Christoph Rothenberg, Gastautor / 17.12.2019 / 06:25 / Foto: NARA / 52 / Seite ausdrucken

Blacklisted

Von Christoph Rothenberg.

Zwei Wochen vor Weihnachten steigt in den Straßen von New York die Vorfreude auf das Fest der Liebe. Ein älterer Mann verabschiedet die letzten Gäste seiner nachträglichen Geburtstagsfeier, spült eine Packung Schlafmittel mit Whiskey runter und stirbt. 

Was klingen mag wie der Beginn einer modernen Haltungsgeschichte, ist ein Blick in den Rückspiegel. Ein Bericht über einen bemerkenswerten Mann und seine Zeit. Ein Bericht darüber, wie die Haltung der Eifrigen und das Schweigen der Opportunisten einen unangepassten, integren Menschen vernichteten. Einen Menschen, dessen Name Bartley C. Crum und dessen einziges Verbrechen seine Überzeugung war. Er wurde eines von zahllosen Opfern einer Hetzjagd, die als Rote Angst und als McCarthy Ära im Gedächtnis bleiben wird. Der Bericht und seine Geschichte werden 1959 in New York enden und sollen heute erzählt werden; auch damit sie nicht 2019 in Berlin ihre Fortsetzung finden. 

Es beginnt am 27. Oktober 1947. Das Komitee für unamerikanische Umtriebe des US Repräsentantenhauses führt seit einer Woche eine öffentliche Untersuchung zur befürchteten Kommunistischen Unterwanderung der Filmindustrie. Nachdem in der Woche zuvor verschiedene einflussreiche Hollywoodgrößen wie Walt Disney, Gary Cooper oder Ronald Reagan als „friendly witnesses“, als die „Guten“ und Kronzeugen der vermeintlichen Kommunistischen Verschwörung gehört worden waren, sind jetzt zehn “Rote“, die Hollywood Ten, an der Reihe.

Spätestens jetzt geht es nicht mehr um Erkenntnisgewinn oder eine unvoreingenommene Untersuchung. Im Scheinwerferlicht der Kameras findet der erste Schritt einer Hexenjagd statt, die binnen weniger Wochen zur Einrichtung einer Schwarzen Liste für tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten führen wird. Es geht um Eitelkeiten, um Angst, um Einschüchterung und um Vernichtung des politischen Gegners. Die Hollywood Ten, offiziell als „unfriendly witnesses“ und tatsächlich als Opfer vorgeladen, weigern sich zu erklären, ob sie Kommunisten sind oder waren. Sie weigern sich, andere als Kommunisten zu denunzieren. Sie berufen sich auf ihre Meinungsfreiheit. 

Sie haben keine Chance. Am Ende der Woche werden alle zehn zu Haft- und Geldstrafen und zur jahrelangen öffentlichen Ächtung verurteilt sein. Wenige Wochen später werden Hollywoods Studiobosse bekanntgeben, dass keiner, der sich nicht unter Eid vom Kommunismus distanziert, mehr in Hollywood arbeiten wird. Die Blacklist ist geboren. Hunderte werden zu Opfern. Die Hollywood Ten waren die ersten Opfer. Bartley C. Crum war einer ihrer Anwälte. 

Ein Irrtum, den er bitter bezahlen würde

Er war ein Mann mit vielen Eigenschaften: Anwalt, Bestsellerautor, Zeitungsherausgeber, Berater von Hollywoodstars und US-Präsidenten. Ein Idealist und Freigeist. Ein Mann, der zeitlebens glaubte, dass das Recht der Meinungsfreiheit und die Verfassung der Vereinigten Staaten ihn schützen würden. Ein Mann, der nicht glauben mochte, dass die bloße Verteidigung von Mandanten und Idealen ihn zum Verfolgten machen könnten. Ein Irrtum, den er bitter bezahlen würde.

Was mag diesem Mann durch den Kopf gegangen sein, als unter den Scheinwerfern der versammelten Presse Leben und Existenzen seiner Mandanten zerstört wurden. Als ihnen die Möglichkeit genommen wurde, sich zu erklären. Was mag er gedacht haben als Anwalt, der miterleben musste, wie Grundsätzen der Verfassung und des fairen Verfahrens ihr Inhalt geraubt und ein Parlamentsausschuss zum Inquisitionstribunal gemacht wurde; als Journalist, der sah, wie die Hexenjagd aus dem Inquisitionstribunal in die Öffentlichkeit getragen wurde, um Existenzen zu zerstören und Angst zu säen; als Politiker, der zeitlebens für die Freiheit der Meinung und des Diskurses gekämpft hatte und nun mit ansehen musste, wie diese Freiheit Schritt für Schritt starb. 

