Bertha Stein, Gastautorin / 23.05.2019 / 14:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Das Polen-Paradoxon: Wer Europa liebt, stimmt gegen den Apparat

Auf den ersten Blick scheint es paradox zu sein, dass leidenschaftliche Europabefürworter wie Polen gegen die Europäische Union sind. Auf den zweiten Blick wird ersichtlich, warum das so ist.

Jeder kennt sie, Tom, die Katze, und Jerry, die Maus, aus der Cartoon-Serie „Tom & Jerry“. Eine schlaue, clevere Maus trifft auf eine nicht ganz helle, etwas dusselige Katze, spielt ihr Streiche, aber bekommt ihr verdientes Fett weg. Am Ende jeder Serie liegt, pathetisch gesprochen, die Welt beider in Trümmern, Freunde bleiben sie trotzdem irgendwie, und die Zuschauer hatten eine Menge Spaß, wenn auch „politisch unkorrekt“.

„Tom & Jerry“ erzählt von einer Hassliebe-Beziehung, in der sportlich, mal hier, mal dort, die Keule geschwungen wird. Das erinnert etwas an die europäisch-polnische Freundschaft, in der ambivalente Gefühle dominieren. Obschon die Polen zu den stärksten EU-Kritikern gehören, befürworten sie gleichzeitig Europa: „Drei Viertel der Polen identifizieren sich mit Europa“, lautet das Fazit Bernd Vogenbecks, Programm-Manager des Körber History Forums, zum Deutsch-Polnischen Barometer 2018 der Körber-Stiftung. Wie passt das zusammen?

Es hört sich zunächst nach einem EU-Paradoxon, nach einer „Antinomie“ (Kant), also einem unauflösbaren Widerspruch an. Vergegenwärtigt man sich aber, dass die Polen „das Gefühl, Europäer zweiter Klasse zu sein“ haben, löst sich das scheinbare Paradoxon auf. Nicht der polnische Nationalstolz ist gekränkt, sondern das europäisch-polnische Verhältnis ist gestört. „Der Hass ist die Liebe, die gescheitert ist“, wusste bereits der dänische Existenzialphilosoph Søren Kierkegaard.

Europäisch-polnischen Katz-und-Maus-Spiele

Anstatt die polnische Zuneigung mit Speck zu fangen, stopften sich die Brüsseler Kätzchen damit ihre Bäuche voll, fauchten in Oberlehrermanier und fuhren, hier und dort, ihre Euro-Krallen raus. So verbot etwa die EU-Kommission den modernen Slawen, eine „Supermarktsteuer“ einzuführen, die polnische Tante-Emma-Läden gegenüber ausländischen Supermarktketten schützt, was das EU-Gericht jedoch anders bewertete. Wer letztendlich Recht erhält, zeigt zukünftig das Berufungsverfahren. 

Dieser Fall ist nur einer der etlichen europäisch-polnischen Katz-und-Maus-Spiele, die bereits 2015 mit dem Einzug der polnischen PiS-Partei als Regierungspartei in den Sejm kulminierte. Die clevere Maus zeigte nun, dass auch sie zu Streichen fähig war, lehnt sich seitdem gegen die Eurokraten auf, Schlagabtausch nach Schlagabtausch wechseln sich fortan ab, die Brüsseler Funktionäre, die Widerspruch nicht kennen, müssen sich offensichtlich noch immer hieran gewöhnen. 

Ob das europäische Projekt nun für die Katz ist, obschon die Polen gegen die EU wettern, bleibt, folgt man „Tom & Jerry“, unwahrscheinlich. Schon im deutschen Abspann heißt es mit den Worten Udo Jürgens

Vielen Dank für die Blumen,
vielen Dank, wie lieb von Dir,
manchmal spielt das Leben mit Dir gern Katz und Maus,
immer wird's das geben einer der trickst Dich aus,
vielen Dank für die Blumen, vielen Dank, wie lieb von Dir.

(Vielen Dank für die Blumen, Udo Jürgens)

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Rudolf George / 23.05.2019

Die Polen sind gewiss keine Antieuropäer. Ganz im Gegenteil. Sie wehren sich lediglich gegen die Fremdbestimmung, die vor allem ein deutsches Gesicht trägt, d.h. dass ANDERE definieren, was „Europa“ ist oder sein soll. Und da haben sie vollkommen recht: es ist ein Grundübel der deutschen Politik und ihr willfährig ergebenen Medienvertreter, anmaßend und arrogant dem Rest des Kontinents ihre Vorstellung aufzwingen zu wollen, bzw. so zu tun als wüssten allein sie, was für Europa gut ist.

