Bei einem Abendessen mit Freunden kam das Gespräch auf die Vorabendsendung „Gottschalk live“. Einer aus der Runde fand es abstoßend und zugleich anbiedernd, dass das Studio-Wohnzimmer mit dem Porträt eines Massenmörders dekoriert ist. Che Guevara ist doch längst Pop, konterte die frohgemute Tischgesellschaft. Das berühmte jesushafte Porträtbild sei heute das, was unseren Großeltern der „Röhrende Hirsch“ überm Sofa war: eine harmlose Geschmacksverirrung, die für nichts weiter steht als vollendete Ahnungslosigkeit. Stimmt nicht, wurde widersprochen, Guevara sei für viele Menschen immer noch die linke Lichtgestalt. Nur er und Rosa Luxemburg hätten den Sturz der roten Ikonen von 1989 überdauert, weil sie für das Gutgemeinte am Kommunismus stünden.
Aber warum ist ausgerechnet Guevara zum „Röhrenden Hirsch“ geworden, fragten wir uns. Die schnellste Erklärung lautete: Er war ein schöner Mann. Doch das blieb nicht lange unwidersprochen. Andreas Baader sah auch gut aus, brachte aber deutlich weniger Menschen um. Würde sich Gottschalk ein Bild von dem aufhängen? Kurzes Schweigen.
Guevara geht durch, lautete der nächste Versuch, weil das kubanische Regime lediglich mittelgrausam war und nicht Millionen Menschenleben vernichtete, wie in der Sowjetunion, China oder Kambodscha. Das trifft jedoch auch auf die DDR zu. Ein Honecker-Porträt hinter Gottschalk? Eher nicht.
Konsens gab es in die Frage, ob auch faschistische Führer zur Dekoration dienen dürften, etwas Pinochet oder Franco. Niemals! Aber die waren ja auch alt und hässlich. Dies führte auf die nächste Spur. Früher Tod verleiht Idolen ewige Jugend, das ist von Filmstars und Rockmusikern bekannt. Schließlich stellte jemand die Hypothese auf, das Guevara-Bild stehe für das, was Gottschalk mit seiner Sendung erreichen möchte: Generationenharmonie. Kein schlechter Gedanke. Während ein Beatles-Poster altbacken wirken würde, blieb der Mann mit der Baskenmütze irgendwie frisch. Er steht für eine rebellische Pose, mit der Jung und Alt gern kokettieren.
Derjenige, dem das Konterfei so missfiel, wusste übrigens am besten über Guevara bescheid. Er schilderte einige von dessen Taten und die Ist-doch-nur-Pop-Fraktion wurde etwas leiser. Die versöhnliche Schlussbetrachtung lautete: Für einen zynischen Gewaltmenschen mit ideologischem Sendungsbewusstsein ist es die gerechte Strafe, als „Röhrender Hirsch“ im deutschen Fernsehen zu enden. Und Gottschalk wurde durch die Quoten bestraft.
Erschienen in DIE WELT am 10.02.2012