Emma Finkelstein / 20.08.2012 / 23:39 / 0 / Seite ausdrucken

Die guten Zeiten sind vorbei

Unsere Südosteuropa-Beauftragte ist zur Zeit in Rumänien unterwegs. Wir bringen ihre Berichte in loser Folge. Das hier dient der Einstimmung.

Katzendorf liegt am Rande des ehemaligen Siedlungsgebietes der Siebenbürger Sachsen. Weiter westlich kommt nur noch Draas (Rumänisch Drauseni). Dorthin radele ich jetzt, etwa sieben Kilometer Landstraße. Alle vier Minuten fährt einmal ein Auto vorbei, links lässt ein Hirte seine Kuhherde grasen, rechts ist ein Teil der Straße den Hang abgerutscht. Ein einfaches Hinweisschild „Verengung der Fahrbahn“ und ein vor dem Abhang aufgetürmter Erdhaufen beheben den Zustand vorerst.

Am Ortseingang, wie überall hier in der Gegend, ein dreisprachiges Willkommensschild, Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Erstmals erwähnt als östlichste Siedlung der freien Siebenbürger Sachsen wurde Draas 1224 in der Verkündung der „Hermannstädter Freiheit“. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten hier denn auch noch über 700 Deutsche, heute sind es vier. Der Ort ist heruntergekommen, viele Häuser verfallen. Vor einem Haus sitzen fünf Männer in Unterhemden, alle mit Schnapsflasche in der Hand und pfeifen mir hinterher.

Getrunken wird nicht nur in Rumänien viel, aber von hier kommt die schöne Formulierung, jemand sei „fertig betrunken“. Was eindeutig schöner klingt als „sturzbesoffen“. Beinahe schon „fertig verfallen“ war auch die Anfang des 13. Jahrhunderts errichtete Kirchenburg, wurde 2009 jedoch äußerlich durch EU-Geld wieder in Stand gesetzt. Auf der Straße frage ich einen Jugendlichen, ob es jemanden gibt, der mir die Kirche aufschließen könne. Er nickt. Fünf Minuten später kommt Stephan, ein Ungarn-Rumäne, und öffnet zunächst das Tor in der die Kirche umschließenden Mauer.

Anders als die bei uns üblichen Burgen der Adeligen wurden die Kirchenburgen von und für die Bauern errichtet. Hier schützten sich die Dorfbewohner etwa gegen die einfallenden Türken. Damit eine Evakuierung des Dorfes schnell gehen konnte, wurden viele Vorräte bereits innerhalb der Mauern gelagert. So hing in den Türmen der Speck, im Kirchgarten lag Korn aufgeschüttet und vor dem Altar hatte man einen Brunnen. War Zeit genug, wurde auch das Vieh hinter die Mauern in Sicherheit gebracht. So konnte im Falle einer Belagerung eine Weile durchgehalten werden.

Die Angreifer plünderten und branschatzten regelmäßig ganze Dörfer, deren Bewohner dank der Vorsorge meist überlebten. Und nach dem Abzug machten sie sich daran, ihren Besitz wieder aufzubauen. Diesen Willen, allen Widrigkeiten zu trotzen und immer wieder, von vrone zu beginnen, brachen erst die Kommunisten. Nach Jahrhunderten als freie Bauern sahen sich die Siebenbürger nun enteignet und hatten im doppelten Sinne keinen Grund mehr, um zu bleiben.

Mit Stephan stehe ich nun vor dem Kirchenportal. Drinnen liegen ein paar Eimer und Balken herum, zarte Hinweise darauf, dass auch der Innenraum vielleicht eines Tages wieder nutzbar gemacht werden soll. Über abenteuerliche Leiterkonstruktionen geht es hinauf in den Turm, zu den beiden 500 Jahre alten Glocken. Es ist kurz vor zwölf, was hier keinem Grund zur Sorge, sondern einem Arbeitsauftrag entspricht. Um 12 Uhr haben die Glocken zu schlagen. Ich frage Stephan und darf an das Tau – und läute die Kirchenglocken über Draas.

Am Nachmittag rolle ich mit dem Fahrrad ins gut fünf Kilometer entfernte Hamrude (Rumänisch Homorod). Knapp 2.000 Einwohner und eine schlecht asphaltierte Dorfstraße machen heute das Dorf aus. Die guten Zeiten sind vorbei. Am Ortsausgang stehen große, Ruinen, die früher einmal Stallungen für ein ausgewachsenes Gestüt mit mehreren hundert Hengsten waren. Aber nicht nur Stuten kamen einstmals zu Besuch. Noch in den 1980er Jahren war Hamrude ein Kurbad samt Warmbädern und Schlammpackungen. Heute findet sich nur noch ein Fundament, das seine Betonsäulen wie versinkende Finger in den Himmel streckt. Wo einstmals der Pavillon stand, sammeln sich jetzt Plastikflaschen vom wöchentlichen Roma-Pferdemarkt. Ein kleiner von Schilf umsäumter Teich wirft hier und da ein paar Blasen hoch. Ansonsten nach Schwefel riechende Brache. Um sich auszumalen, dass hier einmal ein Kurbad mit einem Dutzend Häusern stand, braucht es einige Phantasie. Nur ein einsam im Matsch liegender roter Eimer zeugt davon, dass ab und an noch mal jemand für den Eigenbedarf ein wenig Schlamm holt. Denn der schlickt wie zuvor vor sich hin.