Was mag er gedacht haben als integrer Mensch, der zusehen musste, wie sein amerikanischer Traum zum Albtraum wurde. Ein anderes späteres Opfer gibt seine Antwort: Es war wie „ein Traum, der mit etwas Lächerlichem beginnt, um sich dann zu Schrecken und Terror zu verzweigen, zu wuchern, zu kriechen, zu einem Albtraum zu wachsen.“ 

Zu einem Albtraum, in dem aus komplexen Schriften einzelne Sätze herausgebrochen und verdreht werden, um den Verfasser öffentlich zu denunzieren. Ein Albtraum, in dem ein Lächeln an der falschen Stelle ausreichen kann, zum Opfer zu werden. In einem solchen Albtraum wird auch der Anwalt zum Sympathisanten denunziert, wird jeder Verteidiger schnell zum Verdächtigen, jeder Kritiker zum Feind.

Wie vermeintliche Freunde ihm den Rücken zudrehten

Bartley Crum erging es nicht anders. Er wurde als Verteidiger der Gegner des Systems zur Zielscheibe der Verfolgung.  Seine Tochter erinnert sich heute, 70 Jahre später, wie er aufgrund seines Einsatzes für die Redefreiheit in der öffentlichen Hexenjagd als Feind und Sympathisant gebrandmarkt wurde und seine wichtigsten Mandanten verlor. Wie vermeintliche Freunde ihm den Rücken zudrehten, wenn er den Fahrstuhl betrat. Wie er öffentlich so sehr verfolgt wurde, dass er beim abendlichen Spaziergang über einen FBI Spitzel, der im Gebüsch lauerte, stolperte. Er wurde vom Gegner der Hexenjagd zu ihrem Angeklagten und Opfer. Als vermeintlicher Sympathisant wurde er abgehört, geschnitten und seiner Reisefreiheit beraubt. Jeder seiner Schritte wurde verfolgt und in seitenlangen Akten akribisch dokumentiert. 

Wie schwer muss ein solcher Druck auf dem Opfer der Verfolgung lasten? 

Auf Bartley Crum lastete dieser Druck so schwer, dass er zunehmend zu Alkohol und Zigaretten griff, um ihn ertragen zu können. Schließlich aber half auch dies nichts mehr, und er selbst wurde zum Täter, der andere verriet, um der Verfolgung zu entkommen. Alle Fähigkeiten, Verbindungen und Taten konnten Bartley Crum in den aufgeheizten Tagen der Hexenjagd nicht davor schützen, stigmatisiert, verfolgt und denunziert zu werden. Vom Druck der Verfolgung und vom Missbrauch von Alkohol und Medikamenten gezeichnet, wurde das Opfer selbst zum Täter gegen seine eigenen Ideale. Der Albtraum, in dem er gefangen war, erlaubte keinen Unterschied mehr zwischen Opfer und Täter. 

Jahre später sagte Dalton Trumbo, einer der Hollywood Ten, dazu:

Die schwarze Liste war eine Zeit des Bösen, die keinen, der sie überlebte, gleich auf welcher Seite er stand, unversehrt gelassen hat. Jeder reagierte, wie es seine Natur, seine Bedürfnisse, seine spezielle Überzeugung diktierte. Es wird nichts Gutes bringen, nach Schurken, oder Helden oder Heiligen zu suchen … denn es gab keine; es gab nur Opfer. Das ist, warum keiner von uns – sei er rechts, links, oder in der Mitte – aus jenem langen Albtraum ohne Sünde herauskam.

Bartley C. Crum, ein bemerkenswerter Mann, überlebte den Albtraum nicht. Und auch der Namensgeber der dunklen Zeit, Senator Joseph McCarthy, wurde zu ihrem Opfer. Als der Widerstand wuchs, als die Stimmen der Opfer lauter wurden und sich erst einige und dann immer mehr Menschen trauten, gegen das Unrecht „Erklärungen des Gewissens“ öffentlich zu machen, flüchtete auch er aus dem Albtraum, den er mit geschaffen hatte, in Alkohol, Drogen und letztlich den Tod. Joseph McCarthy starb gut zwei Jahre vor Bartley Crum. Für Bartley Crum aber kam dieses Ende der Ära zu spät; er war bereits ein gebrochener Mann. 

„Furcht, Ignoranz, Bigotterie und Hetze“

Beide waren Täter und Opfer einer „Zeit des Bösen“, in der Meinungskampf zum Meinungskrieg geworden war, in der „Furcht, Ignoranz, Bigotterie und Hetze“ zu Waffen gemacht worden waren, den Gegner zu vernichten und einzuschüchtern. 

Mit einer Flasche Schlafmittel enden vor sechzig Jahren ein bemerkenswertes Leben und eine außergewöhnliche Geschichte. Ein Leben und ein Tod, die zeigen: Es ist nicht der Furor und die Engstirnigkeit der ideologisch Reinen und selbsterklärt Gerechten, es ist die Gleichgültigkeit, die Angst und der Opportunismus der Schweigenden, die einen Albtraum ermöglichen und wachsen lassen.

Der Schluss dieses Berichts über einen außergewöhnlichen Mann, der an den Geschehnissen zerbrach und zu ihrem Opfer wurde, gehört einem anderen Opfer der Hexenjagd, das die Kraft, die Zeit und die Möglichkeit fand, sich zu wehren: 

Es kann mir passieren, es kann Ihnen passieren und es kann hier passieren.

Hat es schon angefangen?

