Nathan Warszawski
Anlässlich der Woche der Brüderlichkeit 2013 hat Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff aus Aachen eine lebendige Erinnerungskultur gefordert. Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff ist Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz.
Die gesamte Festrede von Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff:
http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2012/2013-044a-Eroeffnung-Woche-der-Bruederlichkeit_Festrede-B-Mussinghoff.pdf
Die Rede des Bischofs endet mit einem Lob auf die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, deren Mitglied er in Aachen ist. Wichtig sind die Kernsätze seiner Rede (hervorgehoben durch den Artikelschreiber):
Das Gedenken der Shoah verpflichtet uns, die Würde und die Rechte jedes Menschen zu achten.
Bestand das Ungeheuerliche nicht darin, dass das moralische Band der Solidarität zwischen allem, was Menschenantlitz trägt, nicht nur wie so oft in der Geschichte beschädigt, sondern bewusst durchschnitten wurde und bestimmten Gruppen von Menschen wie den Juden ihr Menschsein abgesprochen wurde? Wenn die Shoah sich nicht wiederholen soll, ist es unsere vordringlichste Pflicht, dieses moralische Band der Solidarität immer stärker zu knüpfen und allen Versuchen, es zu beschädigen oder gar durchzureißen, mit Entschiedenheit und Konsequenz entgegenzutreten. Es bleibt unsere Aufgabe, im anderen das Bild Gottes zu erkennen, auch wenn er eine andere Hautfarbe hat, einer anderen Kultur oder Religion angehört oder eine andere Lebensweise pflegt, und den gegenseitigen Respekt und das Verständnis zwischen den verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft zu fördern. Nur dann wird das moralische Band der Solidarität auch in sozialen Krisen und Konflikten Bestand haben.
Werden die Sätze nur gehört, so bleibt wenig erinnerlich. Der durchschnittliche Zuhörer der Festrede ist nicht in der Lage, das Gehörte in einfache Worten zu fassen. Nun darf man entgegnen, dass zu solch feierlichen Anlässen wie der Woche der Brüderlichkeit vieles gesagt wird, was nicht auf die Goldwaage gewuchtet werden soll. Doch trotz oder wegen ihrer langen und leidvollen Geschichte unterschätzen Juden das Gewicht geschriebener Worte. In Johannes 8:44 werden sie als Kinder des Teufels, in den Suren 2:65, 5:60 und 7:166 als Affen und Schweine bezeichnet. Bis heute sind diese ungetilgten Worte in diversen Heiligen Schriften mit unangenehmen bis tödlichen Konsequenzen für Juden behaftet,
Nun hat eine Festrede anlässlich einer Woche der Brüderlichkeit im Jahrhundert der digitalen Information nicht dieselbe Wertigkeit wie das Neue Testament und der Koran, die in keinem frommen Haus fehlen, zuweilen das einzige erlaubte gedruckte Schriftstück darstellen. Da die Woche der Brüderlichkeit nie im deutschen Mainstream ankam, sind die Festredenworte einem kleinen Kreis vorbehalten, der weiß, wie man deuten muss.
Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Deutschland wurden nach dem Krieg als Folge des Holocaust und auf Wunsch oder Druck der angelsächsischen Siegermächte gegründet. Die USA wollten ein erneutes Judenmorden verhindern, indem sie die nicht-jüdischen Deutschen zwangen, mit Juden an einem Tisch zu sitzen, ohne sie zu demütigen oder zu töten. Leider hatten die USA vergessen, dass es nach 1945 in Deutschland kaum noch Juden gab.
Der Wunsch nach mehr Juden scheint sich 1989 zu erfüllen. Deutschland ermöglicht Juden die Einreise aus der zerfallenen Sowjetunion. 300.000 Juden kommen, 200.000 Juden lösen sich kurz danach in Schall und Rauch auf. Somit werden dem Jüdischen Staat Israel 200.000 – 300.000 Juden entzogen. Bis heute sind viele deutsche Synagogenvorsteher stolz auf diesen Umstand.
Zurück zur Festrede.
Holocaust ist das Opfern von Juden aus Sicht der Nicht-Juden. Shoah ist das Morden von Juden aus Sicht der Juden. Shoah ist kein beliebiger Völkermord, sondern der Versuch der Ausrottung von Juden.
Der Aachener Bischof schreibt und spricht, dass wir den Fremden, der kein Jude zu sein braucht (andere Hautfarbe), als Mitmenschen, einen wie wir selbst, betrachten müssen, damit nicht erneut Juden in großer Zahl gemordet werden. Wen versteht der Bischof unter „wir“? Alle in Deutschland Lebenden, seien sie Juden, Antisemiten, Antizionisten oder gegenüber Juden neutrale Nicht-Juden? Wahrscheinlich meint er die wegschauenden Christen, Atheisten und Muslime, da Antisemiten und Antizionisten für seine Worte nicht empfänglich sind und sie nicht verstehen. Oder die wenigen christlichen Mitglieder der GCJZ. Ein Appell mit minimaler Wirkung, dessen Erwähnung (s.o.) sich im Unwichtigen verliert?
Versteht der Bischof unter „wir“ die Juden, so wird der Satz der Festrede eher verständlich:
Wenn die Juden wollen, dass sie nicht erneut verfolgt und ermordet werden, dann müssen sie den Fremden, der kein Jude ist, als Menschen betrachten und ihn entsprechend behandeln. Andernfalls riskieren sie eine Wiederholung der Shoah.