Wie hätten es vier Männer und eine 75-jährige Rädelsführerin schaffen wollen, einen Staatsstreich zu organisieren und das Deutsche Reich von 1871 wiederherzustellen? Der Generalbundesanwalt hat es ermittelt.
Am Montag wurde in nahezu allen Medien als Eilmeldung verbreitet, was die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts ganz nüchtern so einleitet:
„Die Bundesanwaltschaft hat am 16. Januar 2023 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz Anklage gegen die deutschen Staatsangehörigen
Sven B., Michael H., Thomas K., Thomas O. und Elisabeth R. erhoben. Die Angeschuldigten sind hinreichend verdächtig, eine inländische terroristische Vereinigung gegründet oder sich darin mitgliedschaftlich betätigt zu haben.“
Diese fünf Terroristen wurden in den Medien schon anläßlich ihrer Verhaftung im letzten Jahr in den Medien viel besprochen, vor allem wegen ihres angeblichen Plans, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Doch nicht nur das wurde seinerzeit bekannt gemacht. Über die einzige Frau in diesem Terror-Zirkel berichtete beispielsweise der Spiegel:
„Nach SPIEGEL-Informationen handelt es sich bei der Verdächtigen um die 75-jährige Elisabeth R. aus Mittelsachsen. Die Ermittler schreiben ihr eine ideologische Führungsrolle innerhalb der Gruppierung zu. Wie der SPIEGEL aus Ermittlerkreisen erfuhr, soll R. dem administrativen Arm der Bewegung vorgestanden haben. Daneben soll es einen militärischen Arm gegeben haben. Die Entführung Lauterbachs sollte nach Aussagen von Gruppenmitgliedern der Auftakt zu einem Staatsstreich sein.“
Was haben die Sicherheitsbehörden verhindert?
Einen Staatsstreich hatte diese Handvoll Möchtegern-Putschisten also geplant? Also wirklich ernsthaft geplant und nicht bloß herumgesponnen? Wie hätten die das denn schaffen wollen? Diese Fragen hatten viele Menschen seinerzeit beschäftigt, und weil es darauf keine befriedigenden Antworten gab, nahm das Publikum die von diesem Grüppchen ausgehende Gefahr gar nicht hinreichend ernst. Manche Zeitgenossen äußerten gar, dass Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt gar nicht angemessen wären. Werden sie das noch immer sagen, wenn sie jetzt lesen können, dass die Bundesanwaltschaft ermittelt hat, wie der Putsch der sächsischen Elisabeth und ihren Anhängern vonstatten gegangen wäre, wenn ihn die deutschen Sicherheitsbehörden nicht verhindert hätten? Am besten, Sie lesen es selbst im bundesanwaltlichen Originalton, bzw. in der Fassung der Pressesprecherin der Behörde. Vielleicht glauben Sie dann, dass das eine Gebrauchsanweisung für einen modernen deutschen Putsch gewesen sein könnte.
„Die Angeschuldigten schlossen sich spätestens Mitte Januar 2022 zu einer Gruppierung zusammen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, mittels Gewalt sowie zumindest unter Inkaufnahme von Todesopfern in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen und damit den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen. Hintergrund ist, dass die Angeschuldigten einer – maßgeblich durch Elisabeth R. geprägten – Ideologie folgen, nach der die auf dem Grundgesetz beruhende staatliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland keine Geltung beanspruchen könne. Vielmehr existiere das Deutsche Reich auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter. Daher müsse hier wieder ein autoritär geprägtes Regierungssystem nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs etabliert werden.
Um die Staatsgewalt in Deutschland zu übernehmen, trafen die Angeschuldigten zunehmend konkrete Vorbereitungen. Die Vereinigung organisierte sich in zwei verschiedenen Armen. Sven B., Thomas K. und Thomas O. gehörten zum operativen „militärischen Zweig“, während Elisabeth R. und Michael H. sich in den „administrativen Zweig“ einbrachten. Die Gruppierung entwarf einen dreistufigen Aktionsplan, der miteinander verzahnte Maßnahmen vorsah: Zunächst sollte durch die Beschädigung oder Zerstörung wichtiger Einrichtungen zur Stromversorgung ein längerdauernder bundesweiter Stromausfall („Blackout“) verursacht werden. Sodann sei ein hochrangiger Regierungsvertreter, namentlich der amtierende Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, gegebenenfalls nach Tötung seiner Personenschützer, gewaltsam zu entführen. Die daraus nach Vorstellung der Angeschuldigten resultierenden bürgerkriegsähnlichen Zustände sollten es der Vereinigung schließlich ermöglichen, in Berlin öffentlichkeitswirksam eine „konstituierende Versammlung“ anzuberaumen, welche die bisherige Regierung offiziell absetzen und eine neue „Führungsperson“ bestimmen würde. Für die Zeit nach der geplanten Machtübernahme war vorgesehen, dass Sven B., Michael H., Thomas O. und Elisabeth R. zentrale Funktionen in der neuen Exekutive wahrnehmen.
