Cora Stephan / 23.03.2011 / 12:43 / 0 / Seite ausdrucken

Der gefühlte Notstand

Kürzlich schrieb ein Freund auf Facebook: “Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein.” Ich habe zugestimmt - das erste Mal seit langem. Was sich dieses Land im Moment an selbstbezogener Hysterie leistet, tut richtig weh.
Doch schlimmer noch ist der Opportunismus, mit dem die Politik darauf antwortet. Kanzlerin Merkel sieht mit großer Lässigkeit davon ab, dass eine Bundesregierung Verantwortung wahrzunehmen hat, die über Tagesinteressen weit hinausgeht. Denn Landtagswahlen sind kein Notstand, der alle Mittel rechtfertigt.

In Japan hat es eine Katastrophe gegeben, die bislang tausende von Menschenleben gekostet hat. In Libyen wird die Opposition von einem durchgeknallten Diktator rücksichtslos abgeschlachtet. Doch in Deutschland pflegt man die Landesspezialität, jene ich-bezogene “German Angst”, mit der sämtliche Katastrophen der Welt auf das eigene kleine Selbst hochgerechnet werden. Abwägende Stimmen wurden in den Medien übertönt von “Aktivisten”, die mit einem triumphierenden “Haben wir es nicht immer schon gesagt?” ihre gelben Luftballons schwenkten und den Ausstieg aus der Atomenergie fordern. Jetzt. Sofort. Weil man ja nun gesehen habe, wie gefährlich Atomkraft sei.
Man ist hierzulande offenbar noch immer gewohnt, in jeder Katastrophe, die anderen geschieht, den Vorboten des eigenen Untergangs zu erblicken. Zugegeben, das war zu Zeiten des Kalten Kriegs nicht ganz unrealistisch, als jeder kleine Funke den Weltenbrand auszulösen vermochte, der, so sahen es die Militärstrategen vor, über Deutschland niederregnen würde. Dieses Szenario erklärt vielleicht das besondere Verhältnis zum “Atom” und zum Krieg: die Deutschen sind nicht nur durch zwei Weltkriege, sondern auch durch das Atomkriegsszenario des Kalten Kriegs offenbar gründlich traumatisiert. Und schliesslich jährt sich in wenigen Wochen der Unfall von Tschernobyl zum 25. Mal. Auch die Panik von damals mag noch vielen in den Knochen sitzen.
Doch muss eine Regierung solchen Reflexen nachgeben, gar noch mit der Begründung, auch eine bloß gefühlte Gefahr erlaube den Bruch von Recht und Gesetz? Die sonst nicht entscheidungsfrohe Angela Merkel gab selbstherrlich dem gefühlten Volkswillen nach - und Außenminister Guido Westerwelle tat das Seine in Sachen Intervention in Libyen. Atom und Krieg - nicht mit uns.
Besser als der Ruf nach “Abschalten aller AKW!” hätte uns zu Gesicht gestanden, wenn Demonstranten das sofortige Abschalten von Gaddafi skandiert hätten. Der Mann ist nicht nur gefühlt, sondern wirklich gefährlich. Stattdessen gibt sich Deutschland empfindsam. Im Wahlkampf mit Atom und Krieg in Verbindung gebracht zu werden, ist in der Tat tödlich - für die politische Karriere. So opportunistisch, so untertan dem angeblichen Wählerwillen hat sich eine Bundesregierung selten präsentiert.
Wir sollten uns das Hirn nicht vernebeln lassen. Energiepolitisch herrscht in Deutschland das selbstproduzierte Chaos. Erst subventionierte man die Atomenergie als saubere Alternative zu den fossilen Energieträgern, ohne Zukunftsprobleme wie Endlagerung gelöst zu haben und unter Vergesellschaftung der Kosten. Ähnlich verfährt man mit Solar- und Windenergie, wodurch längst ein gigantischer ökologisch-industrieller Komplex entstanden ist. Die Grundlast aber können diese Energiearten nicht bestreiten. Und da es dank der Grünen keine neuen Kohlekraftwerke mehr geben darf - auf der Basis des einzigen Energieträgers, von dem man in Deutschland halbwegs reichlich hat - wird man die nötige Energie importieren müssen. Von Nachbarn wie den Franzosen, die auch jetzt noch nicht daran denken, sich vor Atomkraft zu fürchten.
Ja, die Atomkraft ist eine Brückentechnologie, auf die wir sobald wie möglich verzichten sollten. Wo aber ist die Alternative? Auch nach dem Superwahljahr 2011 werden wir noch immer auf ein vernünftiges Energiekonzept warten, mit unabsehbaren Folgen für die zahlenden Bürger. Denn keine der Parteien ist damit bislang hervorgetreten. Wir werden sehen, welche Regierung die Atomkraftwerke demnächst wieder anschalten muss.

DeutschlandRadio Kultur, Politisches Feuilleton, 23. 3. 2011

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