Gastautor / 12.09.2012 / 22:10 / 0 / Seite ausdrucken

Hindenburg und Luther

Oliver Grote

Seit einiger Zeit trübt ein Streit um einen öffentlichen Platz das Idyll der westfälischen Provinzmetropole Münster und spaltet die dortige Bürgerschaft: Im März hatte der Stadtrat beschlossen, den Hindenburgplatz in Schlossplatz umzubenennen, weil es seinem Namensgeber Paul von Hindenburg jeglicher Vorbildfunktion ermangele – so Oberbürgermeister Markus Lewe. Eine Bürgerinitiative setzte sich jedoch für die Beibehaltung des vertrauten Namens ein und erwirkte eine erneute Ratsabstimmung – wiederum mit dem Ergebnis, dass der Platz umzubenennen sei. Aufgrund der Unterschriftenaktion der Initiative kommt es nun am 15. September zu einem Bürgerentscheid, der endgültig über den Namen des größten Parkplatzes der Stadt bestimmten wird.

Aus der Sicht des Historikers kann man sich die Frage stellen, ob eine solche Umbenennung des Platzes sinnvoll ist; möglicherweise sollte man Namen von Straßen oder Plätzen als historische Zeugnisse verstehen und daher erhalten. Freilich stößt diese Haltung an Grenzen, denn niemand wird sich darüber beschweren, dass es keine Adolf-Hitler-Plätze mehr gibt – so hoffe ich jedenfalls. Bereits im März hat Götz Aly in der Frankfurter Rundschau einen lesenswerten Artikel zu diesen Fragen veröffentlicht (http://www.fr-online.de/meinung/kolumne—strassennamen—-gute-und-boese-zeitzeugen,1472602,11999022.html). An dieser Stelle soll es aber um etwas anderes gehen.

Die Münsteraner Debatte zeigt, dass ein Teil der Bürger und der politischen Entscheidungsträger den Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg als Namensgeber für untragbar hält. Diese Ansicht mag man teilen oder nicht. Befürworter der Umbenennung sollten aber so konsequent sein, über einen viel schlimmeren Namensgeber nachzudenken. Nicht nur in Münster, sondern in beinahe jedem größeren Ort Deutschlands sind Straßen oder Plätze nach einer Person benannt, die sich unter anderem durch folgende Aussage hervorgetan hat:

„Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Wir haben rechte Teufel an ihnen. Wenn ich könnte, so würde ich ihn [den Juden] niederstrecken und in meinem Zorn mit dem Schwert durchbohren.“ Oder: „Darum, wo du einen rechten Juden siehst, magst du mit gutem Gewissen ein Kreuz für dich schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel.“

Diese historische Persönlichkeit hatte auch handfeste Vorschläge parat, wie man mit den verhassten Juden verfahren solle:

„Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke und was nicht brennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacken davon sehe ewiglich. […] Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. […] Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande, wie sie rühmen, sondern im Elend und gefangen.“ Des Weiteren sollten Juden enteignet werden, denn: „Alles was sie haben, haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher.“

Damit nicht genug, die besagte Person forderte ein Predigtverbot für Rabbiner „bei Leib und Leben“, die Konfiszierung aller jüdischen Gebets- und Lehrbücher sowie die Aufhebung ihres sicheren Geleits. Man ist versucht zu glauben, es handele sich hierbei um die unsäglichen Worte eines Nazi-Ideologen. Aber es kommt noch ekelhafter: „Woher haben die Juden diese hohe Weisheit? […] Es ist hier […] an unserer Pfarrkirche eine Sau in Stein gehauen. Da liegen junge Ferkel und Juden drunter, die saugen. Hinter der Sau steht ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor und mit seiner linken Hand zieht er den Bürzel (Anm.: den Schwanz) über sich, bückt sich und guckt mit großem Fleiß der Sau unter den Bürzel in den Talmud hinein. […] Wo hat er’s gelesen? Der Sau im Hintern.“

Übelstes Stürmer-Niveau, finden Sie? Unglaublich, dass dieser Schmierfink, der sich durch solch ekelerregende antisemitische Aussagen hervorgetan hat, als Namensgeber für Straßen fungiert? Sie denken, dieser Mensch eigne sich noch viel weniger als Vorbild? Eine Umbenennung dränge sich daher viel eher auf als beim alten Hindenburg, der sicherlich eine unglückliche Figur der Weimarer Republik war und aus heutiger Sicht kein geeignetes Vorbild mehr ist, aber wenigstens nicht durch solche Entgleisungen aufgefallen ist? All diesen Einschätzungen kann man als Verfechter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur zustimmen. Und deshalb wünsche ich mir, dass so schnell wie möglich alle 3980 Martin-Luther-Straßen in Deutschland umbenannt werden.

Was ich mit diesem Text bezwecken will, fragen Sie? Ehrlich gesagt, ist mir Luther ziemlich egal. Eigentlich interessiert es mich auch nicht, ob es Martin-Luther-Straßen gibt oder nicht. Worauf ich aufmerksam machen möchte, ist Folgendes (und dafür ist unser Reformator nur ein Beispiel): Es scheint opportun zu sein, alles aus dem öffentlichen Raum zu verbannen – der alte Römer hätte gesagt, der damnatio memoriae anheimfallen zu lassen –, was an unliebsame Abschnitte der deutschen Geschichte erinnert. Ich halte das nicht in jedem einzelnen Fall für falsch, glaube aber, dass die Debatten um solche Namenstilgungen oder um die grundsätzliche Bewertung historischer Persönlichkeiten äußerst inkonsequent geführt werden.

Es ist sehr leicht und wohlfeil, sich gegen Personen als Namensgeber für öffentliche Straßen auszusprechen, die in NS-Verbrechen verstrickt waren; auch Exponenten des verhassten preußischen Militarismus haben normalerweise keine Lobby mehr. (Wahrscheinlich hatten auch die Schlossplatz-Befürworter in Münster nicht mit echtem Widerspruch gerechten; so zeigen sich die Hindenburgplatz-Fans auch weniger dem preußisch-militaristischen Ideal denn einer historisierenden Heimatverbundenheit verpflichtet.) Schwieriger scheint es da schon zu sein, sich gegen liebgewonnene historische Figuren zu stellen, die oft auch noch durch die Hand einer Institution geschützt werden – wie in diesem Fall durch die der evangelischen Kirche –, aber schlimme Antisemiten waren und ekelhafte Pamphlete verfasst haben. Martin Luther ist hierfür nur ein Beispiel.

Meinetwegen sollen ruhig alle Martin-Luther-Straßen ihren Namen behalten, solange jedes Kind in der Schule lernt, dass Luther nicht nur Reformator und Gegner der grausamen katholischen Kirche, sondern auch ein antisemitischer Hetzer war. Mit anderen Worten: Wenn wir historische Persönlichkeiten kritisch unter die Lupe nehmen und ihre Tauglichkeit als moralische Vorbilder und Namensgeber überprüfen, dann bitte konsequent und historisch halbwegs korrekt. Ansonsten könnte nur allzu schnell der Verdacht entstehen, dass Persönlichkeiten wie Luther, Voltaire oder Kant – allesamt Antisemiten – nur deswegen kaum hinterfragt werden, weil sie nicht ins liebgewonnene Bild des braunbehemdeten oder glatzköpfigen und antisemitischen Nazis passen, von dem man sich so einfach und bequem distanzieren kann.

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