Zur Realisierung ihrer Umsturzpläne suchten Sven B. und Thomas O. schon spätestens seit Oktober 2021 in verschiedenen Telegram-Chatgruppen nach Unterstützung. Zwischen Mitte Dezember 2021 und Mitte Februar 2022 fanden unter wechselnder Beteiligung aller Angeschuldigten insgesamt vier Zusammenkünfte in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen statt. Im Rahmen dieser Treffen wurde das weitere konkrete Vorgehen geplant und fortentwickelt. Dabei waren zum Teil weitere mutmaßlich gleichgesinnte Personen anwesend, von denen man sich eine Beteiligung versprach.“
Wie stark war der „militärische Arm“?
Man wüsste jetzt natürlich gern, durch wie viele weitere Terroristen der drei Mann starke „militärische Arm“ verstärkt werden sollte. Aber dieses Täterwissen wollen die Ermittler vielleicht noch nicht mit uns teilen, wahrscheinlich wegen der noch folgenden zahlreichen Ermittlungsverfahren. Denn was sich die Möchtegern-Putschisten hier vorgenommen haben, klingt auch bei größter krimineller Energie für drei oder vier Mann reichlich ambitioniert:
„Thomas O. war federführend für die Planung des „Blackout“ zuständig. Hierzu kundschaftete er mehrere aus seiner Sicht anschlagsgeeignete Objekte aus und beschaffte sich Kartenmaterial zur Strominfrastruktur. Sven B. nahm für sich innerhalb des „militärischen Zweigs“ eine Führungsposition in Anspruch. Er sollte die Entführung von Prof. Dr. Karl Lauterbach leiten und mit militärischen Mitteln den Zusammentritt der „konstituierenden Versammlung“ absichern. Thomas O. und Sven B. versuchten, Waffen und Sprengstoff für die Vereinigung zu beschaffen. Mehrere Tonnen wollten sie aus dem ehemaligen Jugoslawien einführen. Sven B. war in den Transfer von Finanzmitteln für den Waffenerwerb involviert und steuerte auch eigene Vermögenswerte bei. Thomas O. wurde festgenommen, nachdem er zwei vollautomatische Sturmgewehre des Typs AK 47 sowie vier Kurzwaffen der Marke Glock nebst Munition bestellt und erhalten hatte.“
Also waren noch ein paar Mittäter fest eingeplant. Beispielsweise auch Doppelgänger des Bundespräsidenten und/ oder Bundeskanzlers, bzw. geeignete Schauspieler.
„Michael H. war unter anderem damit betraut, unmittelbar vor der Anberaumung der „konstituierenden Versammlung“ eine sogenannte „False Flag“-Aktion zu inszenieren, bei der ein Schauspieler den amtierenden Bundespräsidenten oder Bundeskanzler in einer Live-Sendung im Fernsehen imitieren und verlautbaren sollte, dass die Bundesregierung abgesetzt sei und nunmehr wieder die Verfassung von 1871 gelte. Elisabeth R. war gemeinsam mit Sven B., Michael M. und Thomas T. mit der Anwerbung potentieller Vereinigungsmitglieder befasst. Sie drang auf eine rasche Umsetzung des Vorhabens und nannte dazu wiederholt bestimmte Termine. Zudem verfasste sie diverse Schriftstücke, die bei den geplanten Aktionen Verwendung finden sollten.
Thomas K. stellte eine Beteiligung an der Umsetzung des Vereinigungsziels mit eigenen Schusswaffen in Aussicht. Ihm war eine Rolle bei der Verursachung von Stromausfällen zugedacht.“
Natürlich kenne ich die Angeklagten nicht. Es kann also durchaus sein, dass Sven B., Michael H., Thomas K., Thomas O. und Elisabeth R. äußerst unangenehme, gewalttätige oder potenziell gewalttätige Zeitgenossen sind, denen man gönnen würde, dass sich die Justiz mit ihnen beschäftigt. Es kann wirklich sein, dass sie von Entführung, Terror und Staatsstreich träumten und für diesen absurden Traum zu schlimmsten Verbrechen bereit waren. Aber darf man den Eindruck erwecken, als wären die Strukturen der Bundesrepublik so schwach, dass dieses Grüppchen wirklich staatsgefährdend hätte sein können? Immerhin ließe sich diese Geschichte zu einem guten Drehbuch entwickeln. Vielleicht sogar zu einer Serie. Die Idee zur nächsten Staffel lesen wir dann, wenn Anklage gegen Prinz Heinrich und seine Reichsbürger erhoben wird.