Dirk Maxeiner / 23.12.2018 / 06:25 / Foto: Benross814 / 58 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Kopf und Arsch zusammen

In Unternehmen, die etwas auf sich halten, sind so genannte Image-Filme oder auch Image-Broschüren Pflicht. Schließlich muss man sein segensreiches Tun immer wieder ins rechte Licht rücken. Die Firmenlenker entwickeln meist überdurchschnittliches Engagement, was die Umsetzung dieser Absicht betrifft, davon können Werbeagenturen und Fotografen berichten.

Nichts ist nerviger als die Produktion einer solchen Selbstdarstellung. Bis die Bosse so rüberkommen, wie sie rüberkommen wollen, wird so manches Layout gefleddert und jede zweite Fotoproduktion versenkt. Und weil der eine vom anderen abguckt („will ich auch haben“) sehen am Schluss alle Image-Broschüren gleich aus. Gleich beschissen. Der visionäre Blick, die entschlossene Gestik der Hände, die bunte Vielfalt. Alles genauso gebügelt wie der Anzug vom CEO.

Das schicke ich voraus, weil ich hier einen Imagefilm näher besprechen möchte. Das Unternehmen heißt „ReporterForum“ und ist laut Eigendarstellung eine „Initiative von Journalisten“, die den „Qualitäts-Journalismus stärken wollen“ und sich als „Selbsthilfegruppe und Zukunftslabor“ verstehen. Ich kannte den Verein bisher nicht und wurde erst durch die Affäre um den Spiegel-Faker Claas Relotius auf die "Bürgerinitiative" aufmerksam. Denn der gefallene Engel bekam viermal den „Reporterpreis“ des ReporterForum verliehen, auch 2018 (inzwischen hat er die Preise zurückgegeben). Aber darum soll es hier gar nicht gehen. Zu Relotius fällt mir nix mehr ein, es ist auch alles gesagt – und zwar von ziemlich allen.

Das Video, um dass es hier gehen wird, war quasi Beifang einer Recherche und hat den schlichten Titel „Reporterpreis 2018 – Jurysitzung“. Es kann hier auf Vimeo angeschaut werden, zumindest im Moment noch. Rein technisch ist es eine Abfolge von Standbildern der Beteiligten, man nennt sowas auch Slide-Show. Auf den Fotografien ist die Crème de la Crème des deutschen Journalismus versammelt. Namen spielen aber keine Rolle, viele der Zukunftslaboranten wird der Leser selbst erkennen. Es geht hier auch nicht um die einzelnen Darsteller in dieser Aufführung, sondern um das Sittengemälde insgesamt, das sie zeichnet.

Man hat das Gefühl, Fürst Metternich müsse um die Ecke biegen

Dazu gehört auch die Musik aus dem Italo-Western „Il mercenario“. Es handelt sich um den Ton einer besonders berühmten Szene. Komponist Ennio Morricone hat wie immer ganze Arbeit geleistet: Trompeten dräuen, der Drummer lässt es knallen, ein Magazin wird nachgeladen, jemand pfeift eine tödliche Melodie, dürre italienische Wortfetzen senden Botschaften aus dem Off. Das verleiht der Jury-Sitzung echten Hollywood Glamour: Dies ist keine Provinzveranstaltung sondern eine auserlesene Gesellschaft, die bei Giovanni das Menue in fließendem Italienisch bespricht, damit der Rest der Gäste die Weltläufigkeit auch mitbekommt. Auf die tiefere Symbolik dieser doch sehr speziellen akustischen Untermalung komme ich zurück. Aber zunächst ein Lob: Die Ausführung ist wirklich sehr professionell. Das hat sie mit einer Diesel-Abschaltvorrichtung aus dem Hause VW gemeinsam.

Aber beginnen wir mit den Räumlichkeiten, in denen das Duell der Giganten stattfindet. Mit dunklem Holz getäfelte Wände, erlesenes Parkett am Boden, tiefe Sessel und Couches, mit dicken Folianten vollgestellte Regale. Es handelt sich mithin um eine Örtlichkeit, die stark an englische Herrenclubs erinnert, in denen nur ein erlauchter Kreis Zutritt findet. Die Zumutungen und Geräusche der Strasse müssen draußen bleiben. An der hohen Raumdecke schwebt ein gelb erleuchteter Lichtkreis nach Art eines Heiligenscheins über der Selbsthilfegruppe. Er bildet eine harmonische Einheit mit einem kreisförmigen Regal über der Bar, das genügend Alkoholika versammelt, um die nächste Auflagenmeldung oder Einschaltquote schmerzlos wegzustecken.

Das Setting erinnert auffällig an ein Gemälde des Wiener Kongresses, man hat das Gefühl, Fürst Metternich müsse um die Ecke biegen und zu Tische bitten. Die anwesenden Personen kontrastieren die Steifigkeit der Location mit der Lockerheit ihrer Erscheinung. Dreitagebärte (männliche Teilnehmer) und locker umgeworfene Schals (weibliche Teilnehmer) sowie ein Apple-Macbook scheinen zum verbindlichen Dresscode zu gehören, sie haben die Krawatte und dergleichen ersetzt. Es sind lediglich kesse, einzelne Einstecktücher zu entdecken. Ferner fallen immer die gleichen meist sehr dunklen Hornbrillengestelle mit sehr großen Gläsern auf, die zuerst von den Nerds getragen, dann von den Hipstern entdeckt, und jetzt von Artdirektoren und Ressortleitern verschlissen werden.

Zwingend zum Juste Milieu gehört auch ein obligatorische Herr mit rotem Irokesenschnitt und eine sorgenvollen Mutter, die ihr Kleinkind mit zur Jurysitzung schleppt und zwischendurch auf dem roten Teppichboden säugt. Auf diesem sehr einsamen Kleinkind scheint die gesamte Hoffnung der Branche zu ruhen. Es wird allenthalben geherzt, der Betrachter hofft lediglich, dass keine Grippe im Raume kursieren möge. 

Dramaturgisch könnte man die Bildfolgen in folgende Szenen einteilen: Das Warm-up zur Begrüßung, während dem man unentwegt sehr nett zueinander ist. Dann der Appell mit einer kleinen Ansprache eines grauen Herren an den erlauchten Halbkreis. Schließlich die Versammlung zum großen Thing, der aus einem mächtigen Edelholz-Tisch besteht.

Weißer Rauch, Glockengeläut, Trompetensolo

Hier gilt es jetzt offene Diskussion, harte Auseinandersetzung und selbstquälerisches Ringen um eine Entscheidung zu visualisieren. Der Fotograf hat zu diesem Zweck das gesamte körpersprachliche Repertoire der Beteiligten eingefangen: Denkerstirn und ratlos geöffnete Hände, erhobener Zeigefinger und ausladende Erläuterung, gehetzt auf das Mobiltelefon und visionär in die Ferne schauen, Manuskript in der Luft schwenken, und Notizen machen. Den Daumen nach oben recken. Anschaulicher als mit diesen Fotos kann man den harten Wahrhaftigkeits-Anspruch des deutschen Qualitäts-Jounalismus nicht visualisieren. Schließlich Handzeichen, weißer Rauch, Glockengeläut, Trompetensolo. Der Papst ist gekrönt.

Die im Epilog sich auf den Tischen türmenden verbrauchten Kaffee-Gedecke erzählen die Geschichte eines langen Tages und einer durchwachten Nacht, im Journalistenclub ist noch Licht. Dann erscheinen wieder erste Sonnenstrahlen im Raum, es gibt Hoffnung, die Selbsthilfeelite hat den Journalismus erneut mit einer kollektiven Anstrengung gerettet.

Ein wirklich ergreifendes Gesamtkunstwerk und mit Sicherheit der erste Maultaschen-Western des Komponisten Ennio Morricone. Die Motive für die Auswahl der Musik bleiben denn auch ein wenig im Dunkeln, vielleicht wollte man einfach originell sein, sehr vielleicht gar ironisch, möglicherweise auch eine versteckte Botschaft unterbringen. Schließlich steckt in jedem der Runde ein kleiner Revolutionär, die Latte-Macchiato-Zivilgesellschaft versammelt sich zum letzten Gefecht, zum Kampf Gut gegen Böse. Der zur Musik gehörende Film „Il mercenario“ (Deutscher Titel: Die gefürchteten Zwei“) kam im Jahre 1968 heraus und der Regisseur Horst Königstein sagte über ihn:

„Das Jahr 1968, in dem Il mercenario herauskam, war das Jahr, in dem die Rezensenten dem Kino und dem Zuschauer klare Haltungen abforderten und sich selbst die Qualen der Bewußtwerdung...Il mercenario ist ein Film nicht so sehr über die Ursachen, als über die Bedingungen einer Revolution....Wer ist je auf den Einfall gekommen, das kapitalistische System an einem nackten Frauenkörper zu erläutern? Der Kopf – die herrschende Ausbeuterschicht, der Arsch – das Proletariat; Kardinalfrage: warum kommen Kopf und Arsch nicht zusammen?“ 

Ich habe das Gefühl, hier wurde das erstmals geschafft.

Und hier nochmal der Link zum Video.

Von Dirk Maxeiner ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ein ideales Geschenk für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, gleichsam als Zündkerze für das Fest der Ruhe und Besinnlichkeit. Portofrei zu beziehen hier.

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Hjalmar Kreutzer / 23.12.2018

Ja, sie müssen sich gegenseitig feiern und toll finden, sonst machts ja keiner. Der GEZwangsbeitragszahler schon mal gar nicht. Einen schönen 4. Advent!

Günter Schaumburg / 23.12.2018

Was müssen wohl Müllmänner (Entschuldigung die Damen, ich habe in meinem Leben noch keine Müllfrau gesehen), Polizisten und Polizistinnen, Krankenpfleger und Kranken- pflegerinnen, Hauptschullehrer und Hauptschullehrerinnen - ich hoffe, alles grünkorrekt geschrieben - beim Betrachten dieser Bilder denken? Ach, sind die aber intelligent, oder: So möchte unsereins auch sein Geld verdienen?

Thomas Raffelsieper / 23.12.2018

Ist das Verarschung oder sehen sich diese Freaks wirklich so?? Das ist wirklich das schlechtesten Werbe-Video aller Zeiten. Was für ein Müll.

Dr. Gerhard Giesemann / 23.12.2018

Kopf und Arsch? Zusammen? Stellung 69 gefällig?

Archi W Bechlenberg / 23.12.2018

Ich weigere mich zu glauben, dass der Film echt ist. Echt im Sinne von authentisch. Gut - es gibt eine (in Zahlen: 1) visuelle Parallelle. In Corbucchis Film hat der Clown eine rote Nase, im Plagiat einen roten Kamm. Aber mir kann niemand erzählen, dass diese Show (“Und jetzt zeigt euch Onkel Claus die Dias vom letzten Treffen!”) nicht in Wahrheit eine böswillige Satire auf die Arbeit eines seriösen Berufstandes ist. Mit der Musik haben - wer immer auch dahinter steckt - der oder die Macher es übertrieben. Ein dezentes “Schön ist es, auf der Welt zu sein” (Roy und Anita), die Titelmelodie der Sendung mit dem Claus oder der Muppetshow oder meinetwegen “Atemlos” (Helene Fischer) wäre ja angegangen. Auch “Jeder Körper in dieser Zelle ist lustig” oder “Ich bau dir ein (Lügen)schloss” wäre eine kongeniale Untermalung der Bilder gewesen, an deren Wahrhaftigkeit dann niemand gezweifelt hätte. Aber diese Kombination mit einem Klassiker des Italowestern, das nimmt euch keiner ab. Zudem in “Mercenario” Franco Nero die Knallchargen gleich am Anfang ausknipst, während sie in “Für ein paar Worte mehr” unbehelligt bis zum Ende weiter machen dürfen.

U. Unger / 23.12.2018

Herr Maxeiner, habe gerade Ihren schönen Einfall nachgespielt und mir die Bilderstrecke, sowie von der Preisverleihung angesehen. Recht amüsant. Besonders, wenn man die Handbewegungen betrachtet. Mal wird gebetet, mal geknetet, oder vielleicht gewürgt? Interpretiert man die Gesamtmachart, des Filmchens, drängen sich zwangsläufig Gedanken auf. Habe mal bei Youtube reingeschaut, das angebotene Filmchen zur Musik ist das obligatorische Schlussduell, allerdings nicht ganz das Filmende, Hoffnung für uns alle? Nun mag ich keine weiteren Interpretationen mehr liefern, da mich die grandiose Musik Ennio Morricones gefangen hat. Schon der tolle track am Filmbeginn ist großer Musikgenuss, und entschädigt für die angestrengten Ideologen-Gesichter der drei Bildserien, die ich mir reingehämmert habe. Verbissen und über angestrengte Mimiken, gegenüber den sportlich lässigen Gesichtszügen im Filmduell. Fairplay, im Italowestern glaubwürdiger verkörpert, als in einem demokratischen Journalistenzirkel? Nur ein Eindruck, aber……..

Dieter Franke / 23.12.2018

Zu gerne würde man dazu eine Tonspur hören - dieses Konvolut an Schlagwörtern, gestelzten Formulierungen und abgehobener Gschaftlhuberei. Und was tut ein Schauspieler wie Ulrich Matthes eigentlich in dieser Runde? Gibt er Proben seines unbezweifelbaren Könnens an die Reporterdarsteller zur Nachahmung weiter? Mag sein, aber er ist auch häufiger Gesprächspartner der noch herrschenden Kanzlerin und brachte möglicherweise deren Wünsche und Vorgaben in die Jury ein. Es bleibt rätselhaft.

C.S. Merten / 23.12.2018

1 .“Maultaschen”-Western? Maultrommel ist richtig. 2.. il mercenario (ital.) der Söldner.  Insofern stimmt die Musik-Auswahl schon. 3.  Im Namen der Liebhaber der italienischen (Pferde)oper entschiedener Protest gegen den Morricone-Mißbrauch, auch wenn Ines Pohl wie ein Pferd dreinschaut.

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