Rainer Grell / 06.05.2017 / 14:35 / Foto: Fir0002 / 2 / Seite ausdrucken

Deutsche Nationalhymne: Heute, 65 Jahre nach Trizonesien

„Als ich das Vaterland aus den Augen verloren hatte, fand ich es im Herzen wieder“, bekannte einst Heinrich Heine im Pariser Exil. Diese Gabe ist sicher nicht jedem gegeben. Die meisten brauchen wohl ein Identifikations-Medium, um vaterländische Gefühle zu entwickeln. Neben der Sprache, die aber nur in der Diaspora diese Funktion erfüllt, dürfte das für viele die Nationalhymne sein.

Seit 1922 war das „Lied der Deutschen“ die Nationalhymne der Weimarer Republik. Die Nazis behielten sie bei, verboten aber die zweite und dritte Strophe und sangen im Anschluss an die erste Strophe („Deutschland, Deutschland über alles...“) das so genannte Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! ...“), beides nach 1945 durch die Alliierten verboten. Selbst als das Verbot nach Gründung der Bundesrepublik aufgehoben wurde, gab es noch keine Nationalhymne. Was tun? Man sang stattdessen zunächst

Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien,

Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!

Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien,

Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!

Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen umso besser.

Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien,

Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!

So lautete der Text eines Karnevalschlagers aus dem Jahr 1948 (Wer sich’s anhören will, kann das hier tun). Trizonesien, das waren die drei westlichen Besatzungszonen der „Amis“, der „Tommies“ und des „Franzmanns“. Das Deutsche Reich existierte nicht mehr und die Bundesrepublik Deutschland noch nicht (erst ab 23. Mai 1949). Während die schwarz-rot-goldene Bundesflagge 1949 als nationales Symbol der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 22 des Grundgesetzes festgeschrieben wurde (heute in Absatz 2 dieses Artikels), gab es nach Gründung der Bundesrepublik keine gesetzliche Festlegung einer Nationalhymne. Dies gehört traditionell zu den Kompetenzen des Staatsoberhaupts.

Aber „Papa Heuss“, der erste Bundespräsident, wollte wohl nicht so richtig ran an diese Aufgabe. Sein Vorschlag, Rudolf Alexander Schröders „Hymne an Deutschland“ („Land des Glaubens, deutsches Land …“ – wer interessiert ist findet den Text hier ) in der Vertonung von Hermann Reutter zur Nationalhymne zu machen, konnte sich aber nicht durchsetzen  Ein instrumentales Klangbeispiel habe ich kurioserweise nur auf einer englischsprachigen Seite gefunden: auf Youtube fälschlicherweise als “National Anthem of West Germany (1950-1952)“ bezeichnet (das simple Klavierbeispiel auf  möchte ich den Achse-Leserinnen und -Lesern ersparen).  

Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer äußerte sich zu diesem Thema auf einer Pressekonferenz am 19. April 1950 wie folgt: 

Ein Vertreter des Londoner "Daily Mail": Herr Bundeskanzler, nach dem Absingen der dritten Strophe des Deutschlandliedes ist es in der Öffentlichkeit zu den verschiedensten Reaktionen gekommen. Wäre es Ihnen möglich, Herr Bundeskanzler, zu dieser Frage kurz noch einmal Stellung zu nehmen?

Bundeskanzler: Meine Damen und Herren! Wenn das gewünscht wird, will ich das sehr gerne tun, und [ich] muß Ihnen sagen, daß ich über diese Aktion und Reaktion sehr verblüfft und erstaunt bin. Mir scheint wirklich Berlin eine Insel zu sein. Drüben in Westdeutschland wird die dritte Strophe des Deutschlandliedes sehr oft gesungen, und sehen Sie, meine Damen und Herren, dieses Deutschlandlied ist von Hoffmann von Fallersleben. Die dritte Strophe, um die es sich allein handelt, durfte unter den Nazis nicht gesungen werden, weil dort von Recht und Freiheit die Rede war.

(Zwischenrufe: Richtig!)

Und wenn wir jetzt von Recht und Freiheit wieder reden und im Liede davon singen dürfen, dann betrachte ich das als einen großen Fortschritt im Sinne einer wahren Demokratie, und ich bitte auch daran zu denken, daß kein anderer als der Sozialdemokrat, der Reichspräsident Ebert, derjenige gewesen ist, der dieses Lied zu Ehren erhoben hat. Also, meine Damen und Herren, ich finde, daß gerade diese dritte Strophe des Deutschlandliedes sehr eindrucksvoll ist und daß man schließlich uns Deutschen nun auch ein gemeinsames Lied wohl gönnen darf. Ich habe mir sagen lassen, daß, als hier zweimal große sportliche Veranstaltungen gewesen sind, alle Nationalhymnen der verschiedenen Länder gespielt worden sind und für die Deutschen, ich kenne den Schlager nicht - er wurde mir genannt -, ich glaube: "In München steht ein Hofbräuhaus".

(Zwischenruf: Das war die Nationalhymne beim Sechstagerennen.)

Meine Damen und Herren! Es ist für mich nett, wenn sich die Presse einmal untereinander zankt, dann habe ich Ruhe. Aber ich will Ihnen jetzt etwas erzählen aus Köln, was da gewesen ist, damit Sie die ganze Situation auch daran erkennen. Ich glaube, es war im vorigen Jahr, da war im Kölner Stadion eine sportliche Veranstaltung gegenüber Belgien. Es war auch manches belgische Militär in Uniform da vertreten, und schließlich wurden die Nationalhymnen angestimmt, und die Musikkapelle, die offenbar einen sehr tüchtigen und geistig gegenwärtigen Kapellmeister gehabt hat, hat ohne besonderen Auftrag, als die deutsche Nationalhymne angestimmt werden sollte, das schöne Karnevalslied "Ich bin ein Einwohner von Trizonesien" [gemeint war „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“] angestimmt. Was ich Ihnen jetzt sage, ist vertraulich für Sie, das ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Da sind zahlreiche belgische Soldaten aufgestanden und haben salutiert, weil sie glaubten, das wäre die Nationalhymne.

(Große Heiterkeit.)

Das sind ja, wenn auch etwas belustigende, im Grunde aber ungewöhnliche Situationen. Ich habe mir heute sagen lassen, daß die Veranstaltung gestern Morgen, die ja geradezu musterhaft vom Magistrat von Berlin und vom Oberbürgermeister vorbereitet war, und insbesondere auch was den Flaggenschmuck des Saales angeht, denn es waren die Länder hinter dem Eisernen Vorhang dort durch ihre Fahnen vertreten - also, ich habe mir sagen lassen, daß im Ostsektor Berlins die gestrige Veranstaltung vom Rundfunk angehört worden ist und daß die Leute dann, als die dritte Strophe des Deutschlandliedes angestimmt worden ist, sich erhoben haben. Ich glaube, meine Damen und Herren, drüben die Leute fühlen sich gestärkt durch etwas Derartiges. Nun ist mir, wenn das Telegramm, das ich gestern Abend bekam, richtig ist, von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion der Vorwurf gemacht worden, daß ich eine Nationalhymne eingeführt hätte.

Nein, meine Damen und Herren, da denke ich nicht daran, und es hat mir das völlig ferngelegen, aber ich fand es für richtig, daß, nachdem wir Deutsche nun einmal hier in Berlin uns wieder zusammengefunden hatten, wir zum Schlusse einer Rede auch dem gemeinsamen Gefühl der Liebe und der Verehrung für unser deutsches Vaterland in dieser äußerlich angemessenen Form Ausdruck verliehen haben, und ich darf gerade für die Herren Vertreter der ausländischen Presse nochmals den Text zitieren: "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland - Danach laßt uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand - Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand - Blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland."

Diese dritte Strophe von August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens „Das Lied der Deutschen“, am 26. August 1841 auf der – seinerzeit britischen – Insel Helgoland gedichtet, zu der Melodie von Joseph Haydns „Gott erhalte Franz den Kaiser“ wurde durch einen Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 29. April 1952 und Bundespräsident Theodor Heuss vom 2. Mai 1952, veröffentlicht am 6. Mai 1952 im Bulletin des Bundespresseamtes, zur Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland (Siehe hier) . Nach der Wiedervereinigung wurde im Jahr 1991 in einem weiteren Briefwechsel zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler die dritte Strophe zur Nationalhymne Deutschlands erklärt (veröffentlicht im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 89/1991 vom 27.08. 1991).

„Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ und „In München steht ein Hofbräuhaus“ hatten damit ausgedient. Das Hofbräuhaus steht allerdings immer noch, während Trizonesien untergegangen ist.

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Gabriele Klein / 06.05.2017

Wäre folgende klitzekleine Änderung in der Dritten Strophe nicht ehrlicher? Statt Einigkeit und Recht und Freiheit sollte der Satz lauten: Einigkeit VOR Recht und Freiheit. Fände das würde besser passen da manche Programm Händler z. B. die ÖR ganz klar freier sind als andere die das gleiche anbieten ...... und das Recht? Das wurde wie die Wahrheit doch schon längst in Deutschland demokratisiert. Die Mehrheit zählt und wenn alle Verwaltungsrichter das gleiche verfügen dann stimmt das so eben deshalb und Justizia soll ihre Klappe halten. Auch müssen wir nicht alle gleichberechtigt sein, gleich “verfügbar” tuts auch…

Karla Kuhn / 06.05.2017

„Als ich das Vaterland aus den Augen verloren hatte, fand ich es im Herzen wieder“  “Denk ich an Deutschland in der Nacht…...” Eine schöne Geschichte Herr Grell.  In der DDR hieß die Hymne: “Auferstanden aus Ruinen…...... Deutschland einig Vaterland.”  Ich habe diese Hymne schön gefunden und der Text ist ja neutral. Gewundert hat mich nur das “Deutschland einig Vaterland.”  Die deutsche Nationalhymne wird alleine schon durch die Musik von Haydn aufgewertet. Der Text gefällt mir sehr gut. Ich liebe sie. Glückwunsch Nationalhymne.

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