aufbruch gelingt es ziemlich schnell, Schorlemmer und Schnur zu überstimmen. Im Neuen Forum dagegen bleibt die Lage diffus. Diese inhaltliche Unklarheit und die Unwilligkeit, klare Strukturen zu schaffen und deutliche strategische und taktische Ziele zu benennen, bringen dem Neuen Forum Mitgliederverluste ein. Es wird nicht, was viele wünschten und erwarteten, die entscheidende Gegenkraft zur SED.

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