Christoph Rothenberg, Jahrgang 1970 geboren, war unter anderem als Bankkaufmann, Vorstandsreferent, Unternehmensberater und Geschäftsführer tätig und ist seit 2001 Rechtsanwalt und Mediator in Hamburg. 

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Leserpost

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Thomas Weidner / 17.12.2019

Nur blöde, dass z.B. Hollywood heute durch und durch kommunistisch ist. Man kann gegen McCarthy beliebig viel anführen: Was der bekämpft hat, waren alles Verfassungsfeinde, die in ihrer schieren Masse jetzt die USA - letztlich - zu dominieren versuchen und viele Gebiete schon erobert haben, z.B. die Universitäten, Kalifornien, usw., usw. Ohne Wehrhaftigkeit geht jeder freiheitlich bürgerlich-demokratische Rechtsstaat - letztlich - unter.

Ilona Grimm / 17.12.2019

Sehr gut, Herr Rothenberg, dass Sie uns an dieses düstere Kapitel der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts erinnern. Zwischen den beiden prominenten Gestalten, die sich auf unterschiedlichen Seiten bekämpft haben und dann beide zu Opfern des Hasses geworden sind, hat es ungezählte andere vernichtete Existenzen (mit oder ohne Suizid) gegeben, von denen wir nie gehört haben. Und wenn wir nicht ganz schnell einen dicken Ast ins Getriebe werfen, werden die bei uns aufgenommenen Hexenjagden (Maßen, Sarrazin etc. und die gesamte AfD) weiter um sich greifen. Merkel und ihr Regime müssen weg! Im Guten, solange es noch geht.

Wolf-Dieter Busch / 17.12.2019

Sehr guter Artikel, Danke.

Bernhard Maxara / 17.12.2019

Ein sehr angebrachtes Memorandum, das eigentlich auch in die großen Zeitungen gehört. Herzlichen Dank!

Ralf Pöhling / 17.12.2019

Hat es schon angefangen? Wenn unser Bundesinnenminister gedenkt, den öffentlichen Dienst zukünftig von “rechtsradikalen” Umtrieben säubern zu müssen, kann man diese Frage eindeutig mit ja beantworten. Der Apparat wehrt sich mehr und mehr gegen die Unfähigkeit und die fortwährenden Fehlentscheidungen seiner Verantwortungsträger und die Abweichler sollen deshalb als “rechts” stigmatisiert und der Rest des Apparates so diszipliniert und mundtot gemacht werden. Wird nicht funktionieren, denn die Wahrheit ist nicht “rechts” und die Führungsspitzen dieses Landes sind keine fehlerfreien Musterknaben, die die Wahrheit für sich gepachtet haben.

Rolf Lindner / 17.12.2019

Um die Parallelen zur Entwicklung in Deutschland braucht hier nicht herumgeredet zu werden. Was in der McCarthy-Ära die vermeintlichen Kommunisten waren, sind heute die vermeintlichen Rechten. Im Geheimen werden die Listen garantiert schon geführt. Sein Bekenntnis gegen rechts gibt man heute nicht in Form einer Unterschrift ab, sondern in Bekennerveröffentlichungen jeder Art und Form in regierungskriechischen Medien und durch Teilnahme an pseudospontanen Demonstrationen sowie sonstigen Auftritten als Künstler oder was auch immer. Existenzen werden auch schon vernichtet. So gehört es inzwischen zur Verleugnung des Selbsterhaltungstriebes, wenn man den angeblichen Rechten ein Forum bietet. Wie damals Ansätze zur Regierungskritik den wenigen wirklichen Kommunisten zugeordnet wurden, werden sie heute automatisch als rechts, rechtspopulistisch oder gar rechtsextrem eingestuft. Abgesehen vom zumindest vorläufig noch nicht erreichten Ausmaß der damaligen Verfolgungen, könnte man an eine Umkehr der Verhältnisse denken, weil der Unterschied darin besteht, dass damals die Träumer verfolgt wurden, während hier und heute allein die Artikulation von Tatsachen Ziel von Verfolgungen durch Träumer ist. Angesichts der unermesslichen Zahl der Menschen und Werte, die Opfer von an die Macht gelangten Träumern der nationalen oder internationalen Art wurden, ist die Versuchung groß, McCarthy im Nachhinein recht zu geben. Vielleicht hat jedoch gerade die Holzhammermethode die Träumer groß gemacht? Große Frage: Was passiert, wenn der der Realität zugewandte Teil des politischen Spektrums die Oberhand gewinnt? Vorläufig bleibt nichts anderes übrig, als den rosa Elefanten im Raum immer wieder einen rosa Elefanten zu nennen.

Andreas Scheicher / 17.12.2019

Sehr schön die Parallelen aufgezeigt. Auch hier wird die Ära Merkel sehr bald beendet sein.

Sabine Ehrke / 17.12.2019

Sehr geehrter Herr Rothenberg, dem ist nur eines noch, aus eigener Erfahrung von heute und von vor 40 Jahren, hinzuzufügen und wird Ausmaße annehmen, welche wir uns auch in der DDR nicht hätten ausmahlen können: es hat nicht nur schon angefangen, es ist bereits fortgeschritten.

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