Nicht weit von dem verlassenen Heilplatz entfernt liegt die Wehrkirche des Ortes. Im 13. Jahrhundert errichtet, wurde sie zweihundert Jahre später wehrtüchtig umgebaut. Seither steht ein großer Turm über dem alten Chor und Ringmauern umrahmen das Gebäude. Der ehemalige Chor erinnert zunächst an eine Art leer geräumte Rumpelkammer. Vom Turm aus rechts geht es in den türlosen, unbeleuchteten Raum. Da es schön kühl ist, stehe ich einen Augenblick im schräg einfallenden Tageslicht gegen die Wand gelehnt da und ruhe mich aus. Nach und nach gewöhnen sich die Augen und nehmen die Reste der alten Wandmalereien wahr. Ein Bild Jesu, eine Kirche, ein Heiliger mit Kreuz in der Hand. Die Bilder stammen aus dem 13. Jahrhundert; bei uns wäre der Raum klimatisiert, Fotografieren verboten und selbst lange Anschauen käme bei den eifrigen Wärtern wohl nicht gut an. Und hier bin ich allein mit den dunkelrot aufgetragenen Malereien. In der geschwungenen Decke über ihnen klaffen vier ausgefranste Löcher, durch die ehemals die Schnüre zu den Glocken verliefen. Inzwischen enden sie einen Stock höher, mitten im Gebälk des Turmes. Ich lasse die ältesten erhaltenen Wandmalereien Siebenbürgens hinter mir und gehe durch den ebenfalls türlosen Übergang in die Kirche.

Auch hier haben, wie überall in Siebenbürgen, die Kirchenbänke keine Rückenlehnen. Mit einer Möglichkeit zum Anlehnen hätte man mit der ausladenden Tracht nicht Platz nehmen können – so musste eben gelitten werden für die Schönheit. Glanz eingebüßt hat inzwischen auch die Kirchenorgel. Die freien Stufen hinter dem Altar hinauf gehend, schiebe ich oben den Stecker in die Stromdose. Die Orgel plustert sich seufzend auf. Ich setze mich und spiele. Drücke zwischendurch hier und da einmal eine der Fußtasten auf gut Glück.

Jeder Ton zieht lang hallend durch das Kirchengebäude – die Orgel hat Bestand: Man kann einen falschen Anschlag durch schnelles Überspringen wie beim Klavier nicht vertuschen. Deutlich hallen auch die Fehlgriffe bei Bachs Präludien nach, und einige der alten Tasten haben ihren Dienst inzwischen ganz eingestellt.

Die Orgelklänge dürfte auch Christel Euntzen gehört haben, Hamrudes bekannteste Blondinen-Sage. Ende der 1840er Jahre soll die bezopfte Bauerstochter Omar Pascha über den Weg gelaufen sein. Der osmanische General kroatischer Herkunft war damals Militärgouverneur im türkisch besetzten Bukarest. Er setzte sich in den Kopf, die blonde Christel zu heiraten. Also zog der Pascha vor die Türe von Vater Eutzen und bot allerhand Kamele und Büffel im Tausch gegen die Blondine. Der Sachse zeigte sich indes völlig unbeeindruckt, seine Tochter sei kein Stück Vieh, das man auf dem Markt eintauschen könne. Was auch immer den Pascha an Homrods Dorfschönheit verzaubert haben mochte – er gab nicht auf und kam alsbald wieder.

Dieses Mal mit einer ganzen Entourage an Bediensteten und Tieren im Gepäck. Bauer Eutzens Pläne, seine Tochter gemäß der Tradition nur an einen Sachsen aus dem Ort zu geben, gerieten ins Wanken. Vielleicht war so ein Pascha doch die bessere Partie? Er entschloss sich zum Eintritt in die Moderne und fragte seine Tochter, was sie selbst sich wünsche. Und Christel stimmte zu, packte ein paar Sachen zusammen und verschwand mit dem Pascha nach Bukarest zum Hochzeit halten.

Geheiratet wurde denn auch, allerdings war die Sächsin bereits seine siebte Frau, eine Rolle, mit der sie nicht gerechnet hatte. Da sie schon in Bukarest war, ergriff sie sämtliche Chancen, angefangen mit Musikstunden und Literaturstudien und endend mit dem französischen Botschafter. Mit dem brannte die ehemalige Hamruderin nach Paris durch und beschloss dort ihr Leben fernab von Forken und Milchkühen. Ob sich Omar Pasche eine neue Sächsin ins Haus holte oder mit dem verbleibenden halben Dutzend auskommen musste, erzählt man sich nicht.

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