Peer Munk / 23.05.2019

Ich verstehe nicht, was daran paradox sein soll, die EU zu kritisieren und für Europa zu sein. Hat sich die Autorin die Sicht der Eurokratenriege zu eigen gemacht -“Europa, das sind wir, und wir bestimmen, wo es langgeht”? Es ist doch keine neue Erkenntnis, dass gerade die Brüssler in ihrer Blase Europa schaden.

Frank van Rossum / 23.05.2019

Für mich nicht ausgeschlossen, dass die derzeitige Regierung Polens auch schon einmal über einen Austritt aus der EU nachgedacht hat. Es gibt allerdings ein Hindernis: Der Speck aus Brüssel, mit dem man Mäuse fängt- die ca. € 90 Mrd. Fördermittel bei einer Eigenleistung von ca. € 30,9 Mrd. (Quelle: MDR)

Dr. J. Commentz / 23.05.2019

@ karla kuhn: das hat schon vor Jahren Hans-Peter Martin aufgedeckt und angeprangert, Erfolg: alle haben ihn gehaßt, keiner hat sich gebessert.

Wolfgang Kaufmann / 23.05.2019

Solange sie die Illusion haben, fette Milliarden zu kassieren, werden sie Europa lieben. Sobald sie merken, dass sie dafür ihre Seele verkaufen müssen, werden sie sagen: cześć, na razie, pa. Zu Recht.

Karla Kuhn / 23.05.2019

“Auf den ersten Blick scheint es paradox zu sein, dass leidenschaftliche Europabefürworter wie Polen gegen die Europäische Union sind.”  Leidenschaftliche EUROPABEFÜRWORTER müssen nicht gleichzeitig- vor allem- für DIESE EU sein.  “Die clevere Maus zeigte nun, dass auch sie zu Streichen fähig war, lehnt sich seitdem gegen die Eurokraten auf, Schlagabtausch nach Schlagabtausch wechseln sich fortan ab, die Brüsseler Funktionäre, die Widerspruch nicht kennen, müssen sich offensichtlich noch immer hieran gewöhnen. ”  Auch wir BÜRGER sollten es der “cleveren Maus” gleich tun und ebenfalls diese “Funktionäre” mit Widersprüchen überhäufen. Es wird allerhöchste Zeit denen zu zeigen, daß sie für UNS da zusein haben !! Passend dazu habe ich heute ein Video von “explosiv weekend” moderiert von Nazan Eckes gesehen. Da wird einem akkreditiertem Journalisten das Haus verboten, weil er sich erlaubt hat, nach UNZULÄSSIG erschlichenen TAGESGELDERN von einigen Abgeordneten zu fragen. Er hat beobachtet, daß gerade freitags, etliche schon mit Koffern/Taschen erscheinen, sich das Tagesgeld bestätigen lassen aber dann aus dem Haus verschwinden. Diese Tagesgelder soll es aber nur geben,  wenn ABSTIMMUNGEN anstehen.  Abgesehen davon WARUM überhaupt Tagesgeld ?? Sie bekommen einen Lohn und andere Vergütungen, lt dem Video ca. 14.000 EURO pro Monat !!!  Jetzt kann ich auch verstehen WARUM viele nach Brüssel wollen. WARUM wird NICHTS dagegen unternommen ?? Für mich ist das BETRUG am STEUERZAHLER. Erstens muß die Zahl der Abgeordneten drastisch minimiert werden und die gesamte EU MUß  auf den Prüfstand. Die Polen lassen sich zum Glück nicht so vorführen !! Die Deutschen, bzw. viele davon. lassen sich eben alles gefallen und viele Politiker nicken dazu !!  WAS ist übrigens mit der ANZEIGE GEGEN SCHULZ wg. zu unrecht ergatterter Sitzungsgelder geworden ???  Wird da überhaupt ERMITTELT ??

Werner Arning / 23.05.2019

Nun gibt es Leute, und nicht nur in Polen, die möchten, dass Europa seinen ureigenen, europäischen Charakter behält. Dieser soll erkennbar bleiben. In vielen europäischen Innenstädten erkennt man diesen Charakter nämlich nicht mehr. Sie möchten die verschiedenen Identitäten Europas beibehalten und nicht aufgehen sehen in einem globalen Mix aus orientalischer Tradition und markenbewusstem Konsum. Sie lieben die Eigenarten und Besonderheiten verschiedener europäischer Kulturen. Und obwohl sie einsehen, dass man diese nicht auf ewig konservieren kann, wollen sie doch nicht gleich die Nationen abschaffen. Das geht ihnen zu schnell. Die Polen waren lange genug vom westlichen Europa getrennt und möchten es nun erst einmal in Ruhe kennenlernen, bevor es für immer verschwinden wird.

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