In den letzten Tagen ging sie wieder durch die Presse: Die Meldung über die Erklärung von Klimaforschern, die auf den ersten Blick etwas absurd klingt: Eine menschengemachte Klimaerwärmung sei verantwortlich dafür, dass die Winter in Mitteleuropa immer kälter würden. Aus dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hört man so etwas zum Beispiel.
Das klingt widersinnig. Immerhin: Es könnte sich zwar ein logischer Zusammenhang dahinter verbergen, den ich hier darlegen will. Aber ich will auch zeigen, warum er mit großer Vorsicht zu genießen ist. Vielmehr scheint nämlich doch ein anderer Zusammenhang zu gelten: Der Winter ist kalt, weil es kalt ist.
Die Theorie des PIK lautet folgendermaßen: 1. Weil es wärmer wird, schmilzt das arktische Meeres-Eis. 2. Weil aber das Meer dunkler ist als das glitzernde Eis, wird nun im hohen Norden weniger Sonneneinstrahlung zurück ins All reflektiert, der nördlichste Nordatlantik wird wärmer, der „Albedo“-Effekt ist geringer). 3. Dadurch wird der Unterschied zwischen dem arktischen und dem tropischen Atlantik, zwischen dem Islandtief und dem Azorenhoch geringer, die „Nordatlantische Oszillation“ (NAO) schwächt sich ab. 5. Diese Oszillation aber macht die Kraft aus, mit der der Atlantik unser Wetter bestimmt. Schwächelt sie, sind wir hier witterungsmäßig nicht mehr dem milden atlantischen Westen ausgeliefert, sondern dem kontinentalen Osten. 6. So wird es im Sommer heiß und im Winter kalt, wobei sich der Effekt vor allem im Winter bemerkbar macht. So weit die Theorie. Klingt beeindruckend.
Dazu lassen sich nun aber gleich mehrere Dinge sagen. Zunächst ein formaler Einwand:
1. Das Ganze hätte glaubwürdiger geklungen, wenn es nicht eine nachlaufende Theorie wäre: Jahrelang haben nämlich Klimaforscher wie vor allem der Hamburger Mojib Latif aber auch Kollegen aus dem PIK erklärt, dass die Winter immer milder werden, ja, dass wir bald gar keine mehr haben würden, nur weil in den 90er Jahren weniger Schnee fiel. Jetzt, da sich uns seit dem vergangenen Jahrzehnt die mitteleuropäischen Winter immer frostiger präsentieren, da das Ganze nach periodischer Schwankung aussieht und die Klimatheoretiker widerlegt zu werden drohten, musste eine Erklärung her. Da kam die Entdeckung mit dem Albedoeffekt und der NAO also wie gerufen.
2. Man muss dazu sagen, dass die heute um Glaubwürdigkeit ringenden Klimaforscher in früheren Jahren, als Meteorologen in den 90er Jahren die zyklischen NAO-Schwankungen für die wärmeren Winter verantwortlich machten, diese Lesart immer heftig bekämpften und außer der menschengemachten Klimaerwärmung keine Ursachen zulassen wollten.
3. Zu spät für eine glaubwürdige Wende, könnte man also sagen. Dies auch aus einem anderen Grund: Es ist seit gut eineinhalb Jahrzehnten im globalen Durchschnitt nicht mehr wärmer geworden. Dies obwohl die CO2-Emissionen währenddessen weiter anstiegen und die Konzentration inzwischen schon fast bei 400 ppm (Millionstel Teile) liegt – die Temperatur stagniert hartnäckig. Wenn aber gerade nun erst, im Sommer 2012, das Meereis in der Arktis im Rekordmaß zurückgeschmolzen ist, so dürfte das also schon aus diesem Grund wohl kaum auf einen menschengemachten Klimawandel zurückzuführen sein sondern auf die ganz besonderen, vom übrigen Globus offenbar abgekoppelten Klimabedingungen und -entwicklungen in der Arktis, die völlig ungeklärt sind. Das heißt: Selbst wenn die PIK-Theorie in sich funktioniert, sind die ihr zugrunde liegenden Annahmen dennoch zweifelhaft.
4. Dieser jetzige Rekordwinter mit einem März wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen findet statt zu einer Zeit, da das Meereis vergangenen Herbst und Winter längst wiederum in einem Rekordtempo auf ein Normalmaß (im unteren Bereich des langjährigen Mittels) zurückgefroren ist und nun das - im März noch spärliche und auf die niedrigeren arktischen Breiten beschränkte - Sonnenlicht wieder im normalen Maße zurückwerfen kann (Albedo). Hierzu eine leichte Einschränkung: Großwetterlagen sind träge, theoretisch könnte sich also ein Effekt noch vom vergangenen Herbst herübergerettet haben. Tatsache ist, dass die NAO derzeit sehr stark im negativen Bereich ist. Und der Osten in der Tat auch derzeit die Kälte zu uns schickt. Aber was sagt uns das wirklich?
5. Die PIK-Theorie geht grundsätzlich von einer anhaltenden globalen Erwärmung aus. Dies würde für unsere Winter bedeuten, dass wir einerseits zwar stärker einer stets kalten Ostwetterlage ausgesetzt wären, der Osten für sich genommen aber nicht mehr ganz so kalt wie früher wäre – wegen Klimawandel, angeblich. Genau dies aber trifft für diesen Winter eben nicht zu. Wir bekommen Kälte aus dem Osten, der in diesem Winter überdurchschnittlich kalt war und ist, und genau deshalb ist es bei uns auch besonders kalt, wie zum Beispiel der Wiesbadener Meteorologe Dominik Jung von wetter.net betont. Viele Hundert Kältetote hat Russland in diesem Winter zu beklagen, eine Eiswalze traf das Land mit bis zu 57 Grad Minus, die auch den Verkehr in vielfacher Hinsicht lahm legte.
6. Es ist ja nicht so, dass wir zu früheren Winterszeiten, auch, als das Eis rund um den Nordpol noch „in Ordnung“ war, noch nie Ostwetterlage gehabt hätten. Wir kennen das doch, so etwas brachte uns immer eisige Tage. Dieses Jahr aber ist diese Ostwetterlage nicht wegen des schwindenden Albedoeffektes und einer schwächelnden NAO besonders eisig, sondern aus einem anderen, ganz einfachen Grund: Es ist auch im Osten sehr, sehr kalt. Von einer Klimaerwärmung weit und breit nichts zu spüren. Von einer, die uns hier die Kälte heranschaffen würde, schon gar nicht.
Ganz nebenbei: Aus dem PIK kommen derzeit auch Stimmen, die den abgelaufenen Winter als ganz normal oder sogar zu warm bezeichnen – im Vergleich zum sogenannten langjährigen Mittel. Da nehmen die PIK-Forscher - wie leider viele andere auch – aber nicht das langjährige Mittel unserer Zeit, sondern Jahre, die weit zurückliegen. Eine Aussage ohne Aussage, aber dazu in einer der nächsten Einträge in meinem Blog “Donner und Doria”.
Summasummarum: Die Theorie des PIK ist zwar nicht unlogisch. Sie kann uns aber für die derzeitige Winterlage nur sehr bedingt Auskunft geben. Sie klingt wie das, was sie ist: eine sehr, sehr defensive Erklärung.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT